Kieferorthopädie 06.02.2025
KFO-Behandlung und ihr Zusammenhang mit der Zahnheilkunde
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Die kieferorthopädische Behandlung ist ein essenzieller Teilbereich der Zahnmedizin, der sich auf die Diagnose, Prävention und Korrektur von Fehlstellungen der Zähne und des Kiefers konzentriert. Die enge Verbindung zwischen der Kieferorthopädie und der allgemeinen Zahnheilkunde zeigt sich in zahlreichen Aspekten, die sowohl die Ästhetik als auch die Funktion des Kauapparats betreffen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Prothetik: Nach kieferorthopädischen Behandlungen kann der Zahnarzt oder die Zahnärztin Kronen, Brücken oder Implantate anpassen, um die ästhetische und funktionelle Harmonie sicherzustellen.
Parodontologie: Patienten mit Zahnfleischproblemen benötigen möglicherweise eine Behandlung, bevor kieferorthopädische Geräte wie Brackets eingesetzt werden.
Chirurgie: In einigen Fällen erfordert die Behandlung komplexer Fehlstellungen eine Zusammenarbeit mit Kieferchirurgen.Die ästhetischen Ansprüche erwachsener Patienten steigen kontinuierlich. Dies führt dazu, dass Zahnärztinnen und Zahnärtze in den verschiedenen Fachgebieten der Zahnmedizin eine größere Verantwortung übernehmen müssen.
In diesem Artikel werde ich anhand von zwei klinischen Fällen die strukturierte und interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Kieferorthopädie, der Chirurgie und der Prothetik darstellen.
Die Schnittstellen zwischen Kieferorthopädie und Parodontologie habe ich in dem zweiteiligen Artikel „Kieferorthopädische Behandlung von parodontal erkrankten Patienten“ umfassend analysiert, veröffentlicht im Kieferorthopädie Nachrichten Kompendium 2024.
Die Kieferorthopädie, die Kieferchirurgie sowie andere zahnmedizinische Fachgebiete befinden sich als Wissenschaften in einem ständigen Wandel und einer kontinuierlichen Weiterentwicklung.1
Die enge Zusammenarbeit zwischen diesen Fachgebieten, insbesondere bei den verschiedenen Formen von Dysgnathien, spielt eine große und bedeutende Rolle.
Erster interdisziplinärer Kontakt
Die Hauptaufgabe des ersten interdisziplinären Kontakts besteht darin, die individuelle Diagnose gemeinsam zu besprechen und differenzialdiagnostisch abzuklären. Dies erfolgt seitens des Kieferorthopäden und der anderen Fachzahnärztinnen auf der Grundlage entsprechender klinischer und technischer Analysen.2
Verlagerter und retinierter Eckzahn im Oberkiefer
1. Einleitung
Das Einbringen eines impaktierten oder nicht durchgebrochenen Zahns in den Zahnbogen stellt eine besondere Herausforderung dar. Am häufigsten sind ein oder mehrere Eckzähne des Oberkiefers betroffen. Gelegentlich ist es jedoch auch notwendig, andere nicht durchgebrochene Zähne, wie Schneidezähne, Eckzähne oder Prämolaren, in den Zahnbogen zu integrieren. Für diese Zähne gelten ähnliche Techniken.
Impaktierte zweite untere Molaren hingegen erfordern ein spezielles Vorgehen und werden separat betrachtet.
2. Herausforderungen
Die Herausforderungen bei der Behandlung nicht durchgebrochener Zähne lassen sich in drei Hauptkategorien unterteilen:
- Chirurgische Freilegung: Der Zahn muss operativ so freigelegt werden, dass er für weitere Maßnahmen zugänglich ist
- Befestigung: Ein geeignetes Befestigungselement wie ein Bracket oder eine Zugvorrichtung wird am Zahn angebracht.
- Kieferorthopädische Mechanik: Der Zahn wird mithilfe geeigneter mechanischer Kräfte schrittweise in den Zahnbogen integriert.
3. Ursachen
Folgende Ursachen können für eine Zahndurchbruchsstörung verantwortlich sein:
- Platzmangel im Zahnbogen
- Abweichungen im Wachstum (z.B. genetische Faktoren, frühzeitiger Verlust von Milchzähnen)
- Hindernisse wie Zysten, Tumore oder überzählige Zähne
- Störungen im Durchbruchsmuster
4. Häufigkeit
Retinierte Oberkiefereckzähne gehören nach den dritten Molaren zu den am häufigsten auftretenden Retentionen im permanenten Gebiss.
