Branchenmeldungen 08.10.2015
„Hilfe für ein Lächeln“
share
Die Leipziger Zahnfeen kümmern sich um Angstpatienten aus allen sozialen Schichten.
„Jeder hat vor etwas Anderem Angst – aber man sollte versuchen, dagegen anzugehen“, sagt Birgit Müller-Taut. Für die gelernte Zahntechnikerin und ihre Kolleginnen gehört Zahnarztangst zum Alltag. Gemeinsam mit Steffi Meschke, gelernte Zahnarzthelferin, und Katja Herrmann, kaufmännische Angestellte in einem Dentallabor, leitet sie den Zahnfee e. V. im Leipziger Osten. Seit Juli 2010 begleiten sie Angstpatienten beim Zahnarztbesuch. Im Interview haben die drei ehrenamtlichen „Zahnfeen“ über ihre Erfahrungen und Wünsche geredet.
Bitte erklären Sie uns kurz, was der Zahnfee e.V. ist und wo seine Schwerpunkte liegen.
Birgit Müller-Taut: Leider gibt es immer mehr Menschen, die sich nicht zum Zahnarzt trauen, weil sie Angst haben oder weil sie denken, sie müssten dort horrende Preise bezahlen. Viele haben schlechte Erfahrungen gemacht oder schämen sich. Um diesen Menschen zu helfen, wurde der Verein Zahnfee e. V. gegründet.
Wem helfen Sie konkret mit Ihrer Arbeit, wer kommt hierher in die Beratungsstelle?
Katja Herrmann: Es gibt keinen typischen Patienten. Es kommen Jung und Alt, Frau und Mann zu uns.
Steffi Meschke: Wir sind für alle da, die Angst haben – unabhängig von der sozialen Schicht. Uns ist es wichtig, dass die Leute das wissen. Leider hält sich das Vorurteil, dass zu uns nur mittellose Menschen kommen können. Aber das stimmt nicht.
Birgit Müller-Taut: Ob Geringverdiener oder Rentner – zu uns kann jeder kommen, der Probleme mit den Zähnen hat. Selbst ein Professor mit Angst ist bei uns sehr willkommen.
Mit welchen Fragen und Problemen kommen die Menschen zu Ihnen, wie können Sie sie unterstützen?
Birgit Müller-Taut: Wir laden die Hilfesuchenden zunächst zu einem Gesprächstermin in unserer Beratungsstelle ein, um herauszufinden, warum sie Hilfe brauchen. Dann überlegen wir, welcher Zahnarzt konkret als Behandler infrage kommt und vereinbaren einen Termin in der entsprechenden Praxis. Wir begleiten den Betroffenen bei seinem Besuch, warten im Sprechzimmer oder gehen mit in den Behandlungsraum. Wichtig ist, dass der Kopf abgelenkt ist, denn hier liegt in der Regel das Problem. Grundsätzlich gehen wir solange mit zu den Terminen, wie die Patienten es brauchen.
Katja Herrmann: Die Zähne sind allerdings nur der erste Baustein. Viele benötigen auch Hilfe beim Ausfüllen von Krankenversicherungs- oder Hartz-IV-Anträgen. Das ist zwar eigentlich nicht unsere Aufgabe, aber wir unterstützen, so gut wir können mit Hilfe unserer Kooperationspartner.
Steffi Meschke: Wir schauen über den Tellerrand hinaus und vermitteln auch professionelle Hilfe oder verweisen auf Angebote wie beispielsweise die Schuldnerberatung.
Gibt es bestimmte Krankheitsbilder oder Probleme, die sich wiederholen?
