Implantologie 18.01.2012
Rehabilitation in der Unterkieferfront
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Systematische Darstellung einer chirurgisch-prothetischen Zusammenarbeit
Die präimplantologische Knochenaugmentation ist heute ein wichtiges und herausforderndes Thema in der zahnärztlichen Implantologie. Bei jedem implantologischen Kongress wird dieses Kapitel aufs Neue diskutiert. Die vertikale Augmentation stellt alle implantologisch tätigen Chirurgen vor eine besondere Herausforderung. Dabei gibt es diverse dokumentierte und publizierte Methoden zu diesem Thema.
Von der Augmentation mit Beckenkammtransplantat, der Distraktionsosteoneogenese, verschiedene Tunneltechniken bis zur Augmentation mit Knochenersatzmaterialien und Membran – all diese Methoden haben ihre Vor- und Nachteile. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Die Prognose einer vertikalen Auflagerungsplastik ist generell nicht exakt vorhersehbar. Sowohl kurz- als auch langfristig kann ein nicht erwünschter Verlauf eintreten. Die möglichen Komplikationen können unter anderem die wiedereinsetzende Atrophie nach erfolgreicher Augmentation, sofortiger Augmentatverlust, Dehiszenzen und erhöhte Infektionsanfälligkeit bis zu irreversiblen Nervverletzungen sein. Nicht jeder kann jede dieser Techniken auch für sich umsetzen. Oft fehlt es für gewisse Techniken an der notwendigen Infrastruktur.
Der Fall
Der nachfolgende Fallbericht zeigt, wie die Herausforderung der vertikalen Augmentation in der Unterkieferfront bei einem Patienten nach einem Unfall an der Abteilung für MKG-Chirurgie in St. Pölten gelöst wurde und danach in enger Zusammenarbeit mit dem niedergelassenen Kollegen Dr. Waldemar Festenburg prothetisch versorgt werden konnte. Der Patient, ein 20-jähriger Mann, stellte sich nach einem Unfall vor, bei dem die Zähne 32 bis 42 mit Alveolarkamm verloren gingen. Mit einer Unterkieferfrontzahnbrücke wollte er sich nicht abfinden. Der Behandlungsplan, dem der Patient zustimmte, sah die Anfertigung einer Klebebrücke, die vertikale Augmentation des verloren gegangenen Knochens in der Unterkieferfront, die Insertion von Implantaten und die Restauration der Zähne 32, 31, 41, 42 vor. Die gesamte Behandlungsdauer vom Unfall bis zur Eingliederung der definitiven Brücke dauerte 28 Monate.
Chirurgische Behandlung
Am 29.06.2008 wurde der Patient nach einem Sturz aus zwei Meter Höhe an der Unfallabteilung im LKH St. Pölten erstmals begutachtet. Es wurde ein CT des Gesichtsschädels durchgeführt. Dieses zeigte eine komplizierte Unterkieferfraktur (Abb. 1 und 2) mit Alveolarfortsatzfraktur Regio 32 bis 42. Die genaue radiologische Diagnose lautete: Trümmerfraktur im Bereich der Mandibula mit deutlicher Dislokation in mehreren Ebenen, zusätzlich frakturierte Zähne im Unterkieferfrontzahnbereich. Die Reposition und Osteosynthese wurde von Univ.-Prof. Dr. Dritan Turhani durchgeführt (Abb. 3 bis 5). Dabei ist es gelungen, mit zwei Osteosyntheseplatten (Fa. Synthes Matrix) und zwei Zugschrauben ein zufriedenstellendes Repositionsergebnis zu erzielen. Die Zähne 32 bis 42 mit dem Alveolarkamm waren jedoch nicht zu erhalten. Nur stellte sich für uns als behandelndes Team die Frage der bestmöglichen Lückenversorgung. Nach ausführlicher Beratung entschieden wir uns gemeinsam mit dem Patienten für eine implantologische Lösung. Da an unserer Abteilung keine prothetischen Arbeiten durchgeführt werden, war eine Zusammenarbeit mit unserem niedergelassenen Kollegen notwendig. Im Zentrum für Implantologie und orale Chirurgie (AKD ImplantCare) wurde vor der weiterführenden chirurgischen Therapie zunächst eine Klebebrücke angefertigt (Abb. 6).
