Kieferorthopädie 10.12.2020

Wenn die Mitte nicht im Zentrum ist (Teil 1)



Wenn die Mitte nicht im Zentrum ist (Teil 1)

Eine im Oberkiefer verschobene Mittellinie lässt sich bei ausreichendem Platz ohne Ausgleichsextraktionen therapieren. Die Korrektur erfolgt mit einer unilateralen Distalisation der oberen Molaren und anschließender Retraktion der Prämolaren und Frontzähne. Sehr effizient ist dies mithilfe der festsitzenden, skelettal verankerten Distalisationsapparatur amda® (Dentaurum) möglich. Anhand von vier Beispielen werden die Details dieser Therapie gezeigt. Das Ziel der Behandlungen für die im Folgenden dargestellten Fälle war klar definiert – die Abweichung der Mittellinie im Oberkiefer durch die horizontale Bewegung von Zähnen zu beseitigen.

Einleitung

Die Verschiebung der Mittellinie gehört zu den am häufigsten bemerkten Abweichungen in der Zahnposition.2 Nicht zuletzt durch die Inflationen an fotografischen Selbstporträts bemerken junge Patienten gehäufter diese Stellungsabweichung. Die Ursache dieser nicht nur kosmetischen Einschränkung ist mit zahlreichen Fehlstellungen assoziiert. Zur Korrektur der Mittellinie werden in der traditionellen Kieferorthopädie intermaxilläre Gummizüge, sequenzielle Extraktionen, Hebelarme oder asymmetrische Gaumenbügel empfohlen. Durch den Einsatz der skelettalen Verankerung hat sich die Korrektur der Mittellinie im Oberkiefer vereinfacht bzw. verbessert. Denn Zähne, deren Stellung nicht verändert werden soll, müssen nicht mehr für die dentoalveoläre Verankerung herangezogen werden und bleiben so an ihrem Platz. Somit kann man davon ausgehen, dass diese unerwünschten Begleiterscheinungen weitestgehend ausgeschlossen werden können. Es lassen sich Extraktionen vermeiden. Bei den hier gezeigten vier Patienten war zur Korrektur der Abweichung der oberen Mittellinie die unilaterale Distalisation das Kernstück der Therapie. Der Weg dorthin kann vielfältig sein. Effizienz ergibt sich, wenn das Ziel mit geringem zeitlichem und materiellem Aufwand in kurzer Zeit und ohne ernsthafte Nebenwirkungen erreicht wird.

Die Frage ist, wie kann man z. B. die unilaterale Distalisation der oberen Molaren und die Korrektur der Mittellinie durch das horizontale Verschieben von Zähnen effizient gestalten? Dafür sind vier Dinge wichtig bzw. anzustreben:

  • eine kontinuierliche Kraftapplikation in Höhe des Widerstandszentrums über 24 Stunden
  • körperliche Bewegung der Zähne
  • eine Verankerung ohne unerwünschte Nebenwirkungen, wie bei den dentoalveolär verankerten Geräten
  • kein Wechsel der Apparatur während der Behandlung.

Die erste Forderung ist nur durch eine von der Mitarbeit des Patienten unabhängige, also festsitzende Apparatur, zu realisieren.7 Festsitzende, dentoalveolär verankerte Apparaturen sind zwar Compliance-unabhängig, haben aber einige unerwünschte Nebenwirkungen. Hierzu zählt in erster Linie das Nachlassen der Verankerung infolge von unerwünschten Zahnbewegungen. Dies kann nicht nur während der Distalisation der Molaren, sondern auch während der Verschiebung der notwendigen Zähne zur Beseitigung der Abweichung der Mittellinie auftreten.7

Die von der Distalisationsfeder ausgehenden reziproken Kräfte wirken auf die Verankerungseinheit. Sie sind der Auslöser dieser Probleme. Dies lässt sich z. B. durch eine mesiale Bewegung sowie ein Kippen der Eckzähne und der ersten und/oder der zweiten Prämolaren erkennen sowie auch durch eine Anteinklination der Frontzähne und einen vergrößerten Überbiss. Aber auch an den zu distalisierenden Molaren lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen feststellen. Je nach biomechanischem System findet ein Kippen bzw. eine Rotation in distale Richtung statt.

Gelegentlich ist auch eine Extrusion der Molaren möglich.5,7,9 In der Phase der Verschiebung von Prämolaren und Frontzähnen tritt bei der dentoalveolären Verankerung infolge der reziproken Kräfte eine Bewegung des zunächst distalisierten Molaren nach mesial, also in die alte Stellung, auf.7 Die zuverlässigste und mit wenig Aufwand zu realisierende Verankerung für eine Distalisationsapparatur sind im vorderen Gaumen platzierte Miniimplantate. So lassen sich am besten die oben genannten Nebenwirkungen der festsitzenden und damit Compliance-unabhängigen Apparaturen während der unilateralen Distalisation der oberen Molaren bzw. der Zahnverschiebungen zur Korrektur der Mittellinie vermeiden.

