Kieferorthopädie 28.02.2011
Die ASR in der Lingualbehandlung
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Dass durch Kombination von lingualer Orthodontie und gezielt sicherer Schmelzreduktion eine nicht nur unsichtbare, sondern vor allem patientengerechte und schonende Zahnkorrektur möglich ist, zeigen Dr. Thomas Drechsler und Dr. Martina Lee anhand eines Fallbeispiels.
Die Welt ändert sich … Früher bedeutete die Korrektur schief stehender Zähne immer die Anwendung einer mehr oder weniger sichtbaren Zahnspange und ausgeprägte Engstände in aller Regel die Extraktion bleibender Zähne. Durch die Weiterentwicklung moderner kieferorthopädischer Techniken hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, der die Behandlung insbesondere erwachsener Patienten zumutbar, ästhetisch unbeeinträchtigend, dabei zugleich deutlich komfortabler und weniger invasiv gestaltet. Anhand eines Fallbeispieles einer 37-jährigen Patientin wird ein Teil der modernen Kieferorthopädie und den damit verbundenen Möglichkeiten dargestellt. Neben dem Wunsch eines natürlichen Lächelns mit schönen geraden Zähnen war es der in der Modebranche tätigen Patientin vor allem wichtig, weder in ihrem Äußeren durch sichtbare Brackets „verunstaltet“ zu werden noch war sie bereit, sich bleibende „gesunde“ Zähne entfernen zu lassen (Abb. 1).
Die Diagnose entspricht einer skelettalen Klasse I–II-Relation bei vertikaler Gesichtskonfiguration (Abb. 4). Der intraorale Befund ergab im Oberkiefer einen ausgeprägten frontalen Engstand bei Palatinalstand der seitlichen Schneidezähne, einer hohen Labialposition des linken Eckzahnes und einer transversalen Kompression des anterioren Zahnbogens (Abb. 2). Im Unterkiefer zeigte sich ein sehr ausgeprägter fronto-anteriorer Engstand bei 45° Distorotation beider Caninii. Zusätzlich zur elongierten Front war eine Lingualkippung der Seitenzähne zu erkennen (Abb. 3). Die Okklusion wies rechts eine annähernd neutrale Verzahnung auf, links handelte es sich um eine halbe Prämolarenbreite Klasse II-Molarenrelation. Der dental abgestützte Tiefbiss stellte sich mit einer vergrößerten sagittalen Stufe dar. Die manuelle Strukturanalyse nach Bumann detektierte eine weitgehend myogene und arthrogene, physiologisch adaptierte Morphologie.
Die diagnostische Auswertung unter Berücksichtigung der Patientenwünsche führte zur Therapieentscheidung der Insertion einer Lingualapparatur nach dem TOP Incognito™-System*. Die Vorgabe einer Non-Ex-Behandlung konnte auch aus kephalometrischer Betrachtungsweise zur Erhaltung des weitgehend harmonischen Weichteil-Profilverlaufes gestützt werden.
Die Behandlung begann zur leichteren Adaption für die Patientin zunächst mit der Eingliederung der customized Incognito™-Apparatur im Unterkiefer. Aufgrund der ausgeprägten Rotation der Eckzähne wurden diese zunächst ausgespart (Abb. 5). Vier Wochen später erfolgte das Einsetzen der Apparatur im Oberkiefer mit einem NiTi-Bogen der Dimenion 0.014''. Die Ausformung und transversale Entwicklung wurde erreicht in der Bogenfolge 0.016 NiTi, 0.016'' x 0.022'' CuNiti (Ribbonwise).
Der Platzgewinn zur Einordnung des linken oberen Eckzahnes erfolgte durch sequenzielle Distalisation der Molaren mittels Druck- und Zug-NiTi-Federn auf der linken Seite am 0.016'' x 0.022''-Stahlbogen (Abb. 6–8). Dadurch wurde auch die sagittale Relation in eine Klasse I-Verzahnung korrigiert (Abb. 10, 11). Die analoge Bogensequenz führte im Unterkiefer zur initialen Ausformung, bis die Eckzähne nachgeklebt werden konnten (Abb. 9). Daneben erfolgte die Auflösung des frontalen Engstandes durch gezielte approximale Schmelzreduktion (Abb. 15). Die in-terdentale Schmelzkorrektur ermöglichte dabei auch die Kaschierung der durch parodontalen Attachmentverlust verursachten sogenannten black triangles. Hierzu diente das ASR-Set 4594** der erleichterten systematischen ASR-Durchführung (Abb. 16). Die modulare, vollsterilisierbare Aufbewahrungsbox mit den patentierten oszillierenden Segmentscheiben (OS) in den gebräuchlichsten interdentalen Abtragsstärken (0,2; 0,3; 0,4 bzw. 0,5mm) bei übersichtlicher Anordnung vereinfachte die exakte Erzielung der gewünschten Schmelzreduktion. Für jeden Betrag zwischen 0,2mm und 0,4mm standen ein- und beidseitig belegte OS-Scheiben zur Verfügung, die nacheinander angewendet einen einfachen, reproduzierbaren Schmelzabtrag ermöglichten. Zur schonenden, manuellen Kontaktpunktauflösung wurde zuerst der 0,08mm dünne, extrafeine Wabenstreifen (gelb) interdental eingeführt. Danach der etwas dickere (0,13mm), mit Normalkorn belegte blaue Streifen.
