Oralchirurgie 08.09.2015
DVT-Diagnostik bei Gefäßstielverknöcherung nach Fibula-Transplantation
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Die Therapie großer Tumore in Ober- und Unterkiefer erfordert häufig eine Resektion von Weichgewebe und Knochen, was wiederum eine Knochentransplantation zur Folge hat. Im vorliegenden Fall wurde nach einer Tumortherapie mit Rekonstruktion des Oberkieferdefektes mittels Fibulatransplantat eine starke Einschränkung der Mundöffnung festgestellt.
Eine DVT-Aufnahme bestätigte den Verdacht einer Ossifizierung des Gefäßstieles des Fibulatransplantates – eine seltene Komplikation, die eine operative Revision erfordert. Wie der vorliegende Fall bestätigt, ist die digitale Volumentomografie (DVT) dabei ein präzises Verfahren zur prä- und postoperativen Diagnostik.
Fortgeschrittene Tumore des Ober- und Unterkiefers erfordern häufig eine ausgedehnte Resektion von Weichgewebe und Knochen. Der daraus resultierende Knochen- und Weichteildefekt muss häufig in mehreren Schritten rekonstruiert werden. Die am häufigsten verwendeten osteomuskulären und osteomuskulokutanen Transplantate sind hierbei das Beckenkamm-, das Skapula- sowie das Fibulatransplantat.1 Der Vorteil des Fibulatransplantates liegt in seiner großen Länge, dem Gefäßstiel mit konstantem Größendurchmesser und der Möglichkeit der mehrfachen Osteotomie, sodass der Unterkiefer gegebenenfalls von Gelenk zu Gelenk rekonstruiert werden kann.2 Zudem ist die Entnahmemorbidität bei Erwachsenen sehr gering. Die definierte Gefäßversorgung erfolgt durch die Arteria und Venae peronea.3 Der Gefäßanschluss im Kopf-Hals-Bereich erfolgt im Klinikum Oldenburg zumeist durch End-zu-Seit-Anastomose an der Arteria carotis externa und Vena jugularis interna.
Fallbericht
Ein 64 Jahre alter Patient stellte sich zur Nachsorge nach ausgedehnter Tumoroperation in unserer ambulanten Sprechstunde vor. Bei dem Patienten wurde im April 2014 ein Plattenepithelkarzinom des linken Oberkiefers diagnostiziert. Am 14.04.2014 erfolgte die Tumorresektion mit Oberkieferresektion in Regio 23–27 und die provisorische Deckung des Defektes. Die pathologische Begutachtung ergab folgendes Tumorstadium: (pT1 pN0 (0/45)/L0 V0-G2).
Am 17.06.2014 erfolgte die Rekonstruktion des Oberkieferdefektes mittels osteomyokutanem Fibulatransplantat von links. Der Gefäßstiel wurde durch einen vestibulär, subperiostal gelegenen Wangentunnel in das obere Halsdreieck geführt. Der Anschluss erfolgte dort an der linken Arteria carotis externa und Vena jugularis interna mittels End-zu-Seit-Anastomose (Abb. 1).
Die postoperativen Kontrolluntersuchungen zeigten zunächst einen regelgerechten Heilungsverlauf. In der Sprechstunde im August 2014 berichtete der Patient jedoch über eine zunehmende Einschränkung der Mundöffnung. Der klinische Befund ergab eine Schneidekantendistanz (SKD) von ca. 1 cm. Es zeigte sich ein stabiles und gut durchblutetes Transplantat (Abb. 2). Zur bildgebenden Diagnostik wurde bei dem Patienten zunächst ein Orthopantomogramm (Planmeca ProOne, Helsinki, Finnland) angefertigt (Abb. 3). In dieser zeigte sich intermaxillär links eine längliche, unscharf begrenzte Verschattung, die vom linken Kieferwinkel bis zum Fibulatransplantat im Oberkiefer reichte.
Um eine dreidimensionale Darstellung der verschatteten Strukturen zu erlangen, wurde eine DVT-Aufnahme (SCANORA 3D, SOREDEX, Tuusula, Finnland) angefertigt (Abb. 4). Im DVT zeigte sich vestibulär des linken Ober- und Unterkiefers eine vom kaudalen Unterkiefercorpus ausgehende, zum Transplantat führende, durchgängige, ovale, unscharf begrenzte Verschattung. Die Lage und der Verlauf der röntgenopaken Verschattung im DVT entsprachen der Lage des Gefäßstieles. Die durchgeführte Diagnostik ergab den Verdacht einer Ossifizierung des Gefäßstieles des Fibulatransplantates.
Im September 2014 erfolgte in unserer Klinik die Exzision der Ossifizierung am Gefäßstiel und gleichzeitige Narbenlösung am Weichgewebe (Abb. 5 und 6). Der histopathologische Befund ergab Knochengewebe mit regelhaften Osteozyten, herdförmigen Osteoblasten und faserreichem Bindegewebe. Im Präparat waren weiterhin Anschnitte von hyalinem Knorpel enthalten (Abb. 7 und 8).
