Implantologie 20.04.2016
Chairside-Herstellung einer komplexen prothetischen Versorgung
Die digitale intraorale Erfassung sowie die Chairside-Fertigung von Zahnersatz haben sich seit der Einführung des CEREC-Systems vor über 30 Jahren als computergestütztes Herstellungsverfahren immer weiter etabliert. Keramische Restaurationen können in nur einer Sitzung hergestellt und eingegliedert werden. Im folgenden Beitrag wird eine Komplettversorgung dargestellt, die in der Praxis mittels Chairside-Verfahren umgesetzt wurde. Die Autoren beschreiben dabei den Planungsprozess sowie die einzelnen Behandlungsschritte, von den prothetischen Frontzahnrekonstruktionen bis hin zu implantatgetragenen Verbundbrückenversorgungen im Seitenzahnbereich.
Das Chairside-Verfahren ermöglicht eine zeit- und kostensparende Fertigung von Zahnersatz. In der Regel können Patienten in nur einer Behandlungssitzung versorgt werden. Je nachdem, ob die Restaurationen charakterisiert bzw. individualisiert (Schichtkeramik, Malfarben) oder nur poliert werden, variiert der Zeitaufwand. Ein weiteres Argument für das CEREC-Verfahren ist die Flexibilität bei der Materialwahl. Der Zahnarzt kann heute indikationsspezifisch ganz gezielt geeignete CAD/CAM-Werkstoffe auswählen.
Ausgangssituation und Behandlungsplanung
Die Patientin konsultierte die Zahnarztpraxis mit dem Wunsch einer prothetischen Neuversorgung. Die digitale Volumentomografie zeigt die Ausgangssituation (Abb. 1). Durch den Verlust der Zähne im Unterkiefer-Seitenzahnbereich hatte sie Schwierigkeiten beim Essen. Die Zähne im oberen Frontzahnbereich zeigten zudem ausgeprägte keilförmige Defekte. Bei der Befunderhebung wurde im Oberkiefer darüber hinaus eine insuffiziente Brückenversorgung im zweiten Quadranten diagnostiziert. Im Unterkiefer waren die Zähne 34 bis 43 vorhanden. Zahn 34 war klinisch und funktionell suffizient mit einer Krone versorgt. Im unteren Seitenzahnbereich war die Patientin beidseits zahnlos, wobei in Regio 44 und 45 noch Wurzelreste vorhanden waren. Die klinische Funktionsdiagnostik zeigte keine Auffälligkeiten. Die Patientin wurde umfassend zu allen Behandlungsoptionen beraten. Ihr primärer Wunsch war eine schnelle Verbesserung der ästhetischen Situation im Frontzahnbereich innerhalb weniger Sitzungen. Deshalb wurde nach umfangreicher Vorbehandlung – entgegen der Empfehlung der Behandler – vor der Versorgung des Seitenzahnbereichs mit den ästhetischen Frontzahnrekonstruktionen begonnen.
Behandlungsplan:
- Hygienephase/Vorbehandlung vor prothetischer Versorgung im OK und UK
- Minimalinvasive ästhetische Versorgung im oberen und unteren Frontzahnbereich
- Insertion von fünf Implantaten in den Seitenzahnbereichen des Unterkiefers und implantatgetragene Versorgung mit vollkeramischen Brücken
- Ersatz der insuffizienten Metallkeramik-Brücke in Regio 24 bis 27
Vorbehandlung sowie Hygienephase vor prothetischer Versorgung
Vor der Behandlung wurde eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt und das parodontal vorgeschädigte Gebiss über mehrere Wochen mit dem Antibiotikum Metronidazol vorbehandelt, um stabile parodontale Verhältnisse zu schaffen. Darüber hinaus wurden die Wurzelreste 44 und 45 extrahiert und der Heilungsprozess mittels Recall überwacht. Durch die umfangreiche Vorbehandlung wurde eine Situation geschaffen, mit der eine positive Prognose für die Behandlung gegeben werden konnte.
Erste Behandlungssequenz: Frontzahnversorgung
Im ersten Schritt wurde der Zahn 23 nach minimalinvasiven Kriterien für ein Veneer präpariert (Abb. 2). Die physiologischen Okklusionskontakte blieben hierbei erhalten. Mit dem intraoralen Scanner (CEREC Bluecam, Sirona Dental GmbH, Wals, Österreich) wurde die Situation digital „abgeformt“ und mit der CAD-Software ein Veneer konstruiert. Bei dieser Indikation fiel die Entscheidung auf VITABLOCS Mark II (VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen). Die Feinstruktur-Feldspatkeramik bietet eine hohe Transluzenz und ermöglicht eine gute farbliche Integration der Versorgung (Chamäleon-Effekt). Zum Schleifen der Konstruktion wurde das praxiseigene CAM-System (Sirona inLab MC XL, Sirona Dental GmbH, Wals) eingesetzt. Nach einer Einprobe des Veneers und kleinen Formkorrekturen erfolgten eine farbliche Charakterisierung mit Malfarben sowie der Glasurbrand. Zur Befestigung der keramischen Verblendschale auf Zahn 23 wurde VITA DUO CEMENT (VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen) eingesetzt. Dieser erste Teilschritt erfolgte, um die Patientin von den Vorteilen des CEREC-Verfahrens zu überzeugen und sie zu einer umfassenden Versorgung im Ober- und Unterkiefer zu motivieren.
