Psychologie 16.09.2011
Psychologische Trickkiste in der Zahnarztpraxis
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In der ZWP können die Leser der langjährigen Autorin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst stellen. In diesem Artikel greift Dr. Lea Höfel in ihre „Trickkiste“ und gibt wertvolle Tipps zum Umgang mit Angstpatienten.
Anfrage: Ich habe bei einigen Angstpatienten mit Ihnen zusammengearbeitet. Dabei fiel mir auf, dass Sie eher untypisch mit den Patienten umgehen. Ich dachte immer, Psychologie bedeutet Händchenhalten und auf die Sorgen der Patienten eingehen. Bei Ihnen habe ich dieses Gefühl nicht wirklich und dennoch funktioniert es gut. Die Patienten lachen und ohne dass ich erkennen kann, was Sie genau tun, kann ich meine Behandlung durchführen. Waren das bisher immer „leichte Fälle“ oder gibt es einen Trick, den Sie verraten?
Solche oder ähnliche Fragen werden mir sowohl von Zahnärzten als auch von Patienten öfter gestellt, weshalb ich Sie gerne im Rahmen der ZWP-Reihe beantworte. Je nachdem, wie Sie „Trick“ definieren, nutze ich in meiner Arbeit eventuell den einen oder anderen. Die Patienten haben früher schlechte Erfahrungen gemacht, haben sich Horrorgeschichten erzählen lassen oder meinen, an dem einen oder anderen psychischen Problem zu leiden. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass all diese Gründe die jetzige Angst zu rechtfertigen scheinen.
Trickkiste
Wenn die Patienten zu mir kommen, erfahren sie zum ersten Mal, dass ich ihnen das nicht abkaufe. Jede Erklärung für die Angst führt nach meiner Erfahrung dazu, sich an ihr festklammern zu dürfen.
Der erste Trick besteht darin, dem Patienten diesen Mechanismus zu verdeutlichen. Dies geht am besten mit viel Humor, da wir gerade dabei sind, uns von einer unangenehmen Angewohnheit zu trennen. Patienten sagen zum Beispiel, dass sie die Angst überfällt. Alleine das ist schon eine lustige Vorstellung. Manchmal lauert die Angst im Wartezimmer, im Telefonhörer und gelegentlich schon an der Zahnbürste. So betrachtet nehmen die Patienten die Situationen gleich weniger ernst und lachen über ihr Angstmonster.
Das führt zum zweiten Trick. Ich achte bei allem, was ich tue, sehr darauf, dass ich den Patienten sehr ernst nehme, das Problem jedoch nicht. Wenn Sie überlegen, was im Leben Bestand hat, dann sind es die Dinge, um die wir uns gut kümmern und die wir ernst nehmen. Beziehungen festigen sich durch Aufmerksamkeit und Beachtung, Pfunde auf der Hüfte wachsen durch liebevolles Zuführen von Sahnetorte und Kinder brüllen am liebsten im Spielzeugladen los, weil sie da so schön Anerkennung ihres Schreivolumens finden. Diesen Mechanismus können wir uns bei Angst zunutze machen. Je weniger wir sie ernst nehmen und je mehr wir drüber lachen, desto geringer wird sie.
Der dritte Trick ist meine Sprache. Ich nutze im Gespräch überwiegend hypnotische Sprachmuster, die der Patient nicht mitbekommt. Den meisten Patienten ist vom Verstand her durchaus bewusst, dass die Angst in diesem Ausmaß nicht wirklich haltbar ist. Vom Verstand her haben sie sich schon umfassend damit beschäftigt (und dabei zu ernst genommen). Also setze ich jetzt im Unterbewusstsein an und erreiche mit sprachlichen Mitteln, dass die Angst in die Vergangenheit geschoben oder aufgelöst wird und im Jetzt positive Aspekte wie Stärke, Freude, Spaß und schöne Zähne den Verstand und das Gefühl dominieren. Wenn die Patienten es ausdrücklich wünschen, kann ich diese Methodik auch in Trance durchführen, es funktioniert allerdings auch sehr gut im Verlauf des normalen Gesprächs.
Der vierte Trick ist der wichtigste und einfachste zugleich. Der Patient geht zum Zahnarzt und lässt sich behandeln. Ich halte nichts davon, schrittweise 20 Anläufe zu nehmen und jedes Mal einen Meter weiter zu kommen. Zwei Versuche sind bei mir Maximum. Bei der 20-Schritt-Methodik hat der Patient viel zu viele Gelegenheiten, sich nach jedem Meter zu überlegen, warum er jetzt nicht weitergeht. Er macht bei 20 Anläufen 20-mal die Erfahrung, dem Zahnarztbesuch entkommen zu können. Diese Programmierung will ich bei meiner Arbeit ausdrücklich nicht im Gehirn implantieren. Das Ziel ist der Zahnarztbesuch und kein Meterlauf.
Der fünfte Trick ist streng genommen kein Trick. Ich arbeite nur mit Personen, die zwar große Angst empfinden und dennoch wirklich zum Zahnarzt gehen möchten. In meiner Arbeit möchte ich mit den Patienten gemeinsam etwas verändern. Das ist bei den meisten der Fall. Ab und zu ist jedoch auch jemand dabei, der sich von mir bestätigen lassen möchte, dass bei seinen Erfahrungen, seinen Problemen und überhaupt bei dem schlechten Wetter kein Zahnarztbesuch möglich ist. Diese Bestätigung bekommt er von mir nicht und in 98 Prozent der Fälle reißen wir das Ruder doch noch in Richtung Zahnbehandlung rum. Ist der Patient an dieser Stelle noch nicht so weit, seine Glaubenssätze zu hinterfragen, akzeptiere ich ihn voll und ganz und freue mich auf den Zeitpunkt, an dem er soweit ist. Insgesamt könnte die Trickkiste den Titel „Spaß an Veränderung“ tragen. Inhaltlich ist sie gefüllt mit Humor, hypnotischen Sprachmuster, attraktiven Zukunftsvisionen und Tatkraft. Die Materie, die alles umgibt, besteht aus Wertschätzung und einer großen Portion Begeisterung für den Patienten. Ich bin immer wieder dankbar für die wundervolle Arbeit und die Veränderungen, die ich miterleben darf, was wahrscheinlich der größte Trick ist.