Die um 30° (15° in beide Richtungen) oszillierenden OS-Scheiben sind in ihrer Anwendungssequenz so aufeinander abgestimmt, dass sie sich jeweils um maximal 0,05mm in der Stärke unterscheiden. Mit dieser schrittweisen Erweiterung des interdentalen Abstandes war ein sicheres, ruckfreies Arbeiten gewährleistet, was sich sowohl für den Patienten als auch für den Behandler angenehm darstellte. Nach der Aufhebung des Approximalkontaktes mit den Wabenstreifen konnte zunächst die erste, einseitig vorn belegte OS-Scheibe (ebenfalls 0,13mm Stärke) verkantungsfrei eingesetzt werden. Danach folgte die ebenfalls einseitig, diesmal hinten belegte OS-Scheibe, um selektiv einen unilateralen Schmelzabtrag an der gewünschten Zahnseite zu erreichen. Zur gleichmäßigen bilateralen Reduktion wurden beidseitig belegte Scheiben verwendet. Die exakte Dimension der Schmelzreduktion wurde erreicht, indem die Segmentscheiben jeweils um 0,05mm unterdimensioniert gegenüber der gewünschten Abtragsstärke ausgelegt sind. Zusammen mit der Reduktion der abschließenden Politur konnte so der genaue Betrag erreicht werden, ohne dass ein Nachmessen unbedingt erforderlich war.
Waren Abtragsstärken von 0,3 oder 0,4mm Gesamtbetrag vorgesehen, so verwendeten wir Schritt für Schritt der Reihenfolge nach vom Sektor 0.2 jeweils oben beginnend die Segmentscheiben bis zur letzten des jeweiligen Sektors. Für größere Abtragsstärken der Dimension über 0,5mm beinhaltet das ASR-Set das rotierende Instrument Nr. 8392 im Sektor 0.5. Durch horizontales Ansetzen des Finierers mit bewusst kurzer Arbeitslänge kann auf diese Weise sehr zügig und gleichzeitig präzise die entsprechende Schmelzreduktion zwischen den benachbarten Zähnen erzielt werden.
Vor der Politur ist zum Konturieren, Glätten und Abschrägen der Schmelzkanten und Rundwulste das Instrument Nr. 850 im Sektor Konturieren des ASR-Sets vorgesehen. Die Anwendung mit diesem Diamantfinierer sorgte für ein funktionelles, ästhetisches und natürliches Erscheinungsbild der bearbeiteten Zahnflächen. Für die abschließend notwendige approximale Schmelzpolitur (ASP) verwendeten wir das ASP-Set 4598 mit roten, blauen und weißen CompoClips. Hier wurde durch die Anwendung von zuerst den blauen, roten und finalen weißen Polierscheiben eine perfekte Oberflächenglättung des Zahnschmelzes erreicht. Flouridierungsmaßnahmen rundeten die Zahnschmelzbearbeitung ab.
Die Kombination der einzigartig individuellen Lingualapparatur mit den oszillierenden Scheiben im ASR-Set zur gezielten sicheren Schmelzkorrektur ermöglicht heutzutage eine patientengerechte, unsichtbare und zugleich schonende Zahnkorrektur. Insbesondere erwachsene Patienten schätzen dabei die Vermeidung von invasiven Zahnextraktionen mit all ihren unerwünschten Nebenwirkungen wie temporäre Lückenbildung, Veränderung des Weichteilprofils und möglicher Störungen des kranio-mandibulären Funktionskomplexes (Abb. 17). Vor allem aber ist dem ästhetisch anspruchsvollen Patienten die ganz und gar versteckte Zahnspange wichtig (Abb. 12). Sie ermöglicht ihnen die meist lang ersehnte Korrektur ihrer Zahnfehlstellung ohne Inkenntnissetzung ihrer Umwelt. So gestattet die veränderte Welt Geheimnisse, die Frau lieber in ihrem Inneren trägt (Abb. 13, 14).
* TOP-Service für Lingualtechnik GmbH/3M Unitek, www.incognito.net (Anm. der Red.)
** Fa. KOMET/GEBR. BRASSELER GmbH & Co. KG, www.kometdental.de (Anm. der Red.)