Psychologie 28.02.2011

Zahnerhalt bedeutet auch psychologischer Halt



Zahnerhalt bedeutet auch psychologischer Halt

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Gesundheit und Erhalt der eigenen Zähne sind nicht nur aus medizinischer Sicht wichtig – ein gesundes und vollständiges Gebiss hat darüber hinaus einen großen psychologischen Stellenwert. Dem Zahnverlust beim Milchgebiss wird noch freudig entgegengesehen, da er das Erwachsenwerden symbolisiert. Den Zahnverlust der zweiten Zähne möchte man jedoch so lange wie möglich vermeiden, da er mit Alter, Schwäche und Krankheit assoziiert wird. Jeder Zahnarzt wird die Situation kennen, wenn besonders ältere Patienten stolz von den eigenen Zähnen erzählen, die sie noch haben. Der Verlust der letzten Zähne geht dann häufig mit einem psychischen Verfall einher.

Die Zähne werden im normalen Sprachgebrauch oft mit psychischen Eigenschaften in Verbindung gebracht: „Man beißt sich durch“, „geht auf dem Zahnfleisch“, „ist verbissen“, „beißt sich auf die Zunge“ und „fühlt anderen auf den Zahn“. Die schönste Art, dem Feind die Zähne zu zeigen, ist ein Lächeln. Wissenschaft­liche Ergebnisse gehen so weit, dass
jedem einzelnen Zahn psychische Merkmale zugeordnet werden. Schneidezähne stehen beispielsweise für Vertrauen und Durchsetzungskraft, Eckzähne werden mit Aggressivität in Verbindung gebracht.

Zähne werden insgesamt als Zeichen des Zupackens und der Energie gesehen. Fallen sie aus, kann Nahrung nicht mehr zerkleinert und „angegriffen“ werden. Besonders ausgeliefert ist man den „harten Brocken“ – weiche Suppen sind kein Problem. Im psychologischen Bereich kann das Gefühl entstehen, sich nicht mehr tatkräftig mit den Widrigkeiten des Alltags auseinandersetzen zu können. Das Leben plätschert ohne Höhen und Tiefen vor sich hin, man kocht sein eigenes Süppchen.



Das Zahnfleisch und die Wurzel stehen für Halt und Fundament. Parodontitis oder Entzündungen des Wurzelkanals können unbehandelt zu Zahnverlust führen. Dies hat wiederum die psychische Auswirkung, dass sich der Mensch „entwurzelt“ fühlt. Der Zusammenhang zwischen Zähnen und der Psyche wird deutlich, wenn z.B. ein Mensch anfängt, aus Stress mit den Zähnen zu knirschen (siehe Grafik). Im nächsten Schritt schädigt er damit sein Gebiss, es kommt zu Dysfunktionen, Schmerzen oder Zahnverlust. Dies wiederum beeinträchtigt das Selbstwertgefühl und der Stresspegel steigt weiter an. Bei anderen beginnt der Kreislauf bei den Schmerzen, die zu Stress und damit zu Bruxismus führen. Einige Psychotherapeuten schließen daher die Sanierung der Zähne in das Therapiekonzept ein, um den Menschen in der Gesamtheit Körper-Seele-Geist zu unterstützen.

Zahnerhalt und Zahnersatz

Vergegenwärtigt man sich die Bedeutung der Zähne für das psychische Wohlbefinden, so ist die Arbeit der Endodontie und des Zahnerhalts im Allgemeinen weit mehr als der medi­zinische Erhalt der eigenen Zähne. Psychologisch gesehen ist kein Zahn­ersatz in der Lage, die eigenen Zähne zu ersetzen. Die geringste Akzeptanz besteht bei Prothesen, da hier bei je-
der Reinigung dem Träger vor Augen geführt wird, dass er seine eigenen Zähne nicht mehr besitzt. Dies erklärt auch die relative Häufigkeit von Prothesenunverträglichkeiten ohne medizi­nische Indikation und das Prothesen-Shopping bei verschiedenen Zahnärzten. Festsitzender Zahnersatz in Form von Implantaten wird eher akzeptiert, da er den Ursprungszustand zumindest optisch und funktional wiederherstellt und zum Reinigen nicht entfernt werden muss. Viele Patienten können damit gut umgehen, bei einigen bleibt jedoch immer die Enttäuschung darüber, dass sie ihre eigenen Zähne nicht halten konnten.

Endodontische Behandlungen können durchaus langwierig und schmerzhaft sein. Der positive Ausgang ist nicht ga­rantiert. Dennoch bedeutet eine erfolgreiche Behandlung für den Patienten, dass er weiterhin seine eigenen Zähne zeigen kann und somit dem psychologisch wahrgenommenen Alterungsprozess ein Schnippchen geschlagen hat. Der Zahn wird von vielen Patienten als Körperteil wie jedes andere wahrgenommen. Eine künstliche Hand ist niemals die eigene – warum sollte es bei Zähnen anders sein?

Patienten, die so denken, sind bei einem endodontisch orientieren Zahnarzt am besten aufgehoben, auch wenn der implantologisch oder prothetisch ambitionierte Zahnarzt das vielleicht anders sieht. Es gibt genügend Patienten, die aus ästhetischen Gründen Implantate bevorzugen. Wiederum andere freuen sich über ihre Prothese, weil sie eventuell von Zahnbehandlungen und Schmerzen genug haben. Herauszufinden, mit welcher Lösung der Patient am zufriedensten ist, stellt die Herausforderung für den Zahnarzt dar.

Hinterfragen Sie Wissensstand, Wünsche und Motive Ihrer Patienten und klären Sie im Zweifelsfall auf:

– Wie wichtig ist Ihnen der Erhalt Ihrer eigenen Zähne auf einer Skala von
1 bis 10? Ab einem Wert von 6 sollte versucht werden, die Zähne zu erhalten.
– Welche Formen von Zahnersatz kennen Sie (Brücke, Prothese, Implantate …)? Viele Patienten kennen sich mit Vor- und Nachteilen der Alter­nativen nicht aus.
– Welche Vorstellung haben Sie von einer Wurzelkanalbehandlung? Manche Patienten vermeiden die Endo­dontie aufgrund von negativen Erzählungen, obwohl sie lieber ihre Zähne erhalten würden.

Der Verlust der „bleibenden Zähne“ ist für viele Menschen ein Paradoxon, mit dem sie schlecht umgehen können. Zahnlücken werden als Symbol für Alter und Schwäche wahrgenommen, welche auch durch Zahnersatz nicht adäquat aufgefüllt werden können. Für diese Klientel steht der Zahnerhalt an erster Stelle. Der Zahnarzt geht damit über den medizinischen Bereich hinaus und stärkt das psychologische Selbstwertgefühl seiner Patienten.



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