Cosmetic Dentistry 27.11.2013

Cosmetic Dentistry anno dazumal



Cosmetic Dentistry anno dazumal

Foto: © Hasloo Group Production Studio – Shutterstock.com

Dass gepflegte Zähne nicht nur im Dienst der Nahrungsaufnahme stehen, sondern auch ganz wesentlich zu einem schönen Erscheinungsbild beitragen, ist heute allgemein anerkannt. Die seit 2003 erscheinende Zeitschrift „cosmetic dentistry“ gehört zu den frühen Wegbegleitern und Förderern dieses Trends. Wie wertvoll ein schönes Zahnbild aber auch schon vor mehr als 100 Jahren eingeschätzt wurde, ahnen wohl heute nur wenige Zahnärzte.

Glaubt man zeitgenössischen Zitaten von anno dazumal, so zählten schöne Zähne schon vor über 100 Jahren zu den „wichtigsten Schmuckattributen des Menschen“. Und wer möchte wohl dem ebenfalls damals formulierten Satz widersprechen: Selbst „der hässlichste (Mensch) kann verschönert werden durch ein Lächeln, bei welchem eine Perlreihe von Zähnen sichtbar wird“ (H. Paschkis: Kosmetik für Ärzte. Wien 1905. S. 287). Auch die Schönheitsexpertin Olga Tschechowa versicherte ein halbes Jahrhundert später, 1954, in ihrem Schönheitsbrevier „Frau ohne Alter“, dass bei der Beurteilung der Schönheit der Mund und die Zähne eine „ausschlaggebende Rolle“ spielen (S. 251).

Dass dabei auf dem Weg zur Schönheit allerdings einiges zu tun war, darüber ließ ein Pionier der kosmetischen Medizin wie Dr. Heinrich Paschkis schon 1905 keinen Zweifel: „Vollkommen schöne Zähne sind fast so selten wie vollkommene Diamanten.“ (H. Paschkis: Kosmetik für Ärzte. Wien 1905. S. 287).

Ideal

Was galt Anfang des 20. Jahrhunderts nun aber als Ideal?

  1. Normalstellung und Lückenlosigkeit der Zahnreihe (ohne Achsendrehung)
  2. Reinheit (Beläge, Färbung der Zahnsubstanz)
  3. Idealfarbe: reines Weiß
  4. Gesundes Zahnfleisch
  5. Freiheit von Zahnerkrankungen
  6. Kein Mundgeruch (Halitosis)
  7. Ästhetische Ess-, Schluck- und Kautechnik

Zum damaligen Wunschkatalog gehörten

  1. eine Normalstellung und eine lückenlose Zahnreihe,
  2. eine von unschönen Belägen und Färbungen freie Zahnsubstanz,
  3. blendend reines Weiß als Wunschfarbe.
  4. zählte zum kosmetischen Ideal auch ein gesundes und schönes Zahnfleisch; die interdentalen Schleimhautpyramiden sollten nicht zu weit hervorspringen und die Begrenzungslinie des Zahnfleisches sollte in einer zarten Wellenlinie verlaufen.
  5. waren Zahnerkrankungen unerwünscht,
  6. möglichst kein unangenehmer Mundgeruch und schließlich wurde
  7. im Rahmen der zahnärztlichen Verschönerungskunst auch noch an die Ess-, Kau- und Schlucktechnik gedacht.

Mundpflege und Zahnreinigung

Als Ausgangspunkt und Basis aller redlichen Bemühungen empfahl sich das sog. Mundwaschen nach Paschkis, das in drei Phasen ablief:

Dreizeitiges Mundwaschen nach Paschkis mit lauwarmem Wasser:
Erster Schluck: Waschen der hinteren Mundhöhle, Kopf rückwärts gebeugt, bei erster Schlingbewegung ausspucken.
Zweiter Schluck: Waschen der mittleren Mundhöhle zwischen Gaumen und Zahnreihen, Neigung des Kopfes von einer zur anderen Seite.
Dritter Schluck: Vordere Mundhöhle zwischen Zähnen und Lippen

Damit ließen sich schon einmal die lose anhaftenden Schleim- und Speisepartikel entsorgen. Um das an und zwischen den Zähnen klebende Material zu entfernen, bedurfte es dann schon eines besonderen Instruments wie der Zahnbürste. Ein mit einem Leinenläppchen umwickelter Zeigefinger genügte nicht. Die Zahnputztechnik bestand aus mehrmaligen Bewegungen – horizontal und vertikal –, und auch die Kauflächen waren zu bearbeiten.

Grundsätzlich richtete sich die Empfehlung zum Einsatz einer geeigneten Bürste damals an die besser situierten städtischen Schichten, da diese weiche Nahrung zu sich nähmen. Bauern, Arbeiter und Brandweintrinker konnten nach Meinung der Experten wegen der auch als Putzmittel wirkenden härteren Nahrungsmittel und ihrer mit dem Alkoholkonsum verbundenen desinfizierenden Lebensgewohnheiten auf derartige Prozeduren eher verzichten. Die geschilderte Prozedur aus Mundwaschung und Zahnreinigung war möglichst zweimal am Tag – morgens und abends –, aber auch nach jeder größeren Speisenaufnahme und auch nach dem Rauchen angesagt.

