Psychologie 05.04.2022
Die Balance zwischen Routine und Demut im Arbeitsalltag
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Zahnärztinnen und Zahnärzte befinden sich in einem interessanten Spannungsfeld zwischen routinierten Abläufen und demütiger Beobachtungshaltung. Oder besser: sie sollten sich dazwischen befinden. Denn allzu oft verleitet uns die alltägliche Arbeits- und Lebensroutine dazu, keine Demut zu empfinden. Das Gewicht verlagert sich auf die Seite der Routine und genau darin verbirgt sich eine gewisse Gefahr – wir fühlen uns ohnmächtig.
Unsere Profession lebt von routinierten Abläufen, Kenntnissen und Fertigkeiten. Routine ist zwingend erforderlich, um unseren Patientinnen und Patienten Sicherheit und die angemessene medizinische Behandlung zukommen lassen zu können. Wenn wir allerdings nur noch nach routinierten Schemata funktionieren und auch die Menschen, die uns begegnen, routiniert in „Schubladen“ einordnen, werden wir unachtsam.
Dabei handelt es sich um Momente, in denen wir scheinbar genau wissen, was unser Gegenüber braucht, oder Situationen, in denen wir vermeintlich genau Bescheid wissen. Wann immer wir glauben, die Lösungen für die Probleme unserer Patientinnen und Patienten zu kennen, sind wir möglicherweise voreingenommen. Wir sind nicht offen und hören nicht ausreichend zu.
Die Gefahr, wichtige Informationen zu übersehen oder zu überhören, ist groß und wir befinden uns schnell in einem zwischenmenschlichen Konflikt. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen, psychosomatischen Beschwerden oder craniomandibulären Dysfunktionen. Damit sind Krankengeschichten gemeint, die nicht nach „Schema F“ funktionieren.
Halten Sie als Behandlerin oder Behandler oder als Teil eines Teams stets die Waage zwischen routiniertem Handeln und demütiger Achtsamkeit – sich selbst und anderen gegenüber.
Nehmen Sie sich als Übung einmal vor, einen ganzen Tag hindurch nicht sofort eine Meinung zu einem beliebigen Sachverhalt zu haben. Besonders gut üben lässt sich das an der täglichen Überflutung mit Berichterstattungen zur aktuellen politischen Lage. Sich hier einmal ganz bewusst zurückzunehmen und die Gegebenheiten schlicht hinzunehmen, anstatt unüberlegt zu bewerten, kann ungeahnte Möglichkeiten und Lösungswege sichtbar werden lassen. Nur in der gelassenen, demütigen, wertfreien Betrachtung eröffnet sich uns ein Gestaltungsspielraum, der uns eben nicht mehr handlungsunfähig dastehen lässt – ganz einfach deshalb, weil wir empfänglich für weniger offensichtliche Lösungsansätze werden.
Eine von Demut geprägte mentale Haltung soll uns vor allem daran erinnern, wie viel (globalen und alltäglichen) Gestaltungsspielraum wir tatsächlich haben, insbesondere dann, wenn wir wie aktuell in Zeiten leben, die ein Gefühl der Ohnmacht entstehen lassen können.
Dieser Beitrag ist in der dentalfresh erschienen.