Implantologie 10.03.2016
Definitive Sofortversorgung eines parodontal kompromittierten Patienten mit sechs Implantaten
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Ziel der Maló-Methode ist es, die Zahl der operativen Eingriffe zu reduzieren, mit unmittelbarer Verbesserung der Lebensqualität. Bei dem hier vorgestellten Sofortversorgungskonzept „Set-on-six“ handelt es sich um eine Variante des Maló-Protokolls. Der zentrale Aspekt dieses Protokolls liegt auf der Optimierung hinsichtlich Kosten, Hygienefähigkeit, Zeitaufwand, Einfachheit, Stabilität und Variabilität. Praktische Relevanz haben vorhandene Ressourcen, wie parodontal stabile Restzähne, bestehende Implantate und vorhandener Knochen.
Die Methode
Nach initialer Planung durch ein Team aus Implantologe, Zahntechniker und Prothetiker, erfolgt die Aufklärung des Patienten hinsichtlich individueller Risikofaktoren. Gemeinsam werden Kosten bzw. prothetische Alternativen sowie die radiologische Eingangsdiagnostik (OPG, ZF) besprochen. Anschließend werden die üblichen Arbeitsunterlagen und Informationen zusammengestellt sowie die montierten Modelle analysiert.
Ein Set-up des Zahntechnikers visualisiert dann erstmals die Form des neuen Zahnersatzes – und bildet damit auch die kreative Basis für den Einsatz einer speziellen Multifunktionsschablone, der sogenannten „Set-on-six-Schablone“ (SOS-Schablone). Diese fasst mehrere Funktionen zusammen. Sie ist eine Röntgenschablone, Orientierungs- und Positionierungsschablone, Bohrschablone mit flexiblen Angulationswinkeln sowie eine Biss- und Fixationsschablone.
Ein DVT mit der SOS-Schablone hilft uns bei der metrischen Quantifizierung des vorhandenen Knochens, bei der genauen Planung der Implantatpositionen, den notwendigen Abwinkelungen sowie bei der Auswahl der Implantatgrößen, im Sinne eines Backward Planning.
Wir entschieden uns für die Implantate und Aufbauten eines Herstellers, der alle notwendigen Multiple-Unit Abutments in ausreichend verschiedenen Angulationen und Gingivahöhen bereitstellen konnte (Implant Direct).
Diese Implantate zählen zum Value-Segment und erlauben uns qualitativ hochwertige Versorgungen der Patienten bei gleichzeitiger Kosteneffizienz. Die Produktkompatibilität zu bestehenden Systemen unterstützte zusätzlich unsere Entscheidung.
Optimale Orientierung mit der SOS-Schablone
Der Chirurg erhält durch die Multifunktionsschablone exakte Vorgaben der Implantatpositionen. Trotzdem bleibt er innerhalb der Vorgaben des prothetischen Set-ups bezüglich der Angulation der einzelnen Implantate sehr flexibel und kann sich am vorgefundenen Knochenangebot intraoperativ orientieren. Allerdings sollte das Einbringdrehmoment der Insertion über 30 Ncm liegen. Besonders wichtig ist eine hohe primäre Stabilität des distalen Pfeilers.
Der Prothetiker bestimmt die Auswahl der geeigneten Multiple-Unit Abutments in Abhängigkeit der mukogingivalen Analyse, Mukosadicke und Insertions-tiefe. Besonders im anterioren Bereich ist die Durchtrittsstelle des Schraubenkanals kritisch für ein zufriedenstellendes und ästhetisches Erscheinungsbild. Die Schablone optimiert die linguale/palatinale bzw. die okklusale Orientierung bei der Insertion durch ihre Freiheitsgrade während der Bohrungen (Abb. 1). Auf den Aufbauten werden Titankappen verschraubt und optional gekürzt, um bei der Bissnahme nicht zu stören. Vor
der Registrierung werden die Titan-kappen mit Kunststoff an der Schablone fixiert (Abb. 2). Nach Wiederabnahme der Titankappen schützen Kunststoff-Komfortkappen die Multiple-Unit Abutments (Abb. 3). Vor bzw. nach durchgeführter Insertion erhält der Patient entsprechend OP-Protokoll eine individuelle orale Antibiose, Analgesie und entsprechende Mundhygieneinstruktionen.