Ob ein Zahn körperlich bewegt wird oder nur durch ein Kippen oder Drehen seine Stellung ändert, hängt sehr stark vom Ort des Kraftansatzes und der Entfernung zum jeweiligen Widerstandszentrum ab. Bei den oberen und komplett im Knochen stehenden Molaren befindet sich dieses im Bereich der Trifurkation der Wurzeln. Wenn eine nach distal gerichtete Kraft an der Krone, d. h. oberhalb des Widerstandszentrums angreift, ist ein distales Kippen eine unerwünschte Begleiterscheinung der Distalisation.8 Dies ist ein bedeutender Nachteil. Denn es kostet Zeit und Aufwand, die Molaren wieder aufzurichten. Während des Aufrichtens kann es dazu kommen, dass die korrekt stehenden Molaren wieder ihre Plätze verlassen und sich nach mesial bewegen. Solche Ping-Pong-Effekte verursachen mehr Zahnbewegung als notwendig und sollten unbedingt vermieden werden. Des Weiteren bedeutet dies Verzögerung und weniger Effizienz.

Für die Planung einer Distalisationsapparatur ist es daher wichtig, dass die Krafterzeugung im Bereich des Widerstandszentrums liegt und die Distalbewegung an einer Leitschiene geführt wird (Abb. 1). Die Kraft muss zur Krone übertragen werden. Dies sollte durch einen senkrecht stehenden und rigiden Verbinder erfolgen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine rein oder fast rein körperliche Bewegung der Molaren zu erwarten.

Ob sich ein Zahn körperlich bewegen lässt, hängt auch vom Zahn selbst ab. Ein oberer Molar neigt, bedingt durch die kräftige palatinale Wurzel, zur Rotation um diese. Je nach Fall kann dies gewünscht sein oder muss vermieden werden. Der Ort, an dem der Verbinder an die Zahnkrone greift, also der Einleitungspunkt für die Kraftübertragung, hat einen Einfluss auf mögliche Rotationen. Je nach Ausrichtung des Verbinders (amda® connector, Dentaurum) kann man während der Distalbewegung gleichzeitig Rotation, Derotation, Intrusion und Extrusion erreichen.

Generelles  Vorgehen

Bei allen vier Fällen wurde in ähnlicher Weise vorgegangen. Darum werden nachfolgend die identischen Arbeitsschritte im Zusammenhang dargestellt. Zur Korrektur der Mittellinienverschiebung wurde bei allen Patienten amda® (Dentaurum) als vielseitig einsetzbares Therapiemittel angewendet (Abb. 1 und 2). Hierbei handelt es sich um eine Distalisationsapparatur auf Basis der Gleitmechanik. Sie besteht aus einer aktiven Einheit und einer skelettalen Verankerungseinheit mit zwei tomas®-pin EP (Dentaurum).

amda®

Den Kern der aktiven Einheit von amda® bilden die beiden Teleskoprohre mit innen liegender Druckfeder (Abb. 1). Bei voller Kompression bringt die Feder eine Kraft von ca. 5 N auf. Durch diese wird die notwendige Kraft für die Distalisation der ersten und zweiten Molaren erzeugt und über entsprechende Verbinder auf die Krone des ersten Molaren übertragen. Durch eine nicht vollständige Kompression des Teleskoprohres und damit der Feder kann die Druckkraft minimiert werden. Der maximale Federweg beträgt 4 mm.

Die zwei amda® telescope können unabhängig voneinander arbeiten. Dies ermöglicht eine sequenzielle Distalisation. Das heißt, auf beiden Seiten lassen sich die Molaren um unterschiedliche Strecken nach distal bewegen. Es ist auch eine rein unilaterale Distalisation möglich. Dazu ist auf der passiven Seite, auf der keine Distalisation erfolgen soll, das amda® telescope zu deaktivieren (Abb. 3). Dazu werden einfach die beiden Stoppschrauben geschlossen. Bei Bedarf kann auch eine Kombination von unilateraler Distalisation und Mesialisation durchgeführt werden.

Der Einsatz der Apparatur hat einige Vorteile. Es handelt sich um ein vorgefertigtes Gerät, das durch geringe Anpassungen an die individuellen Verhältnisse schnell einsatzbereit ist. Bei allen vier Fällen erfüllte die Apparatur zwei Aufgaben. Zuerst diente sie zur unilateralen Distalisation, der in Klasse II-Verzahnung stehenden oberen ersten Molaren. Nach Abschluss der Distalisation verblieb die Apparatur in situ und diente als skelettale Verankerung bei der bogengeführten horizontalen Zahnbewegung. Das Verschieben der notwendigen Zähne zur Korrektur der Mittellinienabweichung erfolgte dadurch ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Denn die reziproken Kräfte wurden via amda® über die beiden tomas®-pin in den Knochen abgeleitet.