Zehn Monate nach dem Unfall wurde der Patient im LKH St. Pölten in ungestörter Intubationsnarkose wieder operiert. Bei der Operation sollten zunächst die beiden Osteosyntheseplatten entfernt werden. Intraoperativ zeigte sich jedoch, dass die Frakturlinie des Unterkiefers noch nicht bis an den Unterkieferrand durchbaut war und somit die untere Platte belassen wurde. Des Weiteren zeigte sich noch, dass nicht nur die vertikale, sondern auch die horizontale Dimension verloren gegangen ist. Anschließend wurde aus dem Kieferwinkelbereich Regio 48 ein 2x1,5cm großer Knochenblock mithilfe des Piezo-Surgery-Gerätes entnommen. Dieses kortikale Knochenstück wurde anschließend in der Mitte durchtrennt, sodass zwei ca. 1mm dünne Knochenplättchen gewonnen werden konnten. Alle Kanten wurden abgerundet, um Perforationen der Schleimhaut zu verhindern. Nun wurde nach einem Alveolarkammschnitt in der Unterkieferfront ein bukkaler und lingualer Mukoperiostlappen gebildet. An der lingualen Seite wurde eine Bio-Gide®Membran zwischen Knochen und Periost eingelegt. Eines der gewonnenen dünnen Knochenplättchen wurde bukkal auf den verbliebenen Unterkieferknochen aufgelegt und dort mit zwei Schrauben befestigt. Der verbliebene andere Knochenblock wurde mit einer Knochenmühle zerkleinert. Dieser zerkleinerte kortikale Knochen, gemischt mit etwas spongiösem Knochen – der ebenfalls vom Kieferwinkel gewonnen wurde –, wurde mit etwa 1ml Blut gemischt. Mit diesem Gemisch konnte nun der nach bukkal abgestützte Defekt aufgefüllt und mit der bereits lingual eingelegten Bio-Gide® Membran nach lingual und koronal abgedeckt werden (Abb. 7). Die Schleimhaut wurde danach soweit mobilisiert, dass ein spannungsfreier Wundverschluss möglich war. Hier kamen sowohl horizontale Matratzen- als auch Einzelknopfnähte zum Einsatz.
Auch diesmal gestaltete sich die postoperative Phase komplikationslos. Dank der ausreichenden Mobilisation konnte postoperativ keine Membranexposition beobachtet werden (Abb. 8). Der Einsatz dieser dünnen kortikalen Knochenblöcke
in der präimplantologischen Chirurgie hat mehrere Funktionen. Das Plättchen hat die Funktion einer biologisch kompatiblen Membran, die sehr steif ist und so die vertikale Dimension des Augmentats halten kann. Auf diese Weise kann darunter wieder neuer Knochen entstehen. Nach weiteren sechs Monaten wurde der Patient erneut operiert. Diese Operation wurde nun in Lokalanästhesie durchgeführt. Der Knochen präsentierte sich beim Bohren für die drei Implantate als ausgezeichnetes Implantatlager. Die drei Ankylos® Implantate 3,5x14mm konnten ohne Probleme in dieser Region gesetzt werden, es war ausreichend Knochen vorhanden. Alle Implantate waren primär stabil, trotzdem haben wir uns in diesem Fall für eine gedeckte Einheilung entschieden, um kein unnötiges Risiko für das Augmentat einzugehen (Abb. 9). Der Patient bekam dann neuerlich die Klebebrücke für weitere sechs Monate eingesetzt (Abb. 10). Sechs Monate später wurden die drei Implantate freigelegt und eine provisorische Belastung der Implantate wurde beim behandelnden Zahnarzt für sechs Monate durchgeführt. Während dieser Zeit gab es weder mit den Implantaten noch mit dem Provisorium Probleme. Nach weiteren sieben Monaten wurde nun die definitive Brücke in der Unterkieferfront eingegliedert. Es handelt sich dabei um eine Edelmetall-Verblend-Keramikbrücke. Unser Patient ist mit der Ästhetik und Funktion der implantatgetragenen Brücke hochzufrieden. Regelmäßige Kontrollen zeigen ein zufriedenstellendes Ergebnis nach dieser langen Therapie (Abb. 11). Die Situation ist seitdem stabil.
Fazit
Diese Fallpräsentation zeigt einen möglichen Weg zur vertikalen Augmentation. Die Implantation und auch die prothetische Versorgung ist noch nicht lange genug in Funktion, um über einen Langzeiterfolg sprechen zu können. Definitiv lässt sich aber sagen, dass die vertikale Augmentation mittels dieser Methode im zuvor beschriebenen Fall zum Erfolg geführt hat und dass an dieser Stelle nach einem halben Jahr eine problemlose Implantation mit drei 14mm langen Implantaten mit ausreichendem Knochenangebot möglich war.