Birgit Müller-Taut: Viele Patienten haben abgebrochene Zähne im Seitenzahnbereich. Leider kommen sie aus Angst davor, dass die abgebrochenen Zähne schlecht gezogen werden können, aber oft erst, wenn auch die Front schon bröckelt. Denn, wenn die Seitenzähne nicht mehr da sind, werden auch die Frontzähne nicht mehr abgestützt und dann fällt einer nach dem anderen aus. Auch wird die Parodontose von den Patienten nicht wirklich wahrgenommen. Was passiert, wenn das Zahnfleisch entzündet ist und was das mit dem gesamten Körper macht – darüber klären wir auch auf. Es kommt nicht nur auf die Zähne an. Der Körper ist eine Pyramide: Wenn ein Stein verrutscht ist, äußert sich das bis zur kleinen Zehe. Die Vergiftung im Mund kann zu Herzproblemen, Fehlgeburten oder Wirbelsäulenschäden führen.
Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit mit den Zahnarztpraxen, welche Kriterien sind dafür entscheidend?
Steffi Meschke: Wir haben spezielle Anforderungen an den Zahnarzt. Er muss Geduld und Zeit mitbringen. Unsere Zahnärzte haben Verständnis und schauen nicht auf die Uhr. Sie wissen, wenn ein Patient von der Zahnfee kommt, kann es auch einmal länger dauern.
Birgit Müller-Taut: Noch haben wir leider nicht in allen Leipziger Stadtteilen Kontakt zu Zahnarztpraxen. Aber mit den Zahnärzten, mit denen wir zusammenarbeiten, sind wir sehr zufrieden. Wir haben uns aber auch schon von Zahnärzten getrennt. Einige haben einfach das Feingefühl für diese Art von Patienten nicht.
Wie geht es den Menschen nach einer abgeschlossenen Zahnbehandlung? Welche Erfolge sehen Sie bei Ihrer ehrenamtlichen Arbeit und wie ist die Resonanz der Betroffenen?
Birgit Müller-Taut: Die Patienten, die zu uns kommen, halten oft beim Sprechen die Hand vor den Mund, öffnen kaum die Lippen und lächeln nicht mehr. Wenn sie sich dann behandeln lassen, merken sie, dass der Zahnarzt gar nicht so schlimm ist. Danach sind sie glücklich. Oftmals verändern sie sich dann auch äußerlich. Sie gehen auf einmal zum Frisör oder ziehen sich schöner an, fühlen sich wohler, sind reinlicher. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein. Viele Patienten sprechen uns später auf der Straße an, bedanken sich und zeigen stolz ihre Zähne. Das motiviert zum Weitermachen.
Katja Herrmann: Wenn sie nach der Zahnbehandlung endlich wieder lachen können, haben sie ein ganz neues Lebensgefühl. Deswegen ist unser Motto „Hilfe für ein Lächeln“. Die festen Termine geben außerdem Struktur. Junge Menschen, die aus der Drogenszene ausgestiegen sind, haben so angefangen, sich wieder zu organisieren. Sie haben sich einen Kalender angeschafft und stolz ihre Termine eingeschrieben.
Wie gestaltet sich die Arbeit des Vereins, welche Kooperationen gibt es und welche Aktionen führen sie durch?
Katja Herrmann: Bei Frühlingsfesten, Stadtteilfesten und Ähnlichem sind wir anwesend. Mit der Agentur für Arbeit organisieren wir auch Infoveranstaltungen, zum Beispiel zum Tag der Zahngesundheit.
Steffi Meschke: Auch Vereinigungen wie die Caritas oder die Anonymen Alkoholiker planen uns bei Veranstaltungen mit ein. Dort können wir Flyer verteilen und Aufklärungsarbeit leisten.
Was ist für die Patienten der Anstoß, hierher zu kommen? Wahrscheinlich kostet die meisten schon dieser Schritt Überwindung.
Katja Herrmann: Ich denke, es fällt den Patienten leichter hierher zu kommen, weil wir uns fern vom Arzt auf neutralem Boden bewegen. Über Mundpropaganda erfahren sie, dass ihnen hier geholfen wird und sie an die Hand genommen werden. Viele der Maßnahmenträger und die Agentur für Arbeit kennen uns und empfehlen uns auch weiter. Das Wichtigste ist, dass die, die gute Erfahrungen gemacht haben, darüber reden. Einige finden den Weg auch über unsere Webseite oder über Facebook zu uns. Das ist nur ein kleiner Prozentsatz, aber gerade die Jüngeren nutzen diese Möglichkeit.
