Recht 21.02.2011
Rechtsprechungs-Ticker für den kleinen Patienten
Die Behandlung minderjähriger Patienten ist für den Zahnarzt Alltag. Probleme treten dabei selten auf. Das ist alles andere als selbstverständlich, wie ein Blick in die einschlägige Rechtsprechung zeigt. Aus ihr ergeben sich noch viele offene Fragen. Der Beitrag stellt drei aus anwaltlicher Sicht besonders hartnäckige Rechtsirrtümer im Zusammenhang mit der Behandlung Minderjähriger vor – und korrigiert sie.
Der zahnärztlichen Behandlung liegt ein die Zahlungspflicht des Patienten begründender Behandlungsvertrag in Form eines Dienstvertrages zugrunde. Dass dabei auch ein Minderjähriger Vertragspartei wird, ist nicht generell ausgeschlossen. Verträge mit Kindern, die das siebte Lebensjahr nicht vollendet haben, sind allerdings nichtig. Gegenseitige Rechte und Pflichten können aus ihnen nicht hergeleitet werden. Ist der Minderjährige hingegen älter als sieben Jahre, jedoch noch nicht volljährig, sind mit ihm geschlossene Verträge „schwebend unwirksam“, wie der Jurist sagt. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen.
Mithin schützt das Gesetz den Minderjährigen im Rechtsverkehr, räumt dem Heranwachsenden mit steigendem Lebensalter aber zugleich zunehmende Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Gestaltung seiner Lebensverhältnisse ein. Ungeachtet der Frage eines wirksamen Vertragsabschlusses bedarf die zahnärztliche Heilbehandlung zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten stets auch dessen Einwilligung. Der Patient – auch der minderjährige – ist daher grundsätzlich über Art, Umfang und Risiken der Behandlung aufzuklären.1 Wie aber geht das zusammen – Vertragsabschluss, Einwilligung, Minderjährigen- und Elternrechte? Und – wichtiger noch – worauf hat der Minderjährige behandelnde Zahnarzt in besonderer Weise zu achten?
Rechtsirrtum 1: Minderjährige können in eine zahnärztliche Behandlung ohne Zustimmung ihrer Eltern nicht wirksam einwilligen.
Richtig ist: Minderjährige können in eine zahnärztliche Behandlung auch allein einwilligen. Hierfür müssen sie einwilligungsfähig sein. Wann vom Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit gesprochen werden kann, ist im Einzelnen allerdings streitig. Die Rechtsprechung behilft sich seit BGHZ 29, 33, 36 im Wesentlichen mit der Formel, wonach der Minderjährige über die Fähigkeit verfügen müsse, nach seiner „geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestaltung ermessen zu können“.2 „Bedeutung“ und „Tragweite“ werden dabei weithin synonym gebraucht. Das ist mehr als vage. Es haben sich weder klare Fallgruppen herausgebildet, an denen sich Zahnärzte zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit orientieren könnten, noch haben sich in der Literatur diesbezüglich vereinzelt entwickelte Kriterienkataloge3 in der Praxis durchgesetzt. Das Gesetz selbst schweigt hierzu.4 Der Zahnarzt sollte sich daher zunächst an den o.g. Altersgrenzen orientieren. Schematisch anwenden darf er sie freilich nicht. Es ist vielmehr stets auch und gerade der Einzelfall zu berücksichtigen. Dafür ist in jedem Fall die Einwilligung in Relation zur Schwere und Dringlichkeit des zahnmedizinischen Eingriffs zu bewerten. Ein „Mehr“ an erforderlicher zahnärztlicher Aufklärung wird dabei als Indiz dafür gelten dürfen, dass der Minderjährige Bedeutung und Tragweite des Eingriffs möglicherweise nicht übersehen kann. Umgekehrt mag es aber auch angehen, vor dem Hintergrund der besonderen Dringlichkeit einer Behandlung auf die Einwilligungsfähigkeit im Hinblick auf den Eingriff auszugehen.5 Letztlich wird es unabhängig von Schwere und Dringlichkeit eines Eingriffs darauf ankommen müssen, ob der Minderjährige bereits eine „eigene Werteordnung“ ausgebildet hat, die ihm eine eigenständige Beurteilung des prognostischen Nutzens sowie der Risiken einer Behandlung ermöglicht. Aus Sicht des Zahnarztes ist daher entscheidend, „wie dieser die Persönlichkeit des Jugendlichen im Hinblick auf den geplanten, konkreten Eingriff beurteilt“.7 Dass er bei dieser Einschätzung leicht „daneben“liegen kann, liegt auf der Hand.