Vorteil: Hohe Anzahl von Implantaten bei großer Stabilität
Um Früh- und Spätkomplikationen bei einer Sofortversorgung zu reduzieren, ist eine hygienefähige mukosale Basis absolut notwendig. Eine schmale, konvexe, hochglanzpolierte, punktuell aufliegende Form der Kunststoffbasis bietet für die Plaque die geringste Retentionsfläche und sorgt, ähnlich wie ein Brückenglied, für höchstmögliche Hygienefähigkeit (Abb. 4 und 5). Ebenso muss der Zahnersatz eine hohe Biegefestigkeit aufweisen, die nur mit einem verschraubten Stahlgerüst zu realisieren ist. Mikrobewegungen der Implantate werden durch den Zahnersatz somit vermindert. Die angestrebte polygonale Verteilung der prothetischen Pfeiler und die hohe Anzahl der Implantate sichern eine verbesserte Überlebensrate.
Durch die exakte Vorbereitung hat das Labor genügend Zeit, ein individuelles Metallgerüst zu modellieren und zu gießen (Abb. 6). Die Kieferrelation kann aus der fixierten Multifunktionsscha-blone übernommen werden. Höhe und Basisgestaltung der Brücke werden nach evaluierten Parametern eingearbeitet. Für die Zahnaufstellung werden Konfektionszähne verwendet, um schnell und variabel reagieren zu können, aber auch um Kosten zu sparen.
Der definitive Zahnersatz wird nach 48 Stunden mit 20 Ncm auf den Abutments aufgeschraubt, die Schraubenkanäle mit Kunststoff verschlossen und der Biss nochmals exakt eingeschliffen. Mittels OPG-Röntgenkontrolle wird die Passgenauigkeit der Restauration überprüft. Anschließend kann der Patient den Zahnersatz sofort belasten. Allerdings sollten zunächst größere Kaukräfte vermieden werden, besonders aufgrund der enoralen Vulnerabilität. Eine Remontierung des Zahnersatzes wird üblicherweise nach vier Monaten vorgenommen, um den krestalen Spalt basal zu unterfüttern und an die neue mukosale Situation anzupassen.
Bei der Abnahme des Zahnersatzes werden die Implantate und Abutments kontrolliert und nochmals mit 30 Ncm nachgezogen. Eventuelle Residuen an Fäden (i.d.R. resorbierbar) werden entfernt und parodontale Infektionsfaktoren behandelt.
Wirksames Konzept mit hoher Variabilität
„Set-on-six“ ist ein wirksames alternatives Konzept, das eine hohe Variabilität bietet. Natürliche Zähne oder vorhandene Implantate können ohne Problem mit eingearbeitet werden, was die primäre Stabilität weiter erhöht. Trotz der Verwendung von sechs Implantaten bleiben die Kosten für die Implantatteile überschaubar. Die Herstellung des Zahn-ersatzes wird ohne digitalen Workflow ermöglicht. Neben der Einbringung -eines CBCT kann der Chirurg flexibel intraoperativ die optimale Insertion/Angulation beherrschen und die Ausrichtung dem horizontalen beziehungsweise vertikalen Knochenangebot anpassen. Primäre ausgedehnte, rekonstruktive Augmentationen sind in diesen Fällen nicht notwendig.
Die Sofortversorgung mit Titanaufbauten bietet folgende Vorteile:
- Kein sekundärer definitiver Zahnersatz notwendig – das spart enorme Kosten.
- Die biomechanische Stabilität ist -höher als bei einem rein kunststoffbasierten Provisorium.
- Mikrobewegungen und Manipulationen in der sensiblen Phase der Implantateinheilung werden vermieden, eine bakterielle Kontamination wird minimiert.