Postoperativ konnte durch die Abtragung der Ossifizierung eine deutliche Verbesserung der Mundöffnung erreicht werden. Zehn Tage postoperativ zeigte der Patient eine Schneidekantendistanz von 2,5 cm. Der Patient wurde angehalten, mittels Spatelübungen und dem TheraBite® Gerät die Mundöffnung täglich mehrmals zu trainieren. Bei der Kontrolluntersuchung im August 2015 weist der Patient eine Mundöffnung mit einer Schneidekantendistanz von 3,4 cm auf (Abb. 9). Das Orthopantomogramm (SCANORA 3D, SOREDEX, Tuusula, Finnland) zeigt keinen Hinweis auf eine erneute Verknöcherung des Gefäßstieles. Durch die verbesserte Mundöffnung konnten dem Patienten im August 2015 vier Implantate im linken Oberkiefer inseriert werden (Abb. 10).
Diskussion
Mikrochirurgisch revaskularisierte Transplantate werden in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie routinemäßig zur Rekonstruktion im Ober- und Unterkiefer eingesetzt. Für die gleichzeitige Wiederherstellung des Weichteil- und Knochendefektes ist das revaskularisierte, osteomyokutane Fibulatransplatat die Therapie der Wahl. Über die Ossifizierung des Gefäßstieles als postoperative Komplikation sind Einzelfälle in der Literatur beschrieben worden. So führten deConde et al. im Zeitraum von 1995 bis 2010 bei 520 Fibula transplantierten Patienten postoperative Kontrolluntersuchungen durch. In 14 Fällen (2,5 %) konnte bei klinischen Beschwerden eine heterotrophe Knochenneubildung um den Gefäßstiel festgestellt werden.4 In einer weiteren Studie von Myon et al. aus dem Jahr 2012 wurde bei 14 von 149 Patienten (9,3 %) eine vollständige Ossifizierung des Gefäßstieles beschrieben. Alle 14 Patienten hatten klinisch apparente Beschwerden und im CT war eine Verknöcherung deutlich zu erkennen.5
Als auslösende Faktoren werden zurzeit drei mögliche Hypothesen diskutiert: zum einen die Periost-Hypothese. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das Periost, welches sich am Fibulatransplantat befindet, osteogenes Potenzial besitzt und eine Ossifikation entlang des Gefäßstieles induziert.6,7 Die zweite These ist, dass bei der Einheilung des knöchernen Anteils des Fibulatransplantates in das Transplantatbett die daran beteiligten Zellen Wachstumsfaktoren freisetzen, die auch zu einem osteoinduktiven Potenzial entlang des Gefäßstieles führen.5,8 Der dritten Hypothese liegt die Vermutung zugrunde, dass der Körper als Reaktion auf mechanische Reize (Belastung durch Mundöffnungsbewegungen und Kaubewegungen) die Ossifizierung des Gewebetunnels und des Gefäßstieles induziert.5
Eine Verknöcherung des Gefäßstieles mit konsekutiver Einschränkung der Mundöffnung ist immer mit einer starken Reduzierung der Lebensqualität verbunden. Für die chirurgische Intervention zur Verbesserung der Mundöffnung ist die präoperative Vermessung der Ossifizierung von hoher Relevanz. Eine sinnvolle Bildgebung ist hier die digitale Volumentomografie. Durch die dreidimensionale Darstellung war im hier beschriebenen Fallbeispiel eine genaue Lokalisierung der röntgenopaken Zone möglich und die Verdachtsdiagnose einer Ossifizierung des Gefäßstieles konnte nachhaltig gesichert werden. Auch wenn das DVT im Weichteilbereich nur eine eingeschränkte Aussagekraft besitzt, kann eine Neo-Ossifizierung, wie im vorliegenden Fall, durch den guten Kontrast Knochen/Weichteile im DVT scharf abgebildet werden. Ein wesentlicher Vorteil liegt in der gleichwertigen Information bei insgesamt geringerer Strahlenbelastung als in der Computertomografie. Als Nebenbefund ermöglicht das DVT auch eine gute Verlaufsbeurteilung des Fibulatransplantates.
Zusammenfassung
Die Genese der Verknöcherung des Gefäßstieles ist unklar und die Diagnostik und Therapie erfordert neben klinischer Erfahrung auch eine präzise Bildgebung. Das DVT ist nach unserer Auffassung ein geeignetes bildgebendes Verfahren zur Diagnostik zur Beurteilung von Neo-Ossifizierungen des Gefäßstieles bei mikrovaskulären Transplantaten.
Die präzise Darstellung der Verknöcherung war eine sinnvolle Hilfestellung in der Operationsplanung und die Exzision des Gefäßstieles konnte mit größtmöglichem Erfolg durchgeführt werden. Weiterhin konnte durch die Bildgebung mittels DVT die Strahlendosis im Vergleich zur Computertomografie deutlich reduziert werden. Der Patient hat durch die verbesserte Mundöffnung einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität und im August 2015 konnten bereits mehrere enossale Implantate zur späteren prothetischen Weiterversorgung im linken Oberkiefer inseriert werden.
Co-Autorin: Dr. Dr. Eva Gudewer
Hier finden Sie eine ausführliche Literaturliste.