Oralchirurgie 16.08.2016
Nervenläsionen vermeiden mit Infiltrationsanästhesie
share
Irreversible Nervenschädigungen durch die dentale Leitungsanästhesie sind sehr selten. Dennoch ist bei der Aufklärung des Patienten auf mögliche Komplikationen und Alternativen gemäß der aktuellen Rechtslage hinzuweisen. Als adäquate Alternative kann zur Leitungsanästhesie die Infiltrationsanästhesie oder intraligamentäre Anästhesie in Betracht gezogen werden. In der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums in Homburg/Saar wird bei dentoalveolären Eingriffen auch im Unterkiefer daher bevorzugt die Infiltrationsanästhesie verwendet.
Zum Einsatz kommt dabei 4%iges Articainhydrochlorid mit Adrenalin 1:100.000 (Ultracain® D-S forte, Sanofi). Das Präparat weist eine gute Knochengängigkeit auf und die Technik bietet wegen der eingriffsnahen Vasokonstriktion eine gute Übersicht über das Operationsfeld. Daher ist sie auch für die Implantatinsertion im Unterkieferseitenzahngebiet geeignet.
Für Sensibilitätsstörungen des Nervus lingualis und Nervus alveolaris inferior werden in der Literatur verschiedene Ursachen diskutiert.1 Im Zusammenhang mit der Leitungsanästhesie steht die Verletzung des Nervs durch die Injektion des Lokalanästhetikums in die Umgebung des Nervenstammes oder in den Nerv selbst. Dabei kann der Nerv mechanisch beispielsweise durch die Kanülenspritze irritiert werden. Auch Gefäßläsionen können zu einer vorübergehenden Sensibilitätsstörung in Folge von Hämatomen mit Nervenkompression führen.2
Prävalenz und Folgen
Die Literatur gibt eine Prävalenz von reversiblen Sensibilitätsstörungen mit 0,1 Prozent an. Im Hinblick auf Dauerschädigungen liegt die Häufigkeit bei unter 0,01 Prozent.2 In einer eigenen Untersuchung von 1.560 Leitungsanästhesien trat eine temporäre Sensibilitätsstörung auf.1 Daraus ergibt sich eine Komplikationsquote von 0,06 Prozent. Das vollständige Abklingen der Symptome kann je nach Ausmaß der Schädigung zwischen wenigen Tagen und mehreren Monaten dauern. Auch über die seltene und bei permanentem Auftreten die Lebensführung durchaus beeinträchtigende Nervenschädigung ist der Patient gemäß Rechtsprechung vor der Lokalanästhesie und der Behandlung aufzuklären.3 Unabhängig vom Haftungsrisiko ist auch zu bedenken, dass der Patient die Folgen einer Sensibilitätsstörung negativ mit dem Besuch der Praxis verbindet.
Infiltrationsanästhesie als Alternative zur Leitungsanästhesie
Daher ist es angezeigt, andere Lokalanästhesie-Verfahren wie Infiltrationsanästhesie oder intraligamentäre Anästhesie fallweise einzusetzen. Selbst bei dentoalveolären Eingriffen einschließlich der Insertion von enossalen Implantaten kann die Infiltrationsanästhesie vielfach anstelle der Leitungsanästhesie verwendet werden. Um auch über die Dauer des Eingriffs ausreichend lange und tief zu anästhesieren, wird an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 4%iges Articainhydrochlorid mit Adrenalin 1:100.000 verwendet. Es besitzt eine große therapeutische Breite bei guter Knochenpenetration und gegenüber Lidocain eine höhere Wirksamkeit bei geringerer Toxizität. Articain weist zudem eine gute Gewebeverträglichkeit auf und es besitzt insgesamt eine sehr kurze Latenzzeit von 1 bis 10 Minuten je nach Patient.
Die anästhetische Wirkung entsteht, indem die terminalen Nervenendigungen blockiert werden. Obgleich die Infiltrationsanästhesie aufgrund der relativ kompaktarmen und porösen Knochenstruktur im Oberkiefer als Mittel der Wahl zur lokalen Schmerzausschaltung angesehen wird, kann sie ebenso trotz der kompakten Knochenstruktur im Unterkiefer primär und supplementär eingesetzt werden.2 Aufgrund seiner pharmakologischen Eigenschaften erscheint dafür Articain gut geeignet zu sein.
Fallbericht: Implantatinsertion im Unterkiefer links
Anästhesie am Plexus dentalis
Für die Implantatinsertion im dritten Quadranten bei einem 60-jährigen, männlichen Patienten in gutem Allgemeinzustand (Nichtraucher, keine Medikamenteneinnahme) setzten wir ebenfalls auf die Infiltrationsanästhesie. Der Patient wies eine Freiendlücke im Unterkiefer links auf. Nach zahnärztlicher Vorbehandlung und Therapieaufklärung erfolgte die Planung für die Einsetzung von drei enossalen Implantaten zur Befestigung von Einzelkronen. Bereits vor sechs Monaten waren im Unterkiefer rechts zwei enossale Implantate in Infiltrationsanästhesie inseriert worden. Für die nun bevorstehende Insertion von drei enossalen Implantaten (Typ: Bone Level Roxolid® SLActive® Regular CrossFit®, Institut Straumann AG) applizierten wir
supraperiostal sowohl bukkal als auch lingual
je 2 ml 4%iges Articainhydrochlorid mit Adrenalin 1:100.000 am Plexus dentalis (Abb. 1 und 2). Nach einer Einwirkzeit von etwa fünf Minuten konnte eine vollständige Anästhesie im Operationsgebiet festgestellt werden. Eine weitere Injektion war nicht erforderlich.