- Die Ästhetik, Phonetik und Funktion sind von Anfang an subjektiv gegeben.
- Der verschraubte Zahnersatz ist -wegen der bedingten Abnehmbarkeit reparaturfreundlich.
Fallbeispiele
Fall 1
81-jährige Frau in altersentsprechendem Allgemeinzustand mit zwei osseointegrierten alten Implantaten, Regio 45 und 46, die bisher mit Kronen versorgt waren. Die Zähne 33 und 43 unter der Unterkieferfrontzahnbrücke waren parodontal insuffizient (Lockerung II–III), mit zirkulären, horizontalen und vertikalen Osteolysen. Die restlichen Zähne rechts im Unterkiefer waren ebenfalls gelockert und für einen Zahnersatz nicht einsetzbar.
Das CBCT bestätigt die Knochendefekte im anterioren Unterkiefer. Es diente als Vorlage zur Ausrichtung der Implantate und laborseitig dem Set-up der SOS-Schablone (Abb. 7). Die Insertion der Implantate (Implant Direct Swish-Plus) konnte exakt nach den Vorgaben der Schablone durchgeführt werden.
Für das Implantat 42 wurde ein Aufbau mit 15 Grad Abwinkelung gewählt, bei 32, 34 und 36 kamen gerade Aufbauten mit 2 mm bzw. 3 mm Höhe zum Einsatz, bei 45 und 46 gerade Aufbauten mit 1 mm Gingivahöhe. Die Overdenture-Titankappen wurden aufgesetzt und in der Schablone fixiert. Im nächsten Schritt wurde die intermaxilläre Relation mit der Schablone bestimmt. Zwei Tage postoperativ wurde der Zahnersatz spannungsfrei eingeschraubt, die Schraubenkanäle mit Kunststoff verschlossen und der Biss feinjustiert (Abb. 8).
Fall 2
68-jähriger Patient mit moderaten Risikofaktoren, Restbezahnung im Oberkiefer mit 13/23. Drei Wochen präoperativ erfolgte eine endodontische Behandlung zur Vorbereitung des Patienten. Die Zähne wurden danach auf Zahnfleischniveau gekürzt und jeweils ein Multiple-Unit Abutment (Implant Direct) ausgerichtet und einpolymerisiert (Abb. 9).
Um bei freiliegendem Dentin Karies zu vermeiden, wurden die Trennstellen mit Kunststoff abgedeckt und geglättet. Nach Insertion der Implantate kamen bei 15, 16 und 26 Aufbauten mit 4 mm Gingivahöhe zum Einsatz, bei 11, 21 und 25 Abutments mit 15 Grad Neigung. Die Abutments auf 13 und 23 wurden analog enossaler Implantate verwendet. Beim definitiven Einsetzen des Zahnersatzes wird der Spalt zwischen Zahnersatz und Zahn mit dualhärtendem Kunststoff verschlossen (Abb. 10 und 11).
Fall 3
Es stellte sich ein 73-jähriger Patient mit insuffizienter Frontzahnbrücke und extraktionswürdigen Zähnen 34, 33, 32, 42 und 43 (Abb. 12) vor. Auf sechs Implantaten wurde ein definitiver Zahn-ersatz nach dem Protokoll des „Set-on-six“-Systems eingegliedert (Abb. 13 und 14).
Fazit
Mit dem „Set-on-six“-System existiert ein neuartiges Vorgehen mit den Vorzügen des bekannten All-on-4®-Verfahrens. Essenziell ist dabei die sofortige Eingliederung eines definitiven Zahnersatzes zu erschwinglichen Kosten. Die Komplexität des Verfahrens und die Herstellung der SOS-Schablone setzt eine gute Abstimmung zwischen erfahrenem Zahnarzt, Chirurgen und Zahntechniker voraus.
Durch die große Primärstabilität und basale Gestaltung wurde eine Überlebensrate von 100 Prozent der eingesetzten Restaurationen in dem beobachteten Zeitraum von drei bis fünf Jahren mit zufriedenstellender Implantatgesundheit erreicht.