Analoger oder digitaler Weg

Beide Wege sind möglich. In unserer Praxis und im Labor sind alle Abläufe bestmöglich mithilfe diverser digitaler Werkzeuge (Tabelle 1) für eine hohe Effizienz und Güte der Behandlung optimiert. Dies beginnt schon bei der Befunderhebung. Für die nachfolgenden Schritte fertigen wir in der Regel schon bei der ersten Sitzung eine digitale Abformung mit dem TRIOS Intraoralscanner (3Shape) an.

Die sich anschließende Diagnostik und Behandlungsplanung ist fast ausschließlich digital (Abb. 4). Auf Basis der visualisierten Befunde kann dem Patienten z. B. seine Ausgangssituation besser erläutert und er über die möglichen Therapiemaßnahmen aufklärt werden. Es lassen sich am Computer Behandlungsergebnisse simulieren. Nach unseren Erfahrungen verstehen die Patienten die einzelnen Möglichkeiten besser und können sich für einen der vorgeschlagenen Behandlungswege leichter entscheiden.

Die skelettale Verankerung von amda® erfolgt an zwei paramedian gesetzten tomas®-pin (Abb. 2). Wichtig ist, unabhängig davon ob analog oder digital gearbeitet wird, dass der richtige Abstand der beiden tomas®-pin EP zueinander und eine annähernd parallele Insertion eingehalten werden. Der Abstand wird durch den vorgefertigten amda® palatal arch und die daran befestigten tomas®abutment EP vorgegeben. Der maximale Achsenabstand der beiden Pins zueinander beträgt für den vorgeformten amda® palatal arch 6 mm. Bei einem entsprechenden Erfordernis kann der amda® palatal arch im vorderen Teil expandiert (Abb. 5) oder durch einen individuellen Palatinalbogen (Abb. 6) ersetzt werden. In diesem Fall kann man die ursprünglichen Befestigungsringe (tomas®-abutment EP, Dentaurum) durch die tomas®-abutment tube 1.1 ersetzen.

Im Rahmen der Fallplanung sind die Areale mit den günstigsten paramedianen Knochenverhältnissen zu finden. Beim analogen Weg erfolgt dies anhand des Fernröntgenseitenbildes (Abb. 7). Beim digitalen Weg gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn ein dreidimensionales Röntgenbild (CT oder DVT) zur Verfügung steht, kann man dies mit der entsprechenden Software (z. B. NemoCast, NemoTec) vermessen, um die günstigsten Knochenareale im vorderen Gaumen zu bestimmen (Abb. 8).

Tabelle 1: Digitale Werkzeuge zur Behandlung der Mittellinienverschiebung.

Damit die Strahlenbelastung für den Patienten so gering wie möglich gehalten wird, kann das für die Diagnostik angefertigte digitale Fernröntgenseitenbild (FRS) ein zweites Mal benutzt werden. Zusammen mit einem digitalen Kiefermodell und dem Softwaremodul TADmatch™ (Image Instruments/Promedia) lässt sich dies realisieren (Abb. 9).1,6 Dabei handelt es sich um ein Modul der speziell für die Kieferorthopädie entwickelten Software OnyxCeph3™ (Image Instruments). Der Einsatz von TADmatch™ wurde von Eigenwillig et al.1 bereits in den Kieferorthopädie Nachrichten beschrieben.

Aus den Daten der digitalen Platzierung der tomas®-pin wird eine Insertionshilfe generiert. Diese kann mit einem entsprechenden Softwaremodul gestaltet (Abb. 10) und anschließend im 3D-Druck (Abb. 11) hergestellt werden. Wenn man diese Möglichkeit nicht hat oder nicht möchte, bietet das Softwaremodul TADmatch™ eine interessante Option. Nach der virtuellen Platzierung der tomas®-pin kann ein Positions- bzw. Montagemodell (Abb. 12) ausgedruckt werden. Auf die Führungszylinder des Positionsmodells setzt man die systemspezifischen Führungshülsen, hier tomas®-guide tube, pair 6 (Dentaurum), auf. Nun kann man im Eigenlabor die Insertionsschablone auf traditionellem Wege aus Silikon, Tiefziehplatten1 oder Orthocryl® LC (Dentaurum, Abb. 13) herstellen.

Wenn ein virtuelles Modell mit der Position der Miniimplantate vorliegt, kann damit nicht nur die Insertionsschablone, sondern auch gleichzeitig die Apparatur (siehe dazu Abschnitt „Die digitale Herstellung der Apparatur“) angefertigt werden. Der Vorteil besteht darin, dass die Insertion der Miniimplantate und die Eingliederung der Apparatur in einer Sitzung möglich sind. Dies bedeutet, die Miniimplantate werden ohne Zeitverzug belastet.

Der Einsatz von amda® ist prinzipiell auch mit median gesetzten tomas®-pin möglich. In diesem Fall ist der amda® palatal arch durch die tomas®-abutments median zu ersetzen und entsprechend zu biegen (Abb. 14).

Hinweis: Die Fortsetzung des Artikels erfolgt in KN 1+2 / 2021.

Dieser Beitrag ist in KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

Foto Teaserbild: Dentaurum

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