Zur Zahnreinigung gehörte bisweilen auch ein Zahnpulver oder auch eine Zahnpasta, die als fertiger Markenartikel damals gerade immer beliebter wurde. Zahnpasten waren Zahnpulver, die mit Glyzerin, Sirup, Honig und Weingeist zu weichen Teigen geformt wurden. Zahnpulver bestanden aus ein oder mehreren Pulverarten, die mit ätherischen Ölen oder wohlriechenden Pflanzenpulvern vermengt wurden. Das Pulver wurde auf die mit Wasser befeuchtete Zahnbürste aufgetragen. Die mit aromatischen, antiseptischen und desodorierenden Substanzen versetzten Mundwässer, Zahnpulver und -pasten sollten nur alle 14 Tage verwendet werden. Die aggressiven Materialien führten ansonsten zu Schmelzdefekten. Dass man damals auch schon die interdentale Zahnreinigung anmahnte, wirkt auch heute noch durchaus modern. Dazu gab es Zahnstocher aus hartem Schildpatt, elastischem Pfaffenkäppchenholz oder ganz vornehm auch aus Elfenbein. Zudem wurde schon damals eine gewachste Seide zur interdentalen Reinigung als besonders effektiv angesehen.

Zahnbeläge und Zahnstein

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem ästhetischen Zahnbild war die Entfernung von unschönen Zahnbelägen und Zahnstein. Auf dem Wunschzettel stand ja eine glatte, schön glänzende und nicht von Zahnstein bedeckte Zahnoberfläche. Seit man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur chemischen Analyse in der Lage war, wusste man, dass Zahnstein aus phosphor- und kohlensaurem Kalk und phosphorsaurem Magnesia besteht und auch organische Substanzen beigemischt waren. Weichen Zahnstein, bei dem die Kalksalze fehlten, konnte man manchmal schon durch eine konsequente Mundreinigung entfernen. Der harte Zahnstein erforderte dagegen einen instrumentellen Einsatz, der dem Zahnarzt vorbehalten war. Zur Entfernung von versteinerten Belägen bediente man sich auch etlicher Pulver aus natürlich vorkommenden alkalischen Erden, gebranntem Marmor, Ossepiae, Austernschalen und roten Korallen. Letztere waren Ordinationsformen für die wohlhabende Klientel im Sinne einer „Pharmacopoea elegans“. Dazu passte, dass diese Pulver daneben auch noch zur Politur geeignet waren. Besonders empfohlen zur mechanischen Reinigung der Zahnoberfläche war auch Bimsstein als Pulver mit kleinster Korngröße. Aber wie andere Poliermittel schädigte auch er bei längerem und zu häufigem Gebrauch den Zahnschmelz. Doch war Bimsstein als Putz- und Poliermittel nicht unbeliebt, denn er machte auch noch die Zähne weiß – Womit wir denn auch bei diesem Thema wären.

Strahlend weiße Zähne

Wenn es denn so richtig blendend weiße Zähne sein sollten, kam man auch damals schon am Bleichen nicht vorbei. Zum Bleichen der Zähne wurde eine ganze Reihe von chemischen Mitteln benutzt, die als Zahnpulver oder in Form von Mundwässern ihre Wirkung entfalten sollten. So setzte man alkalihaltigen Zahnpulvern z.B. Salz-, Phosphor- oder Oxalsäure zu. Als bleichende Stoffe dienten auch schweflige Säure, Chlor und Wasserstoffperoxid. Nachteilig war, dass es beim Einsatz dieser aggressiven Stoffe in zahlreichen Fällen zur Auflockerung des Epithels der Mundschleimhaut bis hin zu blutenden Ulzerationen kam. Da war es doch ratsamer, die Zähne mit Linden-, Tier- und Brotkohle heller zu machen. Eine Sonderform war das intradentale Bleichen. Um Verfärbungen infolge von marktoten Zähnen, Karies und verschiedenen Füllungsmaterialien zum Verschwinden zu bringen, führten die Zahnärzte in die gereinigte Zahnhöhle bleichende chemische Agentien ein, wie z.B. die bereits genannte schweflige Säure, Chlor und Wasserstoffperoxid. Dann wurde der Zugang zur Zahnhöhle mit Guttapercha wieder verschlossen. Ein anspruchsvolles Vorhaben, „leider“ – wie ein Autor zugeben musste – „nur selten mit ausreichendem Erfolg“.

Zahnfleischerkrankungen

Bei Zahnfleischerkrankungen bepinselte man die erkrankten Stellen mit schäumenden Zahntinkturen. Diese Adstringentien aus gerbsäurehaltigen Mitteln, wie z.B. Gallussäure und Chinarinde, sollten den Gewebetonus erhöhen und damit das pathologisch gelockerte Zahnfleisch wieder befestigen. Entzündungen und Schwellungen des Zahnfleisches bekämpfte man mit Alaun, einem Tonerdesalz aus Kalium und Aluminium.

