Implantologie 06.04.2016

Zygoma Shorty All-on-4 nach totalem Knochenverlust im Oberkiefer



Zygoma Shorty All-on-4 nach totalem Knochenverlust im Oberkiefer

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Der vorgestellte Fall zeigt die Möglichkeit eines implantat­getragenen Zahnersatzes mit Zygoma- und Shorty-Implantaten im Oberkiefer nach Totalverlust des zahntragenden Anteils und beider Kieferhöhlen.

Anamnese, klinische und radiologische Befunde

Ein 59-jähriger Patient wurde erstmals in die Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Marienhospitals Stuttgart überwiesen zur implantologischen Neuversorgung nach völligem Implantatverlust im Oberkiefer. Im Unterkiefer bestand eine Restbezahnung von 35, 34, 33, 43 und 44, die Zähne allesamt endodontisch behandelt mit Sondierungstiefen von 3–4 mm und radiologisch ohne periapikale Auffälligkeiten. Die Zähne waren als Pfeiler verblockend überkront mit 32–42 als Brückenzwischenglieder sowie an den Pfeilerzähnen 35 und 44 jeweils eine Matrize zur Verankerung einer Geschiebeprothese. Wunsch des Patienten war ein stabiler Zahnersatz im Oberkiefer. Aufgrund u. g. Besonderheiten war ein Halt der vorhandenen Totalprothese im Oberkiefer nicht gewährleistet, weshalb diese überwiegend nicht getragen wurde. Die Anamnese ergab bis auf einen Diabetes mellitus Typ II keine wesentlichen Risikofaktoren. Die klinische und radiologische Diagnostik (OPG, FRS, CT-Gesicht) zeigte einen Knochendefekt des Oberkiefers mit Totalverlust des zahntragenden ­Anteils und beider Kieferhöhlen (Abb. 1 und 2). Der knöcherne Hartgaumen und Nasenboden wies eine Restknochenhöhe von lediglich 1–2 mm auf. Wei­terhin bestand eine Diskrepanz mit erheblicher Verkürzung in der Transversal- und Sagittalebene (Abb. 2).

Behandlungsplan

In komplexen Fällen bietet die Anfertigung eines individuellen Patientenmodells anhand dreidimensionaler Daten (CT-Gesicht) große Vorteile zum „Begreifen“ der Patientenanatomie bei der Planung und Durchführung von Modelloperationen (Hammer et al. 2010, Zizelmann et al. 2012). Das individuelle knöcherne Patientenmodell zeigte in diesem Fall, dass die gegebenen Platzverhältnisse lediglich die sichere Posi­tionierung von insgesamt zwei Zygoma-Implantaten zuließen und hier somit keine Möglichkeit eines Quad-Zygoma-Konzepts bestand. Zur Schaffung eines Knochenlagers für eine Abstützung auf vier Implantaten wurde deshalb eine dreidimensional additive Augmentation mit autologem Knochen vom Beckenkamm geplant (Khoury 1999). Da nach völligem Verlust beider Kieferhöhlen der Sinuslift ausgeschlossen war, wurde hier alternativ eine Ein- und Auflagerungsosteoplastik im Bereich des anterioren Nasenbodens zur späteren Aufnahme von zwei Implantaten gewählt. Die Knochenaugmentation wurde beidseits auf den Bereich der verbliebenen Crista zygomaticoalveolaris ausgedehnt, um zukünftig einen direkten Mukosakontakt bzw. ein Freiliegen von Zygoma-Implantatgewinden über größere Abschnitte zu vermeiden. Da für diesen Bereich die zu ergänzende Knochenstärke teilweise über 8 mm lag, wurde ein zweizeitiger Knochenaufbau geplant. Maßstab für die benötigte Knochenmenge und die Positionierung der Implantate waren die Erkenntnisse durch die Modelloperation.