Insertion von drei enossalen Implantaten
im Unterkiefer links
Nach klinischer Untersuchung, Vorbehandlung und Modellauswertung erfolgte die Anfertigung einer Röntgenmessschablone, welche auch als Orientierungsschablone zur Markierung der Implantatpositionen verwendet wurde. Anhand der Panoramaröntgenschichtaufnahme mit eingesetzter Messreferenz wurde die mögliche Implantatlänge bestimmt.
Präoperativ erhielt der Patient 2.000 mg Amoxicillin. Nach bukkaler und lingualer Infiltrationsanästhesie im Unterkiefer links (Abb. 1 und 2) erfolgte die krestale Inzision mittig auf dem Kieferkamm. Vorausgegangen war die orientierende Markierung der Implantationsstellen auf der Schleimhaut durch die Bohrhülsen der Orientierungsschablone. Die krestale Inzision wurde distal an Zahn 34 durch eine kleine marginale Inzision mit vertikaler Entlastung erweitert (Abb. 3). Ebenso erfolgte distal eine bukkale Entlastungsinzision. Nach begrenztem Abklappen des bukkalen und lingualen Mukoperiostlappens wurden die Implantpositionen durch die Orientierungsschablone auf dem Kieferkamm mit einem Rosenbohrer markiert. Nach Ankörnung des Knochens (Abb. 4) erfolgte dann die Pilotbohrung über die Orientierungsschablone (Abb. 5). Dann erfolgte die schrittweise Erweiterung des Implantatbettes bis zum jeweiligen gewünschten Implantatdurchmesser (Abb. 6). Die Implantatachsen und Präparationstiefen wurden nach jeder Bohrung mit den jeweiligen Ausrichtungsstiften überprüft. Danach erfolgte die Profilbohrung bis zur geplanten Höhe der Implantatschulter. Schließlich erfolgte der Gewindeschnitt über die gesamte Länge des Implantatbettes. Abschließend wurden die Implantate mit der Ratsche manuell in das Implantatbett eingebracht (Abb. 7).
Die eingebrachten Implantate wurden mit einer Bio-Gide Membran (Geistlich Biomaterials) abgedeckt und das beim Bohrvorgang gewonnene Knochenmaterial wurde bukkal an den Implantaten angelagert (Abb. 8). Nach einer Behandlungszeit von ca. 60 Minuten erfolgte der schichtweise Wundverschluss mit Vicryl 4.0 und Supramid 4.0 (Abb. 9). Die postoperativ angefertigte Panoramaröntgenschichtaufnahme zeigte die im Unterkiefer links eingebrachten Implantate (Abb. 10). Zehn Tage postoperativ wurden die Wundfäden entfernt. Dabei bestanden dehiszenz- und entzündungsfreie Wundheilungsverhältnisse. Nach einer Einheilzeit von vier Monaten ist die Implantatfreilegung vorgesehen. Danach schließt sich die Einzelkronenversorgung an.
Fazit
In den meisten Fällen der einfachen Implantation und selbst bei multiplen Implantationen ist die Wirktiefe und -dauer der Lokalanästhesie mit 4%igem Articainhydrochlorid mit Adrenalin 1:100.000 ausreichend und eine weitere Anästhetikumgabe nicht notwendig. Die Anästhesiedauer beträgt unserer Erfahrung nach im Unterkiefer am Plexus dentalis durchschnittlich etwa 90 Minuten, wobei es individuelle Unterschiede gibt. Sollte sich der Eingriff verzögern oder die anästhetische Wirkung früher nachlassen, lässt sich das Präparat unter Beachtung der spezifischen Höchstmengen nachinjizieren. Bei einer Leitungsanästhesie am Foramen mandibularis bestünde grundsätzlich das Risiko der Nervenläsion mit temporärem oder permanentem Nervenausfall. Die Infiltrationsanästhesie hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Weichgewebsanästhesie während und nach dem Eingriff deutlich lokaler ausfällt. Damit bleibt die häufig von Patienten als unangenehm empfundene Gefühlsminderung im Bereich der Unterlippe aus. Für die postoperative Analgesie setzen wir je nach Patientenbedarf auf Ibuprofen in den für den Patienten angepassten Dosierungen.
Quellen:
- Hickel R, Spitzer WJ, Petschelt A, Voß A: Zur Problematik von Sensibilitätsstörungen nach Leitungsanästhesie im Unterkiefer. Dtsch Zahnärztl Z. 1988; 43: 1159–61.
- Daubländer M, Kämmerer PW: Lokalanästhesie in der Zahnmedizin. Forum-Med-Dent 2011, Sanofi-Aventis, Berlin.
- Bender W, Taubenheim L: Eine ernst zu nehmende Alternative? zm – Zahnärztliche Mitteilungen 2016; 106: 338–342.