5. Therapiemöglichkeiten
Konservative Ansätze:
- Regelmäßige Überwachung bei symptomlosen Fällen.
Chirurgisch-orthodontische Therapie:
- Chirurgische Freilegung des Eckzahns und anschließende orthodontische Einordnung in den Zahnbogen.
- Anwendung verschiedener Techniken (z.B. geschlossene vs. offene Technik).
Extraktion
- In Fällen, in denen der Zahn nicht erhaltungswürdig ist oder eine Einordnung nicht sinnvoll erscheint.
Prothetischer Ersatz
- Versorgung mit Implantaten oder Brücken bei Nichtanlage oder nach erfolgter Extraktion.
6. Komplikationen und Risiken
- Resorption benachbarter Zähne
- Zystenbildung
- Schwierigkeiten bei der orthodontischen Einordnung (z.B. Wurzelresorption, unerwünschte Zahnbewegungen).3
Klinisches Fallbeispiel 1
Anamnese:
Eine elfjährige Patientin wurde zur kieferorthopädischen Untersuchung vorgestellt. Die Patientin gab an, keine Schmerzen zu haben. Jedoch fiel ihrem Zahnarzt auf, dass der rechte obere Eckzahn (Zahn 13) nicht durchgebrochen war und kein Platz im Kiefer vorhanden war, obwohl die anderen bleibenden Zähne nicht vollständig vorhanden waren. In den Abbildungen 1a–c sind die Extraoralaufnahmen der Patientin dargestellt, während die Abbildungen 2a–e die Intraoralaufnahmen zeigen und die Abbildungen 3a–c die radiologischen Aufnahmen sowie deren Auswertung umfassen.
Diagnostik:
Klinische Untersuchung:
Die klinische Untersuchung zeigte einen Frontalengstand mit starker Rotation der Zähne 12 und 22. Der Platz für den Zahn 13 war geschlossen, und es lag eine Persistenz der Zähne 53, 55 und 65 vor. Es wurde eine skelettale Klasse II mit Distalbiss auf beiden Seiten (rechts und links) diagnostiziert.
Radiologische Untersuchung:
Ein Orthopantomogramm zeigte, dass die Zähne 13 und 23 verlagert und retiniert sind. Die Wurzeln waren vollständig entwickelt, jedoch noch nicht ausgewachsen. Zudem gab es Hinweise auf Resorptionen an den benachbarten Zähnen.
Im Fernröntgenseitenbild (FRSB) bestätigte sich ein mesiofaziales Wachstumsmuster mit einem konvexen Gesichtsprofil.
Zur weiteren Planung wurde eine digitale Volumentomografie (DVT) durchgeführt, um die genaue Position und Lage der Zähne präzise zu bestimmen.
Therapieplan:
- Einordnen der durchgebrochenen Zähne im Ober- und Unterkiefer.
- Beseitigen des Platzmangels im Frontzahnbereich.
- Lückenöffnung für die Zähne 13 und 23, Vorbereitung für die chirurgische Freilegung.
- Chirurgische Freilegung: Freilegung des Zahns durch den Kieferchirurgen sowie Befestigung eines Brackets mit einer orthodontischen Zugvorrichtung.
- Orthodontische Einordnung: Schrittweise Einordnung des retinierten Zahns in den Zahnbogen mithilfe einer festsitzenden Zahnspange. Der gesamte Prozess dauerte etwa 22 Monate.
Behandlungsverlauf
Bonding der Brackets:
Die Beklebung der Brackets wurde im Ober- und Unterkiefer vollständig durchgeführt. Für die Behandlung wurde eine festsitzende Apparatur (Damon Q Brackets) mit verschiedenen Torque-Werten verwendet.
Auf Zahn 63 wurde am Anfang ebenfalls ein Bracket geklebt, um mehr Verankerung während der Behandlung zu erzielen und den Zahn optimal zu nutzen.
In Abbildung 4a–c sind die intraoralen Aufnahmen nach dem Kleben der Brackets im Ober- und Unterkiefer dargestellt (a und b). In Abbildung c ist die Okklusion nach der Extraktion der Milchzähne 55 und 65 zu sehen.
Nach der Entfernung der Milchzähne 55 und 65 sowie weiteren Bogenwechseln wurde eine Druckfeder zwischen den Zähnen 14 und 16 sowie 24 und 26 eingesetzt, um Platz für die Eckzähne 13 und 23 zu schaffen. In Abbildung 5 ist das Orthopantomogramm vor dem Durchbruch der Zähne 15, 25 und 23 dargestellt.
