Recht 21.02.2012
Der Richter als Patient: Urteil zur Befangenheit
Sicher, auch Richter gehen mal zum Arzt. Was aber, wenn der
„Richter-Patient" in der Folgezeit in seiner judikativen Funktion,
diesmal als „Prozess-Behandler" mit seinem Arzt in Kontakt tritt. Ist
dieser Richter dann noch in der Lage und befähigt über Ansprüche für
oder wider seinen Arzt objektiv zu entscheiden? Das OLG Bremen sagt
NEIN! (OLG Bremen, Beschluss vom 12.01.2012, 5 W 36/11).
Die Entscheidung:
In
seiner dienstlichen Stellungnahme vom 18.08.2011 hat der Vorsitzende
Richter des Prozesses erklärt, dass er bei dem Beklagten zu 1., einem
der in Anspruch genommenen Ärzte, in den Jahren 1991, 2006 und 2008 in
orthopädischer Behandlung gewesen sei, dabei 2006 und 2008 jeweils zwei
Mal. Die verordneten krankengymnastischen Behandlungen habe er
jedenfalls z.T bei der Beklagten zu 2. erhalten, einer
krankengymnastischen Praxis in der Rechtsform einer GmbH, deren
Geschäftsführer wiederum der Beklagte zu 1. ist.
Diese
persönlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen dem abgelehnten
Richter und insbesondere dem Beklagten zu 1. hat das Landgericht in dem
angefochtenen Beschluss zu Unrecht als nicht ausreichend angesehen, um
damit ein Näheverhältnis zu begründen, das die Besorgnis der
Befangenheit rechtfertigt.
Zu Unrecht beschränkt das Landgericht
den Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 ZPO allerdings auf Fälle einer
solchen besonders intensiven Vertrauensbeziehung zwischen dem
behandelnden Arzt und seinem Patienten und verneint sie im vorliegenden
Fall unter Hinweis auf den Charakter der angewandten Heilmethode als
einer „orthopädischen Standardtherapie". Dabei verkennt es, dass aller
Regel jede ärztliche Behandlung auf einem besonderen
Vertrauensverhältnis beruht, von einmaligen, länger zurückliegenden und
weniger bedeutsamen kleineren Maßnahmen womöglich abgesehen, die in
größeren medizinischen Einrichtungen eher zufällig von dem einen oder
anderen Arzt verabreicht werden mögen. Um einen solchen Fall geht es
vorliegend jedoch nicht. Der zuständige Richter hat sich über Jahre
wiederholt in die Behandlung des Beklagten zu 1. und „seines"
krankengymnastischen Instituts begeben und schon damit zu erkennen
gegeben, dass er besonderes Vertrauen in dessen ärztliche Heilkunst hat.
Dass die letzte Behandlung einige Jahre zurückliegt, ändert daran
nichts, sondern beruht ersichtlich eher auf der Tatsache, dass aktuell
kein Behandlungsbedarf besteht. Ebenso wenig kann es eben wegen des
allein ausschlaggebenden Standpunktes des Beschwerdeführers darauf
ankommen, wegen welcher konkreten Beschwerden sich der Richter in die
Behandlung begeben hat, zumal der Beschwerdeführer insoweit keine
Kenntnis haben kann und die übrigen Beteiligten hierüber sicher keine
Auskunft schulden. Ob es sich lediglich um eine „orthopädische
Standardmaßnahme" handelte, ist ebenso ungeklärt wie unerheblich.
Bewertung:
Die
Entscheidung des OLG Bremen erscheint folgerichtig. Sie sollte von
Ärzten, die in gerichtlichen Auseinandersetzungen stehen, bei denen ein
Patient beteiligt ist, angemessen berücksichtigt werden. Insoweit stellt
sich jedoch die Frage, ob die Preisgabe eines bestehenden oder
vormaligen Behandlungsverhältnisses durch den Arzt überhaupt rechtlich
zulässig wäre, denn auch das Bestehen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses
unterfällt der ärztlichen Schweigepflicht. Ein offenes Ablehnungsgesuch
dürfte damit jedenfalls ausscheiden. Gleichwohl birgt die durch das OLG
festgestellte Besorgnis der Befangenheit eine gewisse Gefahr. Denn
sollte sich in einem späteren Verfahrensstadium das Vorliegen eines
Behandlungsverhältnisses herausstellen, stünden bereits gefällte
Entscheidungen wieder auf der Kippe. Wie in dem Fall, dass der
behandelnde Richter nicht von sich aus aktiv wird, vorgegangen werden
sollte, sollte daher in jedem Fall mit einem juristischen Berater
besprochen werden.
Autor: Dr. Robert Kazemi
Quelle: Kazemi & Lennartz Rechtsanwälte, Bonn, Newsletter I-02-12