Was tun? Der Zahnarzt sollte die Behandlung eines Minderjährigen von einer positiven Einwilligung mindestens eines seiner Elternteile abhängig machen. Anderenfalls sollte er die Umstände, die auf das Vorliegen einer Einwilligungsfähigkeit hindeuten, besonders sorgfältig dokumentieren.8 Dabei ist auch festzuhalten, auf welche Weise der Minderjährige seiner individuellen Verständnismöglichkeit entsprechend über die Risiken der in Aussicht genommenen Behandlung vom Zahnarzt aufgeklärt worden ist.
Was noch wichtig ist: Die Einwilligung in eine zahnärztliche Behandlung ist Teil der sog. elterlichen Sorge. Diese kann von den Eltern grundsätzlich nur gemeinsam ausgeübt werden.9 Anerkannt ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass vom Behandler nach einem Stufenschema verfahren werden darf:10 Ist bei dem Behandlungstermin nur ein Elternteil anwesend, darf der Zahnarzt stillschweigend davon ausgehen, dass der anwesende Elternteil von dem Abwesenden zur Erteilung der Einwilligung ermächtigt ist. Das gilt, wenn es sich um Routineeingriffe oder leichtere Erkrankungen handelt. Bei erheblicheren Erkrankungen oder stärker risikobehafteten Behandlungen ist eine aktive Rückversicherung bei dem anwesenden Elternteil erforderlich, auf dessen Auskunft dann aber auch vertraut werden darf. Nur bei schwierigen und besonders weitreichenden Entscheidungen sind grundsätzlich beide Elternteile zu beteiligen.
Rechtsirrtum 2: Haben die Eltern eines Minderjährigen einer zahnärztlichen Behandlung zugestimmt, kommt es auf dessen eigenen Willen nicht mehr an.
Richtig ist: Der Wille des Minderjährigen ist niemals völlig unbeachtlich. Denn auch der Minderjährige ist Träger des sog. Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das aus den Grundrechten hergeleitet wird. Hiervon umfasst ist auch das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen als Patient.11 In der Praxis kann dies zu Konflikten führen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2006 geurteilt, dass einem Minderjährigen jedenfalls „bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für die künftige Lebensgestaltung ein Vetorecht gegen die Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter zustehen kann, wenn er über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügt“12. Um von diesem Vetorecht Gebrauch machen zu können, seien daher auch minderjährige Patienten entsprechend aufzuklären, wobei allerdings der Arzt im Allgemeinen darauf vertrauen könne, dass die Aufklärung und Einwilligung der Eltern genüge. Die Zubilligung eines Alleinentscheidungsrechts lehnt der BGH noch ab. In der Literatur stößt diese restriktive Haltung auf Kritik.13 Perspektivisch wird es daher möglicherweise zur Einräumung stärkerer Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte kommen.14
Was tun? Jedenfalls bei umfangreichen oder risikoträchtigen Behandlungen ist es bereits zur Vermeidung potenzieller Schadensersatzansprüche empfehlenswert, auch den als einsichtsfähig erkannten Minderjährigen in den Aufklärungsprozess voll mit einzubinden. Für den zeitgemäß handelnden Zahnarzt sollte es selbstverständlich sein, sowohl den Minderjährigen selbst als auch dessen gesetzliche Vertreter als Adressaten der rechtlich gebotenen Aufklärung zu begreifen.
Rechtsirrtum 3: Liegt eine wirksame Einwilligung in die zahnärztliche Behandlung vor, ist damit auch die Frage eines wirksamen Vertragsschlusses geklärt.