In den Abbildungen 6a–g sind der weitere Behandlungsverlauf und der Bogenwechsel dargestellt. Hier sind die durchbrochenen Zähne 15, 23 und 25 zu sehen. Die zentrale Aufgabe besteht weiterhin darin, die Zähne 14, 15 und 16 distal zu verschieben, um Platz für den verlagerten und retinierten Zahn 13 zu schaffen. Die Abbildungen 7a–d zeigen das Orthopantomogramm sowie das DVT.
Die Extraktion der Zähne wurde von den Eltern abgelehnt.
Der weitere Behandlungsverlauf konzentrierte sich auf die Schaffung von Platz für den Zahn 13.
Wir konnten die Verwendung der Druckfeder mit den Damon-Brackets sowie die Distalisation der Zähne 14, 15, 16 und 26 erfolgreich umsetzen. Abbildung 9 zeigt das Orthopantomogramm während der Lückenöffnung für Zahn 13.
Die zweite Behandlungsphase umfasste die chirurgische Freilegung:
Der Zahn 13 wurde vom Kieferchirurgen freigelegt, und ein Bracket mit einer orthodontischen Zugvorrichtung wurde am Zahn befestigt. In den Abbildungen 10a–d sind die einzelnen Schritte zur Einordnung des Zahns 13 dargestellt. Abbildung 11 zeigt das Orthopantogramm nach der chirurgischen Freilegung. Die weitere Einordnung des Zahns 13 ist in den Abbildungen 12a–c dargestellt. Hier wird ein neuer Metallknopf auf Zahn 13 geklebt und durch eine Ligatur in den Bogen eingezogen.
Der Zahn 13 wird schrittweise durchbrochen, es fehlt jedoch noch die notwendige Biomechanik, um den Zahn zu rotieren und in den Zahnbogen einzuordnen. Dies wird in den Abbildungen 13a–f veranschaulicht.
Kurz vor dem Behandlungsabschluss ist das Ausformen des Zahnbogens abgeschlossen, wie in den Abbildung 14a und b zu sehen ist. Nach 22 Monaten ist die Einordnung des Zahns 13 sowie die gesamte kieferorthopädische Behandlung abgeschlossen. Der Zustand der Schneidezähne im Oberkiefer wird regelmäßig vom Hauszahnarzt überwacht.
Zur Retention wurde im Unterkiefer ein fester Lingualretainer angebracht. Des Weiteren wurde die Patientin dazu angehalten, eine Retentionsschiene über Nacht und bei Bedarf auch tagsüber zu tragen. In den Abbildungen 15a–e sind die Intraoralaufnahmen nach Abschluss der Behandlung dargestellt. Die Abbildungen 16a–c zeigen die radiologische Untersuchung, während die Extraoralaufnahmen in den Abbildungen 17a–c dargestellt sind.
Klinisches Fallbeispiel 2
In dem zweiten klinischen Fallbeispiel werden die Auswirkungen und Vorteile eines multidisziplinären Behandlungsansatzes, einschließlich der Kieferorthopädie, bei einem erwachsenen Patienten mit Verlust des Zahns 13 dargestellt.
Der Patient wies eine skelettale Klasse II/2 mit brachyfazialem Wachstum und einem konvexen Mundprofil auf. Klinisch zeigte sich ein frontaler Engstand sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer sowie eine steile Stellung der mittleren Schneidezähne. Die Bisslage war beidseitig um etwa eine halbe Prämolarenbreite distal verschoben, begleitet von einem traumatischen Überbiss.
Korrektur bei Zahnverlust:
Bei Zahnverlust neigen benachbarte oder gegenüberliegende Zähne häufig dazu, zu kippen oder zu wandern. Dadurch entstehen Lücken, die für den prothetischen Ersatz der fehlenden Zähne suboptimal sind. Eine kieferorthopädische Korrektur dieser räumlichen Beziehungen erleichtert den prothetischen Ersatz, verbessert die Funktion, erleichtert die Mundhygiene und verbessert die Ästhetik.
Häufig nutzen Kieferorthopädinnen und Kieferorthopäden die benachbarten Zähne als Verankerung, um Zahnfehlstellungen zu korrigieren. In solchen Fällen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopäden und Zahnärztinnen entscheidend, um einen erfolgreichen Ersatz der fehlenden Zähne sicherzustellen.
Die kieferorthopädische Behandlung von Patienten mit Zahnverlust stellt eine besondere Herausforderung dar, insbesondere wenn ein Eckzahn fehlt.
