Psychologie 15.02.2013

Psychologische Hürden in der Zahnarztpraxis überwinden – Teil 2



Psychologische Hürden in der Zahnarztpraxis überwinden – Teil 2

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Wahrnehmung und Emotionen steuern

Die aktuelle Reihe in der cosmetic dentistry befasst sich mit praktisch umsetzbaren Übungen im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in der Zahnarztpraxis. Es ist hilfreich, möglichst schnell zu erkennen, welcher Ansatz der sinnvollste ist, um gemeinsam mit den Patienten eine entspannte Behandlung durchführen zu können. Auffälligkeiten treten im Verhalten, in den Gedanken und in körperlichen Reaktionen auf. In der heutigen und abschließenden Ausgabe werden Tipps gegeben, mit welcher Herangehensweise alle Bereiche positiv beeinflusst werden können.

In den vorangegangenen Ausgaben der cosmetic dentistry wurden Übungen für die einzelnen Bereiche vorgestellt. Eine genaue Zuordnung der Wirkweise ist nicht immer möglich, da jeder Bereich auch zugleich auf die anderen wirkt. Verändert ein Patient beispielsweise sein Verhalten, indem er pünktlich zum Zahnarzttermin erscheint, anstatt wie üblich in letzter Minute anzurufen, um abzusagen, beeinflusst er damit gleichzeitig seine Gedanken und seine körperlichen Reaktionen. Verändert er primär seine Gedanken bezüglich eines Zahnarztbesuches, hat dies möglicherweise im Verhalten zur Folge, dass  er regelmäßig Termine einhält oder körperlich weniger schwitzt. Genau voneinander zu trennen sind die Bereiche nicht. Es ist jedoch sinnvoll, zu erkennen, in welchem Bereich der Patient bisher hauptsächlich seine Ängste bemerkte, um dann dort gezielt anzusetzen. Ist sich der Zahnarzt nicht sicher, welcher Bereich vorherrscht oder möchte er noch eine weitere Übung im Hinterkopf  haben, ist es zielführend, Hilfestellungen zu kennen, die alles mit einbeziehen. Dadurch beeinflussen Sie positiv die Wahrnehmung und Emotionen, was letztendlich in jedem Gespräch die ausschlaggebenden Faktoren sind.

Ergebniskino

In komplizierten oder scheinbar erschreckenden Situationen neigen Patienten gern dazu, den Weg der Zahnbehandlung in den Fokus zu stellen anstelle der erfolgreichen Zahnbehandlung am Ende des Weges. Diese Programmierung des Gehirns scheint bei allen Menschen gleich zu sein. Kaum jemand sieht bei dem Gedanken an eine heiße Tasse Tee im Winter den Prozess vor sich. Wie das Wasser gekocht werden muss, die Tasse aus dem Schrank geholt wird, die Teedose oder der Teebeutel bereitgestellt wird, wie der Tee in die Tasse kommt, um dann mit Wasser übergossen zu werden. Nein, die meisten Menschen sehen eine heiße Tasse Tee vor sich: das Ziel. Menschen mit Redeangst sehen sich schwitzend vor einer Menschenmenge stehen, zitternd, stotternd und fast der Ohnmacht nahe. Menschen ohne Redeangst sehen sich erstens lächelnd und zweitens meist am Ende ihrer Rede. Ein Navigationsgerät im Auto wird Sie keinen Meter lotsen können, solange Sie nicht den Zielort eingegeben haben. Diesen Mechanismus können Sie sich in der Zahnarztpraxis bei schwierigen oder ängstlichen Patienten zunutze machen. Reden Sie über das Ergebnis der Zahnbehandlung. Die Patienten sollten nicht zu lange im Prozess hängen bleiben, denn das suggeriert Schwierigkeiten. Lassen Sie sich genau schildern, wie sich die Person die gesunden oder schönen Zähne vorstellt. Machen Sie die Bilder größer als ursprünglich von der Person angedacht. Kleine Ziele können schnell durch Hindernisse verdeckt werden. Große Ziele sind auch dann noch sichtbar (Abb. 1). Sie erreichen mit dieser Form der Kommunikation, dass der emotionale Wert einer erfolgreichen Zahnbehandlung sprichwörtlich ins rechte Bild gerückt wird. Der Patient verliert sich weniger im Was und Wie, sondern erfährt gleich den vorteilhaften Effekt.