Die Patientin zeigte sich nach der Veneerversorgung positiv überrascht. So konnten fünf weitere Restaurationen für den Oberkiefer-Frontzahnbereich eingeplant werden. Zunächst wurden dafür die Zähne 13 bis 22 minimalinvasiv für eine vollkeramische Krone präpariert. Um eine bestmögliche farbliche Integration zu gewährleisten, wurden die vier Einzelkronen aus Feldspatkeramik-Rohlingen (VITABLOCS Mark II, VITA Zahnfabrik) herausgeschliffen, anatomisch reduziert und intraoral einprobiert (Abb. 3). Die individuelle Verblendung konnte danach mit den Massen aus dem VITA VM 9 ESTHETIC KIT in wenigen Schritten umgesetzt werden. Nach dem Glanzbrand wurden die Kronen final eingegliedert und daneben auch Zahn 22 mit einem Veneer versorgt (Abb. 4).
Ferner wurden noch die sechs Unterkiefer-Frontzähne noninvasiv versorgt. Hierfür wurde die Situation mit der Intraoralkamera erfasst, und anhand des virtuellen Modells wurden Veneers CAD/CAM-gestützt hergestellt. Hier entschieden sich die Autoren ebenfalls für die Feldspatkeramik-Rohlinge VITABLOCS Mark II (VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen). Das manuelle Ausarbeiten der Verblendschalen dauerte nur wenige Minuten. Nach kleinen Korrekturen der Zahnform konnten die Veneers poliert und definitiv eingegliedert werden. Die Restaurationen fügen sich in ihrer Form und Farbe sehr gut in die Restzahnsubstanz ein. Abbildung 5 zeigt die finale Situation nach Eingliederung der Frontzahnversorgungen.
Zweite Behandlungssequenz: Implantation
Basierend auf dem DVT (digitale Volumentomografie) der Ausgangssituation wurden fünf Implantate im Unterkiefer-Seitenzahnbereich anatomisch sowie prothetisch orientiert geplant. Das Inserieren der Implantate in Regio 44, 45, 46 und 35, 36 gestaltete sich aufgrund dieser präoperativen Planung problemlos (Abb. 6). Zwölf Tage nach der Insertion konnten
die Fäden entfernt werden.
Dritte Behandlungssequenz: Brückenversorgung im Unter- und Oberkiefer
Sechs Monate später waren die Implantate osseointegriert und die prothetische Versorgung konnte eingegliedert werden. Erneut war das Chairside-Verfahren das Mittel der Wahl. Zunächst wurden die Titanbasen auf den Implantaten verschraubt und die Achsneigung der Implantate in Bezug auf die Einschubrichtungen der Suprastrukturen überprüft. Nach dem intraoralen Scan der Situation fertigten die Autoren die Brücken im VITA Rapid Layer Technology-Verfahren. Als Gerüstmaterial wurde das Zirkondioxid VITA YZ (VITA Zahnfabrik) verwendet. Die Verblendstruktur wurde aus VITABLOCS-Rohlingen (VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen) geschliffen. Sowohl die Implantat-brücken im Unterkiefer als auch die Brücke im 2. Quadranten des Oberkiefers wurden mit dieser Methode gefertigt. Mit wenigen Mausklicks konnten mittels Multilayer-Software vollanatomische Brücken modelliert werden (Abb. 7). Die Software berechnete dabei aus den vollanatomischen Konstruktionsdaten zwei Datensätze: 1. Gerüststruktur (VITA YZ, VITA Zahnfabrik) und 2. Verblendstruktur (VITABLOCS Mark II, VITA Zahnfabrik). Beide Datensätze wurden separat an die Schleifeinheit zur Herstellung der Werkstücke übermittelt. Nach dem Sintern der Zirkondioxid-Gerüste erfolgte die adhäsive Verbindung von Gerüst und Verblendung. Die Restaurationen wurden über die Titanbasen adhäsiv mit den Implantaten verbunden. Abbildung 8 und 9 zeigen die Schlusssituation nach Eingliederung. Dank der guten lichtoptischen Eigenschaften und der funktionsgerechten Gestaltung fügten sich alle Restaurationen natürlich und harmonisch im Mund der Patientin ein (Abb. 10).
Fazit
Der Patientenwunsch nach möglichst wenigen Behandlungssequenzen konnte erfüllt werden. Alle Restaurationen wurden in der Zahnarztpraxis gefertigt. Dank der zunehmenden Materialvielfalt gewinnt die wirtschaftliche Chairside-Fertigung von Zahnersatz weiter an Attraktivität. Innovative CAD/CAM-Werkstoffe und neue CAD/CAM-Verfahren erweitern kontinuierlich das Behandlungsspektrum.
Autoren:
Dr. Sergej Kochanov
Hotel „Peking” 5/1
Moscow, Russia 123001
Kochanov.S@mail.ru
Dr. Peter Schletter
(* 1954 † 2015)