Diagnostik:
Die Abbildungen 18a–c zeigen die extraoralen Aufnahmen. Die Röntgendiagnostik, einschließlich der Fernröntgenseitenaufnahme (FRS) und ihrer Auswertung sowie das Orthopantomogramm, sind in den Abbildungen 19a–c dargestellt. Die Intraoralaufnahmen sind in den Abbildungen 20a–f dargestellt.
Ziel der Behandlung:
Das primäre Ziel der Behandlung bestand darin, durch die Distalisierung der Zähne 14, 15, 16 und 17 Platz für den alio loco extrahierten Zahn 13 zu schaffen. Das zweite Behandlungsziel sah vor, an der Stelle des Zahns 13 ein Implantat zu setzen, um später einen Zahnersatz einzusetzen.
Angesichts des fortgeschrittenen Alters des Patienten war kaum noch Wachstum zu erwarten, weshalb eine reine Klasse I-Verzahnung ohne eine kombinierte kieferorthopädisch-chirurgische Behandlung nicht mehr realisierbar war.
Behandlungsverlauf:
Die Beklebung der Brackets wurde im Ober- und Unterkiefer vollständig durchgeführt. Für die Behandlung wurde eine festsitzende Apparatur (Damon Q Brackets) mit verschiedenen Torque-Werten verwendet.
Im Oberkiefer wurden auf die Zähne 12 bis 22 Brackets mit Low-Torque (RETROCLINE) geklebt, während auf Zahn 23 ein High-Torque-Bracket (PROCLINE) appliziert wurde.
Im Unterkiefer wurden auf die Zähne 33 bis 43 Brackets mit High-Torque (PROCLINE) angebracht.
Zu Beginn der Nivellierung wurden in beiden Kiefern .013"-CuNiTi-Bögen ligiert (Abb. 21a–c).
Im weiteren Verlauf der Behandlung wurden im Ober- und Unterkiefer folgende Bogenwechsel durchgeführt:
- .016"CuNiTi
- .018"CuNiTi
- .014" x .025"CuNiTi + Druckfeder
- .016" x .025"CuNiTi + Druckfeder & Gummizug Klasse II
- .018" x .025"CuNiTi
- .018" x .025" SST
Zur Vorbereitung auf ein späteres Implantat wurde eine Lückenöffnung zwischen den Zähnen 12 und 14 durch die Verwendung einer Nitinol-Druckfeder durchgeführt, um ausreichend Platz für die Implantation des Zahnersatzes im Bereich des bereits entfernten Zahns 13 zu schaffen.
In den Abbildungen 22a–c sind die einzelnen Schritte dieser Behandlung dargestellt.
Der Patient sollte während der Behandlung und nach der Lückenöffnung einen Gummizug der Klasse II tragen, um eine bessere Okklusion und Verzahnung zu erzielen (Abb. 23a+b).
Die Abbildungen 24a–e zeigen den Zustand elf Monate nach Behandlungsbeginn.
Die zweite Behandlungsphase nach der Lückenöffnung bestand in der Vorbereitung auf die prothetische Versorgung. Nach Rücksprache mit dem Zahnarzt wurde die Entscheidung für ein Implantat getroffen.
Der Zustand nach dem Implantat und vor dem Einsetzen der Krone ist in den Abbildungen 25a–f dargestellt.
Nach 28 Monaten Behandlungszeit, zusammen mit der prothetischen Versorgung von Zahn 13, ist die Behandlung abgeschlossen. Zur Retention wurde im Unterkiefer, wie üblich, ein fester Lingualretainer angebracht, während im Oberkiefer eine Retentionsschiene zum Einsatz kommt. Der Patient wird angewiesen, diese über Nacht und bei Bedarf auch tagsüber zu tragen.
In den Abbildungen 26a–e werden die Intraoralaufnahmen nach Abschluss der Behandlung gezeigt. Die Abbildungen 27a–c zeigen die radiologische Untersuchung, während die extraoralen Aufnahmen in den Abbildungen 28a–c dargestellt sind.
Zusammenfassung
Die Kombination von kieferorthopädischen Maßnahmen mit anderen zahnmedizinischen Fachbereichen ermöglicht eine ganzheitliche Behandlung komplexer zahnmedizinischer und funktioneller Probleme. Insbesondere bei Patienten mit Zahnfehlstellungen, Zahnlücken oder anderen strukturellen Herausforderungen kann die Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopäden und Fachleuten wie Implantologen, Prothetikerinnen, Kieferchirurgen und Parodontologinnen entscheidend sein.
Dieser Artikel ist in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.