Implantologie 02.08.2021
Blattimplantatentfernung und Rekonstruktion des Unterkieferkamms
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Blattimplantate können bei Lockerung und notwendiger Entfernung große Defekte im Unterkiefer hinterlassen. Diese Defekte können erfolgreich unter Verwendung kortikaler xenogener Platten und xenogenem, partikulärem KEM rekonstruiert werden. Wichtig hierbei ist die stabile Rekonstruktion der ursprünglichen Knochendimensionen, um für das partikuläre Augmentat eine stabile „Box“ zu schaffen.
Die 74-jährige Patientin stellte sich mit einer gelockerten Brücke im rechten Unterkiefer-Seitenzahnbereich vor (Abb. 1). Die Lockerung war ihr seit mehreren Monaten aufgefallen und hatte sich zunehmend verschlimmert. Schmerzen bestanden beim Aufbiss. Ruheschmerzen wurden nicht berichtet. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich die Metallkeramikbrücke in Regio 44 bis 47 mit einem Lockerungsgrad III. Es konnte Sekret, jedoch kein Pus im Bereich des Implantatdurchtritts Regio 47 exprimiert werden. Die radiologische Untersuchung (OPG) zeigte im vierten Quadranten eine Brücke von 44 bis 47 mit dentalen Pfeilern 44 und 45, einem Zwischenglied 46 und einem Blattimplantat als Pfeiler in Regio 47 (Abb. 2). Die Pfeilerzähne 44 und 45 waren mit einer Wurzelfüllung und einem prothetischen Aufbau mit Stiftverankerung versorgt. Der Knochen-Wurzel-Kontakt an beiden Pfeilerzähnen war auf maximal 50 Prozent reduziert. 45 zeigte eine apikale Aufhellung von circa 5 mm Durchmesser. Das Blattimplantat war zirkulär von einer Osteolyse umgeben. Ein daraufhin angefertigtes DVT zeigte die linguale Kortikalis intakt, die bukkale Kortikalis krestal resorbiert (Abb. 3). Zudem projizierte sich der kaudale Rand der Aufhellung unmittelbar oberhalb des Canalis des Nervus alveolaris inferior (Abb. 4). Sensibilitätseinschränkungen wurden durch die Patientin jedoch nicht angegeben und konnten auch bei der klinischen Testung nicht nachgewiesen werden. Das restliche Gebiss war konservierend, prothetisch und implantologisch versorgt und zum Untersuchungszeitpunkt stabil. Neben einem geringen medikamentös eingestellten Bluthochdruck bestanden keine allgemeinen medizinischen Grunderkrankungen.
Chirurgisches Vorgehen
Zunächst erfolgte die Entfernung der Brücke in toto. Hierbei löste sich die gesamte Brückenkonstruktion von den Pfeilerzähnen 44 und 45. Das Blattimplantat konnte in einem Stück aus der osteolytischen Zone geborgen werden. Anschließend wurden die Zahnstümpfe 44 und 45 unkompliziert mit der Zange extrahiert (Abb. 5). Die Alveolarfächer wurden mit dem scharfen Löffel gereinigt und anschießend gründlich gespült (octenisept®). Um den Defekt ausreichend darstellen zu können, erfolgte die Schnittführung von 43 bis 48 auf dem Kieferkamm und zusätzlich mit einem vestibulären Entlastungsschnitt in Regio 48. Durch subperiostale Präparation wurden der Defekt (Abb. 6) sowie das Formalen mentale dargestellt. Bei der Inspektion des Defekts zeigten sich die Defektränder durch ein Granulationsgewebe mit narbigen Verdickungen bedeckt, das vorsichtig mit dem Raspatorium in toto von den ossären Wänden abpräpariert wurde. Intraoperativ zeigte sich – anders als auf der DVT-Bildgebung zu vermuten war – der Nervus alveolaris inferior kaudal in das Granulationsgewebe eingebettet. Daher wurde eine schrittweise Neurolyse mit Mikroinstrumenten unter sicherer Schonung des Nervs notwendig (Abb. 7).
Als erster Schritt der Defektrekonstruktion erfolgte eine Abdeckung des frei am Defektboden liegenden Nerven durch eine xenogene Kollagenmembran (OsteoBiol® Evolution, ADS), um das sensible Gewebe mechanisch gegenüber dem partikulären Knochenaugmentat zu schützen. Anschließend erfolgte die Rekonstruktion der vestibulären Knochenwand durch exaktes Einpassen einer xenogenen, 1 mm starken Kortikalislamelle im Sinne der „Bone Shield Technik“ (OsteoBiol® Lamina hart, ADS) (Abb. 8). Durch die exakte Passung in die Defektkonfiguration konnte die Fixierung mit einer nur 7 mm langen Zugschraube (Stahlschrauben-Set, ADS) erfolgen, die in der lingualen Kortikalis des Unterkiefers verankert wurde. Der Defekt wurde mit insgesamt zwei Gramm xenogenem Knochenersatzmaterial (OsteoBiol® Apatos, ADS) vollständig aufgefüllt (Abb. 9 und 10) und im Sinne der GBR mit einer xenogenen Kollagenmembran (OsteoBiol® Evolution, ADS) abgedeckt (Abb. 11). Nach vestibulärer Periostschlitzung mit der Mikroschere erfolgte der spannungsfreie und speicheldichte Wundverschluss mit nicht resorbierbaren Nähten der Stärke 5/0 (Keydent, ADS).
Heilung und Verlauf
Der postoperative Heilungsverlauf zeigte sich unauffällig. Die Nähte wurden am fünften postoperativen Tag bei reizlosen Wundverhältnissen entfernt (Abb. 12). Eine geringgradige postoperative Hypästhesie der rechten Unterlippe regenerierte sich innerhalb von zwei Monaten vollständig. Die histopathologische Begutachtung des entfernten Gewebes ergab den Verdacht auf chronisch entzündliches, narbig verdicktes Granulationsgewebe ohne Anhalt auf Malignität. Nach sechs Monaten erfolgte das Reentry mit Entfernung der Fixierungsschraube. Die xenogene Kortikalislamelle war stabil mit der umgebenden Unterkieferkortikalis verwachsen, jedoch noch nicht vollständig umgebaut. Der augmentierte Knochenbereich zeigte eine stabile und gut durchblutete Durchbauung (Abb. 13).
Im selben Eingriff erfolgte die Implantation von drei Titanimplantaten (NobelReplace®, Nobel Biocare™), wobei das Implantat in Regio 44 (∅ 3,5, Länge: 13 mm) sofortbelastet wurde. Die Implantate in Regio 46 (∅ 3,5, Länge: 8 mm) und 47 (∅ 4,1, Länge: 8 mm) wurden der gedeckten Einheilung überlassen (Abb. 14 und 15). Die Freilegung erfolgte nach vier Monaten (Abb. 16). Anschließend wurde die Patientin zur prothetischen Versorgung an den überweisenden Zahnarzt rücküberwiesen.
Dieser Beitrag ist im Implantologie Journal erschienen.