Abb. 1


Wahrnehmungssalat

Vielen Menschen hilft es, sich ihrer Wahrnehmungen einmal genauer bewusst zu werden. Bei jeder Erfahrung sind alle Sinne beteiligt, die es dem Organismus ermöglichen, Dinge zuzuordnen, abzuspeichern und aufzurufen. Jeder Wahrnehmungskanal spielt dabei seine eigene Rolle. Sich dessen bewusst zu werden und bei Bedarf zu ändern, kann helfen, Situationen gelassener wahrzunehmen. Gehen wir beispielsweise einmal davon aus, dass ein Patient in der Vergangenheit negative Erfahrungen beim Zahnarztbesuch gemacht hat. In der Erinnerung ist dies ein einziger großer Wirrwarr von negativ behafteten Sequenzen. Vielleicht ist es auch nur ein einzelner Moment, der erschreckend klar wiederkehrt, sobald der Patient an einen Zahnarztbesuch denkt. Eine Herangehensweise kann sein, die Sequenz aus dem Blickwinkel der Wahrnehmungskanäle zu analysieren (Abb. 2).

Abb. 2

  • Was hat der Patient gesehen?
  • Was hat der Patient gehört?
  • Was hat der Patient gefühlt?
  • Was hat der Patient gerochen?
  • Was hat der Patient geschmeckt?

Jede Wahrnehmung für sich genommen ist meist weniger schlimm als ein Wahrnehmungssalat aus allen Bereichen. Die Erinnerung hat sofort weniger Macht, weil sie auseinandergenommen und sortiert wird. Darüber hinaus kann der Patient auch darauf achten, welche Wahrnehmung den stärksten Einfluss auf die negative Bewertung hatte. Vielleicht der Anblick des Bohrers? Dann könnte der Patient in Zukunft die Aufmerksamkeit auf die Geräusche richten. Oder waren die Geräusche das Schlimmste? Dann ist es an der Zeit, beim nächsten Zahnarztbesuch die Bilder an der Wand zu betrachten. Sobald der große Schrecken Zahnarztbesuch in kleinere Details aufgeteilt wird, kann das eine positive Auswirkung auf das Gesamterleben haben.

Ressourcenaktivator

Bei vielen Menschen ist zu beobachten, dass sie in schwierigen Situationen nur die Alternativen „kann ich“ oder „kann ich nicht“ im Kopf haben. Ein Patient mit Zahnbehandlungsangst steht häufig auf der Seite „kann ich gar nicht“. Ein Patient, der in jeder Beratung die hinterhältige Herangehensweise eines Zahnarztes vermutet, der nur ans Geld denkt, steht auf der Seite „ist unbezahlbar“. Hier ist es hilfreich, den Personen näher zu bringen, dass sie sich schrittweise in die gewünschte Richtung bewegen können. Es ist kein Entweder-oder. Der Angstpatient kann sich von extrem ängstlich, über ängstlich zu wenig ängstlich entwickeln. Der misstrauische Patient kann sich von stark abwehrend, über abwehrend zu kooperativ entwickeln. Überlegen Sie mit Ihren Patienten gemeinsam, wo die Personen auf einer Skala von 1–10 momentan stehen. Und woran würde die einzelne Person erkennen, dass sie beim nächsten Schritt angekommen ist? Vielleicht verändert sich das Gefühl, vielleicht verhält sie sich anders, vielleicht ist sie körperlich entspannter. Was braucht die Person dann für den nächsten Schritt? Welche Fähigkeiten braucht sie? Bei der Zahnbehandlungsangst nennen viele Patienten an erster Stelle Mut. Sicherlich war die Person in ihrem Leben schon einmal mutig. Lassen Sie sich ein paar der Situationen nennen. Als nächstes nennen viele Vertrauen. Auch hier wird es Situationen gegeben haben, in denen die Person schon einmal vertraut hat. Zusätzlich können Sie fragen, was der Patient oder die Patientin denn genau braucht, um vertrauen zu können. Und mit all diesen schon vorhandenen Ressourcen kommen sie auf der Skala Schritt für Schritt voran. Fragen Sie immer wieder, was sich ändert, sobald die Person einen Skalenpunkt weitergekommen ist. Machen Sie ihr bewusst, welche Verbesserungen sich einstellen und woran sie das merkt. Ein schrittweises Herantasten an das erwünschte Ziel unter Einbeziehung der eigenen Ressourcen ermöglicht häufig eine zufriedenstellende Behandlung (Abb. 3).

Abb. 3

In allen Übungen geht es letztendlich darum, zu schauen, wie es eine Person bisher machte, beispielsweise Angst zu haben oder kompliziert im Umgang zu sein. Jeder Mensch hat seine eigenen Strategien, sodass auf jede Person anders reagiert werden sollte. Was bei der einen Patientin wunderbar funktioniert, kann beim nächsten Patienten das genaue Gegenteil bewirken. Einen einfachen Anhaltspunkt liefern dort die Beobachtungen über Verhalten, Gedanken und körperliche Reaktionen. Auf diese Bereiche einzugehen gibt zum einen persönliche Sicherheit und hilft zum anderen, dass sich Ihre Patienten wohlfühlen.

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