Sie informieren auch über die Thematik Erwerbslosigkeit und Gesundheit – wie hängen diese beiden Dinge Ihrer Erfahrung nach zusammen?
Birgit Müller-Taut: Es gibt vor allem viele Frauen, die zum Beispiel wieder im Verkauf oder als Kellnerin arbeiten möchten, die aber so nicht angenommen werden. Ähnliches haben wir auch schon bei Männern in Handwerksberufen erlebt, die vom Vorarbeiter wegen ihrer Zähne nicht auf die Baustelle gelassen wurden. Viele Arbeitgeber sind aber bereit, ihren Arbeitnehmer freizustellen, damit dieser sich um seine Zähne kümmern kann.
Wer trägt die Kosten für die Zahnbehandlung?
Birgit Müller-Taut: Wir besprechen mit den Leuten bei der Beratung, wie ihre finanzielle Situation ist und was im Rahmen dessen möglich ist.
Katja Herrmann: In der Regel sind es Härtefälle, da übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Das wissen wiederum aber die meisten Patienten nicht.
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das soziale Engagement von Zahnarzthelferinnen, Zahnärzten und Zahntechnikern, um die allgemeine Mundgesundheit zu verbessern?
Katja Herrmann: Engagement ist äußerst wichtig. Das beginnt schon im Kindergarten: Früher kam der Zahnarzt regelmäßig zu Untersuchungen in die Bildungseinrichtungen. Heute bekommen die Eltern einen Zettel und es ist ihnen freigestellt, etwas zu tun. Es wird keiner mehr dazu angehalten.
Birgit Müller-Taut: Es gibt außerdem einen großen Bedarf an Zahnärzten, die Hausbesuche machen, um immobile Patienten zu erreichen. Aber die sind ganz selten. Es gibt so viele Patienten mit entzündeten Schleimhäuten oder Zahnschmerzen, die nicht von Zuhause wegkommen. Hier wäre eine bessere Versorgung nötig.
Katja Herrmann: Generell wäre es schön, wenn sich mehr Zahnärzte für das Thema sensibilisieren würden und sich wieder mehr darauf besinnen, warum sie Arzt geworden sind – um Menschen zu helfen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Vereins und für die Ihrer „Patienten“?
Katja Herrmann: Wir möchten gern in der Öffentlichkeit noch mehr wahrgenommen werden und unsere Arbeit bekannter machen.
Steffi Meschke: Natürlich wünschen wir uns auch weiterhin finanzielle Unterstützung von verschiedenen Seiten, denn damit steht und fällt das ganze Projekt. Es wäre schön, wenn Krankenkassen noch mehr honorieren, was wir leisten und dass wir ihnen Arbeit und Kosten ersparen, indem wir zum Beispiel Folgeerkrankungen verhindern. Leider erhalten wir aus dieser Richtung bisher kaum Unterstützung.
Birgit Müller-Taut: Wenn uns jemand unterstützen möchte, wir sind über jeden Spendenbetrag dankbar.
Unser gemeinnütziger Verein finanziert sich über Privatspenden. Damit decken wir unsere Kosten z.B. für die Räumlichkeiten, Telefon oder für Flyer. Mit einem Jahresmitgliedsbeitrag von 10 Euro kann man auch schon Gutes tun. Auch für Sachspenden sind wir jederzeit offen. Unsere Technik ist schon etwas veraltet und neue Büromöbel bräuchten wir auch, denn die fallen schon fast auseinander.
Kontakt:
Zahnfee e. V.
Rosa-Luxemburg-Straße 20
04103 Leipzig
Telefon 0341-42588943
info@gutezahnfee.de
Spendenkonto:
IBAN: DE31
8605 5592 1100 8021 14
BIC: WELADE 8L XXX
Sparkasse Leipzig
Anzeige