Branchenmeldungen 06.06.2016

Syrer erhält neues Gesicht durch mikrochirurgische Rekonstruktion

Syrer erhält neues Gesicht durch mikrochirurgische Rekonstruktion

Foto: © Klinik für MKG-Chirurgie Diakovere Henriettenstift Hannover

Ein 22-jähriger syrischer Jurastudent wurde als Unbeteiligter von einem Granatsplitter im Gesicht getroffen, lebensgefährlich verletzt und entstellt. Nach der Notversorgung und ersten rekonstruktiven Maßnahmen in Jordanien wird sein Gesicht jetzt in mehreren Schritten in Deutschland wiederhergestellt. Der junge Mann berichtete gestern auf der Jahres-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) anlässlich des großen 66. Kongresses in Hamburg über seine bewegende Geschichte zum neuen Gesicht.

In den letzten Jahren gab es weltweit einige spektakuläre Gesichtstransplantationen, mit denen Patienten nach Schuss-, Biss- oder sonstigen entstellenden Verletzungen ein neues Gesicht erhielten. Im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich als Gewebespende von einem Toten. Trotz der allgemein entfachten Euphorie sehen die Mitglieder der DGMKG in den zeitgemäßen Rekonstruktionstechniken eine gleichberechtigte, wenn nicht sogar in den meisten Fällen eine bessere Möglichkeit, Betroffenen ihr Gesicht zurückzugeben.

Die Gründe sind vielschichtig: Bei schweren Unfällen kommen umfangreiche Weichgewebeverletzungen des gesamten Gesichts ohne Beteiligung der darunter liegenden knöchernen Strukturen in Europa kaum vor. Bei den sehr aufwendigen kompletten Gesichtstransplantationen wird jedoch ausschließlich das Weichgewebe übertragen. Das geht meist mit großen Einbußen hinsichtlich des Empfindens einher, denn nicht nur die Nerven für die mimische Muskulatur müssen so angeschlossen werden, dass sie funktionieren, sondern iInsbesondere auch die Tast- und Berührungssensibilität sind für eine langfristig zufriedenstellende Funktion wesentlich. Überdies darf nicht vergessen werden, dass bei einer Transplantation die lebenslange Behandlung mit sogenannten immunsuppressiven Medikamenten notwendig ist, damit der Körper das fremde Gewebe nicht abstößt. Deren Nebenwirkungen sind jedoch nicht zu unterschätzen: Sie können unter anderem zu Krebserkrankungen, Infektionen und Nierenschäden führen. Lässt man sie weg, beginnt der Körper, das Transplantat abzustoßen, wie kürzlich ein US-Amerikanisches Experiment bestätigte. Deshalb sind geeignete alternative Therapien für die DGMKG die erste Wahl, nicht zuletzt auch, weil sie häufig auf Verletzungen der knöchernen Struktur in Kombination mit Weichteildefiziten treffen, die schrittweise ansprechend wiederhergestellt werden können.

Als aktuelles Beispiel demonstriert Prof. Dr. Dr. Gerd Gehrke, Pressereferent der DGMKG, die Gesichtsrekkonstruktion nach einer schweren Granatsplitterverletzung eines syrischen Jurastudenten.

Von Granatsplitter lebensgefährlich verletzt und entstellt

Der junge Syrer wurde als Unbeteiligter in Daara/Syrien, unweit der jordanischen Grenze, im April 2015 lebensgefährlich von einem Granatsplitter im Gesicht getroffen, Teile der Oberlippe und des Oberkiefers sind herausgerissen. Die lebensrettende Versorgung erfolgte im nahen Amman/ Jordanien, das Mittelgesicht wurde stabilisiert. Die ersten Rekonstruktionen zeigten nicht den gewünschten Erfolg.

Durch den Teilgesichtsverlust kann der Student nicht mehr normal essen und muss längerfristig über eine perkutane Magensonde (PEG) ernährt werden. Um seine Entstellung zu verbergen, trägt er immer einen Mundschutz.

Schritt für Schritt zu neuer Lebensqualität

Ein Jahr später wird das Gesicht des Patienten in mehreren Schritten in Deutschland wiederhergestellt. Dabei gingen die Hannoveraner MKG-Chirurgen um Prof. Gehrke in drei Abschnitten vor: Zuerst wurde durch eine anspruchsvolle Gewebeverschiebung (per muskulokutanem, zunächst gefäßgestieltem Lappen nach dem seit 1898 bekannten Verfahren von Abbée) die Oberlippe in gleicher Hauttextur und mit Bartteilen rekonstruiert – für einen Mohammedaner ein nicht unwichtiger Aspekt. „Bei der äußeren Weichgeweberekonstruktion wird bevorzugt ortsnahes Gewebe zur Transplantation herangezogen, damit gelingen die unauffälligsten Wiederherstellungen“, erläutert Prof. Gehrke.

Dann folgten ein mikrochirurgischer Gewebetransfer vom Unterarm zum Oberkiefer sowie die Unterfütterung mit einem Knochentransplantat vom Becken. Prof. Gehrke demonstriert die ersten Schritte dieser komplexen Rekonstruktion und zeigt die aktuelle Situation vor der noch anstehenden Zahnimplantation und Zahnersatzherstellung am Patienten. Gesichtstransplantationen werden eine Ausnahme bleiben, andere Verfahren erleben permanente Weiterentwicklung, so die einhellige DGMKG-Überzeugung.

Quelle: DGMKG

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