Recht 27.05.2011

Zahnbehandlung in Vollnarkose bei „extremen Angstpatienten“



Zahnbehandlung in Vollnarkose bei  „extremen Angstpatienten“

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Indikation zur Extraktion und rechtliche Risiken

Immer wieder sehen sich Behandler nach abgeschlossener Behandlung in Vollnarkose mit Patientenansprüchen konfrontiert, da die Patienten angeblich vom Ergebnis der Behandlung – häufig Extraktionen – völlig überrascht sind. Einen derartigen Fall hat das Land­gericht Heidelberg Az.: 4O 133/09 am 16.02.2011 beurteilt.

Eine Patientin wurde von ihrem Hauszahnarzt zur konservierend-chirurgischen Sanierung an den Behandler überwiesen. Auf der Überweisung war vermerkt „bei der Patientin handelte es sich um eine extreme Angstpatientin“. Das Gebiss ist desolat und weit überdurchschnittlich geschädigt.

Es fanden verschiedene Voruntersuchungen statt. Inwieweit dabei über die Extraktion von Zähnen gesprochen wurde, war streitig. In den Behandlungsunterlagen findet sich der Vermerk: „Patientin aufgeklärt, dass bei Pulpaeröffnung der Zahn extrahiert wird.“ Im Formular Narkoseplanung ist unter Aufklärung der Punkt „Extraktionen“ angekreuzt worden. Der Eingriff wurde in Intubationsnarkose durchgeführt, insgesamt wurden zwölf Zähne extrahiert.

Die Patientin behauptete nach dem Eingriff, sie habe nie in eine Extraktion eingewilligt, sondern sei die ganze Zeit von einer konservierend-chirurgischen Sanierung ausgegangen. Nach dem Aufwachen aus der Narkose habe sie einen schweren Schock erlitten, nachdem sie feststellte, dass ihr zwölf Zähne gezogen worden seien. Die Zähne seien alle erhaltungswürdig und vital gewesen. Auf dieser Grundlage hat sie Klage erhoben und ein Schmerzensgeld von mindestens 20.000 Euro gefordert.

Das Landgericht Heidelberg hat zu der Frage, inwieweit es indiziert war, die Zähne zu extrahieren, Sachverständigengutachten erhoben. Der Sachverständige sah für die Extraktion von elf Zähnen eine eindeutige Indikation. In diesem Zusammenhang traf er im Hinblick auf die Indikation zur Extraktion von Zähnen von Angstpatienten sehr weitreichende Feststellungen, die vom Landgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen wurden.

Feststellungen

Der Sachverständige führt aus, dass bei der intraoperativ gestellten Indikation zur Extraktion der Zähne unbedingt die Zahnarztphobie der Patientin, die eine reguläre zahnärztliche Behandlung praktisch ausgeschlossen habe, mitberücksichtigt werden müsse. Die Einschätzung der Erhaltungsfähigkeit von Zähnen müsse in solchen Fällen daher auch unter dem Gesichtspunkt gefällt werden, ob der Versuch der Zahnerhaltung eine angemessene Prognose habe und eine adäquate Nachsorge gewährleistet sei. Es könne durchaus sein, dass einzelne Zähne per se grundsätzlich erhaltungsfähig seien, jedoch unter den individuell bei einem Patienten vorliegenden Bedingungen keine Indikation für den Erhalt gestellt werden könne. Bei Patienten mit Zahnarztphobien sei das Ziel jeder Sanierung unter Vollnarkose, dass möglichst keine Nachbehandlungen erforderlich seien, die eine erneute Narkose bedingen würden. Behandlungen, die eine unsichere Prognose hätten, seien daher bei solchen Patienten kontraindiziert, da eine Narkose, welche eigene Risiken und Belastungen für den Patienten bedeuten würde, nicht beliebig ausgedehnt oder zeitnah wiederholt werden könnte.

Die Entscheidung

Allein hinsichtlich eines Zahnes konnte der Sachverständige die Indikation nicht bestätigen, da für diesen Zahn eine ausreichende Dokumentation – sowohl prä­operativ als auch postoperativ – fehlte. Für den Verlust dieses Zahnes sprach das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro zu. Ansprüche wegen eines Aufklärungsfehlers und damit fehlender Einwilligung der Patientin sprach das Gericht nicht zu.
Die Eintragungen in die Patientenakte und den Aufklärungsbogen wurden vom Gericht als Indiz dafür gewertet, dass eine Aufklärung über die Extraktion erfolgt ist. Darüber hinaus standen Zeugen zur Verfügung, die den Inhalt der Aufklärung bestätigten. Insoweit sah das Gericht den Beweis durch den Behandler als erbracht an, dass eine ausreichende Aufklärung erfolgt ist, auch wenn die Patientin aus vielerlei verständlichen Gründen sich im Nachhinein nicht mehr an den genauen Inhalt der geführten Gespräche erinnern könne.

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