Oralchirurgie 05.03.2011
Pott's Puffy Tumor nach Sinuslift - Ein ungewöhnlicher Fall
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Der Zahnersatz durch Implantate ist die wohl größte
Innovation in der Zahnmedizin in den letzten Jahrzehnten. Der überwiegende
Teil der Implantate wird komplikationslos ossär integriert. In seltenen
Fällen können jedoch auch schwerwiegende Komplikationen auftreten. Über
einen besonderen Fall wird kasuistisch berichtet.
Eine Komplikation der Sinusitis
frontalis stellt die Stirnbeinosteomyelitis mit Entwicklung eines
subperiostalen Abszesses dar. Dieses Krankheitsbild wurde 1970 erstmalig
von Sir Percival Pott beschrieben und als Pott’s Puffy Tumor bezeichnet
(Abb. 1). Im Folgenden soll der Fall eines 41-jährigen Mannes beschrieben werden,
der nach einer Zahnextraktion mit simultaner Augmentation des
Kieferhöhlenbodens eine Osteomyelitis des Oberkiefers und nach einem Zeit
- raum von vier Monaten eine schwere Stirnbeinosteomyelitis entwickelte.
Im Detail verlief der Fall wie folgt:
Kasuistik
Im April 2010 wurde die Extraktion zweier nicht erhaltungswürdiger beherdeter Zähne 16 und 17 bei insuffizientem vertikalen Knochenkamm und bestehendem Implantatwunsch durchgeführt. Nach der Extraktion der Zähne erfolgte eine externe Sinusbodenelevation des Alveolarkamms in Regio 16 bis 17 mit Bio-Oss (Fa. Geistlich). Ein kleiner mesialer Einriss der Kieferhöhlenschleimhaut wurde mit Bio-Gide geschient und die Wunde mit einer modifizierten Rehrmann- Plastik verschlossen. Anfang Juni klagte der Patient über starke Stirn-Kopfschmerzen und begab sich zum HNO-Arzt, welcher eine Computertomografie veranlasste (Abb. 2).
Wegen einer exazerbierten chronischen Rhinosinusitis mit beginnender Orbitalphlegmone erfolgte tags darauf eine mikroskopische, beidseitige Pansinusoperation. Der postoperative Verlauf gestaltete sich unter einer antibiotischen Therapie mit Cefuroxin zunächst ordnungsgemäß. Nach fünf Wochen kam es zu erneuten frontalen Cephalgien, die sich während einer erneuten stationären, zunächst konservativen Therapie mit Clindamycin 3 x 600 mg/d intravenös besserten. Ende Juli 2010 kam es zu einer deutlichen Rötung und Schwellung im Stirnbereich. Eine erneute Computertomografie ergab eine Osteomyelitis der Stirnhöhlenvorder- und Hinterwand mit subperiostaler Abszedierung. Am gleichen Tag erfolgte die Stirnhöhlenoperation von außen mit vollständiger Abtragung des ostitischen Knochens, Entlastung des Abszesses und Anlegen einer breiten Drainage zur Nase. Postoperativ schloss sich eine gezielte antibiotische intravenöse Therapie von Actinomyces Meyeri (nach intraoperativem Abstrich) mit Ceftriaxon und Clindamycin an.
Vier Tage nach dieser Operation wurde die seit Juni 2010
fistelnde Entzündung im rechten Oberkiefer durch den konsilarischen
MKG-Chirurgen über einen Zugang nach Caldwell-Luc mit Entfernung des
Knochenersatzmaterials und Extraktion von Zahn 15 saniert. Bis zum
Absetzen der oralen antibiotischen Therapie mit Clindamycin bestand bis
Mitte August eine ordnungsgemäße Wundheilung. Wenige Tage später kam
es zu einer erneuten frontalen Schwellung und Pusentleerung aus dem
Wundbereich. Der Patient wurde daraufhin in unsere Einrichtung verlegt. Es
erfolgten mehrfache Abstriche aus der Stirnhöhle, da der isolierte
Erreger meist als artifizielle mikrobiologische Nebendiagnose anzutreffen
ist und kaum als der auslösende Keim gelten kann. Es konnten jedoch keine
Erreger isoliert werden. Wegen des weiteren undulierenden Verlaufs
mit entzündlichen Zeichen, wie teigiger Schwellung und Rötung, erfolgte
eine intravenöse hochdosierte antibiotische Therapie mit Fosfomycin i.v.
und später mit per os. Wegen beginnender Un - verträglichkeitszeichen und
eines Arzneimittelexanthems wurde die Behandlung mit Fosfomycin nach drei
Wochen abgebrochen und eine Dauertherapie mit Clindamycin per os
fortgesetzt. Am 18.08.2010 erfolgte eine endoskopische Revision des
Cavum maxillae und Erweiterung des Zugangs zur Stirnhöhle, Es wurden
Nekrosen, Sequester und Granulationen abgetragen. Stirn- und Kieferhöhle
wurden täglich, später in dreitägigen Intervallen endoskopisch lokal
behandelt. Am 31.08.2010 wurden MRT-Kontrollen des Befundes und am
21.09.2010 eine Knochen - szintigrafie durchgeführt. Wegen der
hochgradigen Schrumpfungstendenz des Zugangs zur Stirnhöhle, die nach
kompletter Abtragung der Vorder- und Hinterwand eine kollabierte
Weichteilduplikatur darstellte, erfolgte am 23.11.2010 die intrakutane
Implantation einer Knorpelspange aus autologem Concha - knorpel, um
eine stabile Öffnung zur „Stirnhöhle“ zu gewährleisten. Insgesamt
konnte die ostitische Entzündung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt
beherrscht werden. Bevor rekonstruktive Maßnahmen zur Rekonstruktion der Stirnhöhlenvorderwand
erfolgen, sollte ein Zeitraum von mindestens einem Jahr vergehen.
Diskussion
Pott’s
Puffy Tumoren treten posttraumatisch oder durch ossäre entzündliche
Fortleitung der Schleimhautentzündung auf das Os frontale oder auch
postoperativ auf. Speziell eine purulente Rhinosinusitis führt durch
osteomyelitische Foci zur Arrosion der Stirnhöhlenwände und somit zur
Ausbreitung in den Epiduralraum. Durch retrograde Thrombophlebitis der Hirnvenen
oder über infektiöse Thromben in den Diploe-, Dura- sowie Meningealvenen
kann es dabei zur weitergehenden intrakraniellen Ausbreitung kommen. Schwerwiegende
Folgen eines Pott’s Puffy Tumors können die Entwicklung eines epiduralen,
subduralen oder Hirnabszesses sowie eine Sinusvenenthrombose sein. Als
Therapie der Wahl gilt die radikale chirurgische Sanierung des Stirnbeins
mit vollständiger Resektion des osteomyelitischen Knochens und
Abszessdrainage, kombiniert mit einer erregerspezifischen Antibiose für mindestens
zwölf Wochen.
Fazit
Die vorliegende Kasuistik schildert einen typischen Verlauf
der Erkrankung, an deren Anfang eine Zahnoperation mit Augmentation des
Sinusbodens steht. Es muss der bisher unbekannte und seltene Fall eines Pott’s
Puffy Tumors als Komplikation eines Sinuslifts bei vorher bestehender und
aktivierter Rhinosinusitis diskutiert werden.
Literatur beim Verfasser.
Autoren: Prof. Dr. Hans Behrbohm, Dr. med. Gabriele Behrbohm/Berlin