Chirurgische Phase

In Intubationsnarkose erfolgte die Knochenaugmentation nach Entnahme von autologem Knochen (Kortikalisblöcken und Spongiosa) vom rechten Beckenkamm über einen modifizierten Zugang mit Exposition des ortsständigen Knochens entsprechend dem standardmäßigen Vorgehen zur Vorbereitung einer Osteotomie in der Le Fort I-Ebene mit Präparation und Elevation des Nasenschlauches. Die partikulierten Kortikalisblöckchen wurden auf Distanz mit Schräubchen befestigt und mit Spongiosa unterfüttert, im Bereich des anterioren Nasenbodens erfolgte eine Einlagerungsosteoplastik mit Spongiosa (Abb. 3 und 4). Der augmentierte Bereich wurde großflächig mit Bio-Gide®-Membranen bedeckt, nach Mobilisation der Mukoperiostlappen erfolgte der primäre Wundverschluss mit Prolene® 6.0 Einzelknopfnähten. Nach einer Einheilzeit von vier Monaten mit regelmäßigen Verlaufskontrollen und unter vollständigem Verzicht auf das Tragen der Oberkieferprothese bzw. eines provisorischen Zahn­ersatzes wurde beim zweiten Eingriff in Intubationsnarkose über den gleichen Zugang der gesamte augmentierte Bereich exponiert. Es zeigte sich eine erfolgreiche Integration des aufgebauten Knochens (Abb. 5). Nach Entfernung von 13 Schräubchen wurden posterior zwei Brånemark System Zygoma TiUnite® RP 40 mm-Implantate sowie anterior ein NobelSpeedy® Shorty RP 4 x 7 mm und ein NobelSpeedy® Groovy RP 4 x 8,5 mm unter Berücksichtigung der Modelloperation und des Brånemark-Protokolls inseriert. Über einen paramarginalen Zugang wurden aus dem linken Kieferwinkelbereich Knochenspäne mit dem Safescraper® gewonnen. Diese wurden mit Bio- Oss®-Granulat gemischt und die freiliegenden Zygoma-Implantatgewinde bedeckt (Abb. 6). Der augmentierte Bereich wurde mit Bio-Gide®-Membranen bedeckt und nach Mobilisation der Mukoperiostlappen primär verschlossen (Abb. 7 und 8). Nach einer sechsmonatigen geschlossenen Einheilzeit mit regelmäßigen Verlaufskontrollen und unter vollständigem Verzicht auf das Tragen eines Provisoriums erfolgten die Freilegung der vier Implantate und die Konnektion mit entsprechenden Einheil­abutments in Lokalanästhesie (Abb. 9).

Prothetische Phase

Nach zweiwöchiger Gingivakonditionierung wurde eine Oberkieferabformung mit Impregum® auf Implantatniveau unter Verwendung des Impression Coping Open Tray Systems von Brånemark® genommen. Die vertikale und sagittale Relation wurde durch einen Wachswall bestimmt und eine zen­trische Bissnahme durchgeführt. Nach Anfertigung und Anprobe der Wachs­aufstellung wurde im zahntechnischen Meisterlabor ein individueller Präzi­sionssteg nach Dolder® angefertigt. Der Steg wurde im Mund auf seinen passiven Sitz und radiologisch auf seine Passgenauigkeit geprüft (Abb. 10). Mit der Gerüsteinprobe wurden alle funktionellen und ästhetischen Parameter nochmals überprüft und die Hybridprothese fertiggestellt. Der individuelle Steg wurde mit einem Drehmoment von 35 Ncm verschraubt und die Implantat-Steg-Rekonstruktion mit einem OPG überprüft (Abb. 11).

Diskussion

Der klinische Einsatz von Zygoma-Implantaten für den atrophierten Oberkiefer ist insgesamt gut dokumentiert (Al-Nawas et al. 2004, Becktor et al. 2005, Bedrossian 2006, Maló et al. 2005). Zygoma- und kurze Implantate werden jedoch meistens zur Vermeidung eines aufwendigen Knochenaufbaus mit dem Vorteil einer kürzeren Behandlungszeit verwendet (Maló et al. 2005, Bedrossian 2006). In diesem Fall zeigte sich bereits in der Planungsphase, dass selbst nach umfangreichem zweizeitigem Knochenaufbau der Einsatz nur dieser Implantate möglich war, da die noch wesentlich aufwendigere mikrovaskuläre Rekonstruktion des Oberkiefers z.B. mit einem freien Fibulatransplantat aufgrund der unverhältnismäßig hohen Risiken sowie der Kosten und der langen Rekonvaleszenz für den Patienten keine Alternative darstellte. In Anbetracht der Ausgangssituation war das beschriebene Vorgehen in diesem Fall die noch am einfachsten umsetzbare Lösung für einen kombinierten Zahnersatz. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit für das Einheilen des Knochenaufbaus sowie der gesetzten Implantate zu erhöhen, wurde über den gesamten Behandlungszeitraum auf ein Provisorium verzichtet. Dieser Umstand war für den Patienten jedoch nicht sehr schwerwiegend, da die bisherige völlig haltlose Oberkieferprothese ohnehin kaum getragen wurde. Der Fallbericht zeigt eindrücklich, mit welchen erheblichen Knochendefekten ein Implantatverlust einhergehen kann. So ist das Fehlen bzw. der Verlust der Kieferhöhlen zumeist bei Fällen nach Tumorresektionen des Oberkiefers oder als Rarität bei Nichtanlage beschrieben (Parel et al. 2001, Lana et al. 2012, Weed und Cole 1994). Die Versorgung mit Implantaten ist hier besonders herausfordernd, da bewährte Konzepte für einen Knochenaufbau wie der Sinuslift oder alternative Implantatpositionen im Bereich des Tubers oder paranasal nicht zur Verfügung stehen (Zizelmann et al. 2007). Dennoch zeigt der vorgestellte Fall, dass auch nach einem Knochenverlust von erheblichem Ausmaß eine funktionell und ästhetisch befriedigende prothetische Versorgung eines gesamten Oberkiefers mit einer verblockten Stegrekonstruktion auf lediglich vier ­Implantaten möglich ist.

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