Oralchirurgie 08.06.2017
Infiltrationsanästhesie im Unterkiefer mit reduziertem Adrenalingehalt
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Bei Eingriffen im anterioren Unterkiefer ist die Infiltrationsanästhesie die zu bevorzugende Anästhesietechnik.1 Dabei ist als Lokalanästhetikum 4%iges Articain 1:200.000 für eine wirksame Schmerzausschaltung auch bei chirurgischen Eingriffen geeignet.1 Dies zeigt auch das folgende Fallbeispiel, bei dem zwei Implantate nach erfolgreicher Osseointegration unter Infiltrationsanästhesie mit Ultracain® DS (Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main) freigelegt wurden.
Eine 82-jährige Frau ist seit vielen Jahren in unserer Praxis Patientin. Die Zähne 31 und 32 erschienen zunehmend nicht erhaltungswürdig, weshalb die Extraktion in Erwägung gezogen wurde. Aufgrund ihrer insgesamt sehr guten körperlichen Fitness und aktiven Lebensweise empfahlen wir der Patientin, die entstehende Lücke durch die Insertion von zwei Implantaten zu schließen (Abb. 1). Ein weiterer Grund war, dass die Lücke deutlich sichtbar war und eine stabile alternative prothetische Lösung nicht möglich erschien. Nach einem Gespräch mit der Patientin, in dem wir Vor- und Nachteile sowie Risiken und Alternativen aufzeigten, entschied sich die Patientin für die Extraktion und Insertion.
Das übrige Gebiss wies keine kariöse Schädigung auf und es bestanden keine Auffälligkeiten an der Gingiva. Jedoch war der Knochenkamm für eine erfolgreiche Implantatinsertion nicht ausreichend und damit ein sicherer Halt gefährdet. Daher ging nach der Extraktion eine Augmentation voraus. Die Insertion der beiden Implantate erfolgte nach vier Monaten ohne Probleme. Die Osseointegration verlief komplikationsfrei, sodass drei Monate später die Freilegung der Implantate und die Applikation der Gingivaformer erfolgen konnte (Abb. 2).
Anamnese für die Lokalanästhesie
Auch dieser Eingriff sollte unter Lokalanästhesie erfolgen. Bei den vorangegangenen Behandlungen zeigte sich, dass die Patientin die Lokalanästhesien auch in der Vergangenheit gut vertragen hat. Damit war zu rechnen, weil die Anamnese einen guten Allgemein- und Gesundheitszustand aufzeigte, der einer gesunden 70-Jährigen entsprach. Die Anamnese erfolgte vor dem neuen Behandlungszyklus mithilfe eines Gesundheitsfragebogens. Die Patientin beantworte die Fragen schriftlich. Da die Patientin seit vielen Jahren bei uns in der Behandlung ist, musste im anschließenden Anamnesegespräch nicht besonders auf ihre Erfahrungen und Erwartungen eingegangen werden. Vielmehr sollte Wert darauf gelegt werden, dass die Patientin keine Erkrankungen seit der letzten Anamnese erworben hatte, die Einschränkungen für die dentale Lokalanästhesie bedeuten würden.
Entsprechend der Anamnese entschieden wir uns für den bevorstehenden Eingriff für die Infiltrationsanästhesie. Im Aufklärungsgespräch, das bei uns in der Praxis vor jeder Anästhesie obligatorisch ist, zeigten wir der Patientin Risiken und mögliche Alternativen auf. Sie folgte unserer Anästhesieempfehlung.