Richtig ist: Von der Frage der Einwilligungsfähigkeit und des richtigen Aufklärungsadressaten ist die Frage des wirksamen Abschlusses eines Behandlungsvertrages zu unterscheiden. Nur ein wirksamer Vertragsabschluss vermag auch eine Zahlungspflicht zu begründen. Wie sich die Einwilligung zu dem Abschluss eines Behandlungsvertrags verhält, ist immer noch nicht restlos geklärt.15a Sicher hingegen ist: Kinder unter sieben Jahren können keinen rechtswirksamen Vertrag begründen. Ihre Erklärungen sind rechtlich unbeachtlich. Für einen Jugendlichen zwischen sieben und achtzehn Jahren (Juristenjargon: „beschränkt geschäftsfähig“) stellt sich ein Vertragsschluss als rechtlich „nicht lediglich vorteilhaft“ dar, gleichviel wie „sinnvoll“ oder „günstig“ dieser erscheinen mag. Aus Gründen des Minderjährigenschutzes ist der Vertrag daher bis zur Genehmigung durch die Erziehungsberechtigten „schwebend unwirksam“. Das betrifft wohl auch
den (Zahn-)Arztvertrag. In der Literatur wird zwar vertreten, dass der einwilligungsfähige Patient auch einen wirksamen Behandlungsvertrag herbeiführen können muss 15b, in die Rechtsprechung hat diese Auffassung jedoch noch keinen Eingang gefunden.
Was tun? Der Zahnarzt sollte unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit eines minderjährigen Patienten vor Behandlungsbeginn immer auch dessen Erziehungsberechtigte einbinden, um seinen Zahlungsanspruch in der Folge realisieren zu können. Das gilt bei potenziell zuzahlungspflichtigen prothetischen Versorgungen stärker noch als bei konservierend-chirurgischen Behandlungen. Rechtssystematisch handelt es sich hierbei – jedenfalls außerhalb des kassenärztlichen Bereichs – um sogenannte Verträge zugunsten Dritter:16 Die Behandlung soll einem Dritten zugutekommen, die Zahlungspflicht sich jedoch gegen den Vertragspartner richten. Eben deshalb ist vor allem auch die wirtschaftliche Aufklärung sinnvollerweise an die Erziehungsberechtigten zu richten.
Was noch wichtig ist: Auch im Hinblick auf die Zahlungspflicht stellt sich die Frage, inwieweit der Vertragsschluss durch beide Elternteile erfolgen muss. Hier ist von dem familienrechtlichen Grundsatz auszugehen, dass sich die Ehegatten bei sogenannten Geschäften zur Deckung des Lebensunterhaltes gegenseitig vertreten.17 In den Fällen einer besonders kostenaufwendigen oder nicht gebotenen Behandlung sollte sich der Arzt rechtzeitig der Zustimmung oder der Mitverpflichtung des anderen Ehegatten versichern.18 Anderes gilt, wenn die Eltern in Scheidung oder getrennt leben: Hier gibt es keine gesetzlich fingierte Vertretungsmacht.19 Der „gute Glaube“ an eine bestehende Ehe wird nicht geschützt: Im Zweifel ist Vertragspartner daher nur derjenige, der den Minderjährigen begleitet.20 Dem Zahnarzt ist also zu raten, sich genau zu erkundigen, in wessen Namen der anwesende Elternteil die Erklärung abgibt.
Eltern unbedingt mit einbinden
Auch wenn es das Recht nicht in jedem Falle verlangt: Bei der Behandlung minderjähriger Patienten sollten Eltern unbedingt mit eingebunden werden. In wirtschaftlicher Hinsicht riskiert der Zahnarzt anderenfalls, dass sein Vergütungsanspruch leer läuft. Jedenfalls die sogenannte Selbstbestimmungsaufklärung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar primär an die Erziehungsberechtigten zu richten. Allerdings kann dem minderjährigen Patienten ein Vetorecht zustehen. Schon deshalb sollte auch der minderjährige Patient vom Zahnarzt voll aufgeklärt und gegen seinen Willen nach Möglichkeit nicht behandelt werden.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Autoren: FA, MedR Norman Langhoff, LL.M., RA Niklas Pastille