Psychologie 14.03.2011
Angstpatienten mit eigenen Reaktionen "konfrontieren"
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An dieser Stelle bieten wir unseren Lesern die Möglichkeit, der langjährigen ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel in den Bereichen Psychologie in Bezug auf Patienten, dem Team und sich selbst Fragen zu stellen. Die Fragen und Antworten finden Sie dann redaktionell aufbereitet hier wieder. Die Anfrage sollte eine kurze Zusammenfassung der Situation und die daraus abgeleitete relevante Frage enthalten. Wir freuen uns auf den kollegialen und praxisrelevanten Austausch.
Anfrage per E-Mail: Wir haben uns in der Praxis auf Angstpatienten spezialisiert,
was auch sehr gut läuft. Eine Patientin ist eigentlich gar nicht so
ängstlich, aber dennoch schwer zu behandeln. Sie muss ständig
ausspülen, schon bevor wir überhaupt begonnen haben. Während der
Behandlung möchte sie dann pausenlos aufstehen oder ausspülen. Wir
haben mit ihr alles versucht, um den „Spülreiz“ und das Aufstehen zu unterdrücken,
aber es gelingt nicht. Was muss sie bzw. müssen wir tun, damit sie
ruhig sitzen bleibt und die Behandlung durchhält?
Auch wenn Ihre Patientin äußerlich wenig ängstlich erscheint, ist dies aufgrund ihres Verhaltens fast mit Sicherheit doch der Fall. Sie schreiben, dass Sie sich auf Angstpatienten spezialisiert haben. Somit steigt auch hier die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau sich gezielt Ihre Praxis ausgesucht hat. Aufgrund Ihrer Schilderung bin ich mir nicht sicher, ob Sie Fragen zur Angst in die Anamnese einbauen. Wenn nicht, ist das auf alle Fälle ratsam. Aber selbst wenn die Frage gestellt wird, gibt es manche Patienten, die immer noch behaupten, nicht ängstlich zu sein. Dann müssen wir – wie bei Ihrer Patientin – Rückschlüsse aus dem Verhalten ziehen.
Aufstehen aus Angst vor Kontrollverlust
Ständiges Aufstehen entsteht durch die Angst der Patienten vor Kontrollverlust. Die Situation, in liegender Stellung auf dem Rücken dem Handeln des Zahnarztes „ausgeliefert“ zu sein, ist für manche Personen unerträglich. Ihre Patientin hat eventuell das Gefühl, bewegungs- und kommunikationslos ausharren zu müssen. Zusätzlich kommen unsere (Flucht-)Instinkte zum Vorschein, wenn wir stark unter emotionalem Stress stehen. Evolutionär gesehen ergibt sich der Verlierer im Kampf, indem er sich auf den Rücken legt und dem Gegner seinen verwundbaren Hals zeigt. Der Sieger lässt dann von dem Verlierer ab. Was jedoch passiert bei der Zahnbehandlung? Der Gegner – in diesem Fall der Zahnarzt – schlägt erst recht zu. Steht die Patientin nun aber auf, kann sie sich frei bewegen, sie kann kommunizieren und damit weiteren „Angriffen“ von Ihnen ausweichen.
Ausspülen,
um Stress zu reduzieren
Wenn die Patientin ständig ausspülen möchte, hängt dies möglicherweise mit ihrer Strategie zusammen, Stress zu reduzieren. Bieten Sie ihr bei nächster Ge legenheit im Wartezimmer oder im Gespräch ein Glas Wasser an. Fängt sie an, ständig in kleinen Schlucken zu trinken und sich am Glas festzuhalten? Dann hat sie eine orale Methode, sich zu beruhigen. Von klein auf haben wir gelernt, dass Daumenlutschen, Milch trinken und Nahrungsaufnahme einen beruhigenden Einfluss auf uns haben. In Stressmomenten fallen viele Menschen in dieses Muster zurück. Der gleiche Mechanismus zeigt sich übrigens auch bei Bruxismus, Nikotinsucht, Alkoholismus oder Essstörungen.
Umgang mit Angstpatienten
Nehmen wir an, der Verdacht erhärtet sich, dass Ihre Patientin das Aufstehen als Fluchtversuch unternimmt und das Ausspülen der Beruhigung dient. Dann werden Sie keinen Weg finden, „den Spülreiz oder das Aufstehen zu unterdrücken“ (siehe Frage). Es liegt vorerst nicht an der Patientin, etwas zu tun. Sie im Team müssen der Patientin vorläufig den Raum lassen, Ihre Ausweichmanöver durchzuführen. Bieten Sie das Aufstehen an, selbst wenn die Patientin gar nicht von selbst darauf kommt. So paradox dies auf den ersten Blick erscheinen mag – es wird die Symptome reduzieren. Die Patientin braucht in erster Linie die Bestätigung, dass sie die Behandlung teilweise kontrollieren kann. Erlauben Sie ihr, so oft zu spülen, wie sie möchte. Halten Sie ihr noch zweimal mehr den Becher hin. Mit der Zeit wird die Patientin ihr Verhalten reduzieren, da sie bei Ihnen emotionale Sicherheit erfährt. Die Angst mancher Patienten vor der Zahnbehandlung zeigt sich in den unterschiedlichsten psychischen Ausdrucksformen – Ihre Patientin hat Aufstehen und Ausspülen gewählt.
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