Infiltrationsanästhesie im anterioren Unterkiefer
Die Infiltrationsanästhesie ist die am häufigsten angewendete Lokalanästhesietechnik.1 Sie kann auch im anterioren Unterkiefer angewendet werden. Aufgrund der dort vorliegenden geringeren Dicke des kortikalen Knochens kann das Lokalanästhetikum durch den Alveolarknochen diffundieren. Die Anästhesielösung umspült die terminalen Nervenendigungen und blockiert diese.1 Die Infiltrationsanästhesie zeichnet sich durch ihre technisch einfache Applikation aus und dadurch, dass sie relativ atraumatisch gesetzt werden kann.1
Darüber hinaus weist sie eine große Erfolgsquote von bis zu 95 Prozent auf.2 Auch für die Anästhesie im Oberkiefer wird die Infiltrationsanästhesie als Mittel der Wahl angesehen, da der kortikale Knochen relativ dünn und porös ist.2 Bei Erwachsenen ist die alleinige Infiltrationsanästhesie jedoch besonders bei chirurgischen Eingriffen im Molaren-Unterkieferbereich nicht ausreichend, obwohl durch die Verwendung von Articain eine gute knöcherne Diffusion erreicht werden kann.2 In diesen Fällen ist die Leitungsanästhesie empfehlenswert, die jedoch mit der Gefahr von Nervenschädigung des Nervus mandibularis einhergeht.
Reduzierte Adrenalinkonzentration
Für die prognostizierte Dauer des Eingriffs sollte die reduzierte Adrenalinkonzentration des 4%igen Articains 1:200.000 (Ultracain® DS, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH) ausreichend sein (Abb. 3). Der Adrenalin-gehalt ist zugleich hoch genug, um durch seine vasokonstriktorische Wirkung den Blutfluss im Injektionsgebiet zu reduzieren. Vor allem bei chirurgischen Eingriffen wird damit eine bes-sere Übersicht am Eingriffsort erzielt (Abb. 4). Die Wirkdauer des Articains 1:200.000 ist ausreichend, um eine suffiziente postoperative Schmerzausschaltung zu erzielen. Die darüber hinausgehende postoperative Analgesie erfolgte bei Bedarf mit Ibuprofen 600.
Da bei der Patientin trotz ihres Alters keine Kontraindikationen für Adrenalin vorliegen, ist die gewählte Vasokonstriktorkonzentration für den Eingriff angemessen. Müsste beispielsweise bei einer absoluten Kontraindikation für Adrenalin wie unkontrollierter Hyperthyreoidismus auf den Vasokonstriktor verzichtet werden, würde in unserer Praxis eine Leitungsanästhesie mit 4%igem Articain ohne Adrenalin (Ultracain® D ohne Adrenalin, Sanofi- Aventis Deutschland GmbH) infrage kommen. Auch ohne Adrenalin würde das Lokalanästhetikum unserer Erfahrung nach eine ausreichend lange und tiefe Anästhesie gewährleisten.
Erfolgreiche Schmerzausschaltung
Bei der in diesem Fall verwendeten Infiltrationsanästhesie erfolgte die Applikation von 1,7 ml Articain 1:200.000 am Nervus mentalis mit niedriger Geschwindigkeit von etwa 1 ml je 30 Sekunden, um den Injektionsschmerz zu reduzieren. Die Weichteilanästhesie war auf Regio 31 bis 33 reduziert. Die Patientin gab postoperativ an, keine Schmerzen während der Behandlung gespürt zu haben. Nach Ausheilung der Gingiva um die Gingivaformer (Abb. 5) ist geplant, dass die Implantate prothetisch mit jeweils einer Suprakonstruktion versorgt werden und dazu – etwa 21 Tage später – die Abdrucknahme erfolgt.
Fazit
Dieses Fallbeispiel zeigt, dass sich der in der Literatur empfohlene Einsatz der Infiltrationsanästhesie mit Articain 1:200.000 im anterioren Unterkiefer auch in der Praxis bewährt. Aufgrund der geringeren Dicke des kortikalen Knochens diffundiert das Lokalanästhetikum leicht durch den Alveolarknochen. Die reduzierte Adrenalinkonzentration ist für chirurgische Eingriffe dieser Art ebenfalls ausreichend.
Literatur
1 Daubländer M., Kämmerer P., Liebaug F.: Differenzierte Lokalanästhesie. Dental Magazin 34 (8), 42–47 (2016).
2 Daubländer M., Kämmerer P. W.: Lokalanästhesie in der Zahnmedizin. Forum-med-dent, Sanofi-Aventis, Berlin 2016.