Halitosis

Ein besonders bedenklicher – wie man es damals nannte – Entstellungsfaktor war der „nicht geruchlose“ Mundgeruch, nicht nur damals, sondern auch heute ein sozialer Killer. Wer unter diesem nach Meinung Olga Tschechowas „peinlichsten der Düfte“ leidet, ist psychisch gehemmt, muss mit persönlichen und beruflichen Nachteilen rechnen und ist eine Belastung für seine Mitmenschen. Aus Auslöser für übel riechenden Mundgeruch galten vor 100 Jahren mangelnde Säuberung der Zähne, Karies, krankes Zahngewebe und Zahnfleischerkrankungen. Aber auch in Erkrankungen des Nasen- Rachen-Raumes und in Störungen im Magen-Darm-Trakt wurde die Ursache gesucht. Naturgemäß war in solchen Fällen das Übel möglichst an der Wurzel zu behandeln. War dies nicht gezielt möglich oder die Ursache nicht eindeutig, so wusste sich die kosmetische Zahnheilkunde doch auch mannigfach zu behelfen. Zur Bekämpfung des fötiden Mundgeruchs gab es adstringierend wirkende Pastillen, die man zerkaute und anschließend ausspuckte. Gegen die faulige Zersetzung von Speiseresten kamen desodorierende Desinfizentia zum Einsatz, die durch ihren starken Eigengeruch den Foetor ex ore überdecken sollten. Dazu gehörten: Wasserstoffsuperoxid, Kaliumpermanganat und -chlorat sowie essigsaure Tonerde. Ähnlich wirkten ätherische Öle wie Nelken-, Zimt- und Eukalyptusöl.

Alkoholische Lösungen mit solchen aromatischen und antiseptischen Substanzen standen bequem in Form von Mundwässern bereit. Besonders erwähnen kann man hier aus historischer Sicht das erfrischende Eau de Pierre, eine alkoholische Lösung aus Anis, Sternanis und Pfefferminzöl, die man jedoch auch wieder ausspucken sollte! Was offensichtlich jedoch nicht jeder machte. Vor 50 Jahren sorgte man dann mit den neuen Chlorophyllpillen für einen reinen Atem.

Kau- und Schluckästhetik

Hohe Aufmerksamkeit schenkten die Ärzte damals auch einer Kau- und Schluckästhetik. Übermäßige und fadenziehende Speichelproduktion, Geräusche beim Schlucken und Kauen wirken auf die Umwelt damals wie heute irritierend. Die Ärzte wollten daher schon die Kinder in den Sitten des Sprechens und der Speiseaufnahme sowie der Absonderung von Sekreten unterweisen. Im Zuge des damals aufkommenden ärztlichen Schuldienstes forderten weitblickende Autoren daher im Schulunterricht das Fach Alltagshygiene. Dies fördere nicht nur die persönliche Hygiene, sondern vermeide gesellschaftliche und soziale Reibungsflächen und gehöre sich einfach für ein hygienisch wohlerzogenes Volk. Dazu muss man wissen, dass der Hygienestandard damals als direkter Gradmesser für die kulturelle Höhe eines Volkes angesehen wurde.

Resümee

Der kleine Einblick in das historische Programm der kosmetischen Zahnpflege hat gezeigt, dass ästhetische Kategorien keine neue Erfindung der heutigen modernen Zahnmedizin sind, sondern bereits vor über 100 Jahren zahnmedizinischer Gesprächsstoff waren – notabene zu einer Zeit, als sich die Zahnmedizin als akademisches Ausbildungsfach gerade erst selbst erfand. Es ist daher auch keineswegs verwunderlich, dass die hier zitierten Autoren weniger Zahnärzte waren, sondern Ärzte, die sich im Rahmen einer ab dem Ende des 19. Jahrhunderts aufblühenden kosmetischen Medizin auch um die Ästhetik der Zähne kümmerten. Zieht man in Betrachtung, welche geringe Rolle die Zahnästhetik später, etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts, in Deutschland spielte, so ist die Geschichte von „Cosmetic Dentistry anno dazumal“ ein besonders schönes Beispiel für den bekannten Topos von der Vergangenheit als besserer Zukunft.

Literatur

Heinrich Paschkis: Kosmetik für Ärzte. 3. Aufl. Wien 1905.
H. J. Mamlok: Kosmetik des Gebisses. In: Handbuch der Kosmetik. Hrsg. von Max Joseph. Leipzig 1912. S. 665–668.
Gottfried Trautmann: Kosmetik des Mundes und der Nase. In: Handbuch der Kosmetik. Hrsg. v. Max Joseph. Leipzig 1912. S. 460–503.
Olga Tschechowa: Frau ohne Alter. Schönheits- und Modebrevier. Köln 1954.

Autoren: Elisa Bernardi, Prof. Dr. med. Wolfgang Gerhard Locher M.A.

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