Statements 27.02.2014
Hygieneverordnung mit unterschiedlicher Umsetzung in den Kantonen
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Bei der Umsetzung von Verordnungen und Gesetzen stösst der Föderalismus, mehr aber noch die Fachkenntnis, auf allen Stufen der Gesundheitsvorsorge an seine Grenzen.
Statement von Prof. Dr. Bernhard Guggenheim
Heureka, es ist vollbracht! Jüngst wurde eine Checkliste abgesegnet, welche schweizweit einheitliche Inspektionen von ärztlichen und zahnärztlichen Praxen erlaubt. Dies unter Leitung des Luzerner Kantonsapothekers Dr. Stephan Luterbacher bzw. der Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Instandhaltung und Wiederaufbereitung von Medizinprodukten (MEP) sowie deren Kontrolle gemäss der Medizinprodukteverordnung (MepV) vom 1.7.2010.
Diese Checkliste soll Zahnärzten ermöglichen, sich über den verlangten Hygienestandard zu informieren. Sie ist in Struktur und Inhalt einwandfrei. Sie wurde vor Jahren von Zahnärzten für Zahnärzte konzipiert und später in den von der Swissmedic publizierten Leitfaden „Gute Praxis zur Aufbereitung von Medizinprodukten in Arzt- und Zahnarztpraxen“ übernommen. Die Mitarbeit von Mitgliedern der Hygienekommission der SSO war dabei essenziell.
So weit, so gut. Leider sind alle ärztlichen Spezialdisziplinen aus dem Fokus der Verordnung verschwunden. Es wurde eine „lex denticorum“ geschaffen, die bisher in den Kantonen sehr unterschiedlich umgesetzt wurde – aber besonders in der Westschweiz seltsame Blüten trieb. Im Kanton Genf sind Spitalhygieniker daran, sich eine obligatorisch bezahlte Ausbildung von Praxispersonal und die Praxisinspektionen unter den Nagel zu reissen und ganz nebenbei die Anschaffung eines Schweissgerätes für Sterilisationsbeutel vorzuschreiben. In der Waadt versuchte eine Kontrolleurin den Praxisinhabern eine Produktelinie für Desinfektionsmittel schmackhaft zu machen. Hygieneinspektionen sollten aber frei von kommerziellen Interessen sein!
Hepatitis B, früher eine Berufskrankheit von chirurgisch Tätigen, ist nach Verbreitung der Impfung praktisch verschwunden. Durch stetige Verbesserung der Praxishygiene in den letzten 20 Jahren, besonders durch die Einführung der Hand- schuh- und Maskentragpflicht, verringerten sich die früher nicht seltenen Bläschenstomatitiden nach Behandlungen. Eine Übertragung von HIV in Zahnarztpraxen fand nie statt. Heute ist das Risiko, in einem öffentlichen Verkehrsmittel virale Infektionen durch Aerosole zu erleiden, unvergleichlich höher als in einer Praxis.
Dagegen werden rund 70’000 Personen in der Schweiz jährlich Opfer einer Spitalinfektion, davon 2’000 mit tödlichem Verlauf. Wird angesichts dieser Tatsachen besonderes Augenmerk auf die Hygiene in Zahnarztpraxen gelegt, so ist dies schlicht ein Verhältnisblödsinn.
*Mitglied der Kommission für Praxishygiene der SSO