Parodontologie 14.10.2016
Die Einflüsse der Epigenetik
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Warum bekommen viele Menschen Krebs, Parodontitis und andere Erkrankungen? Die Ursache kann in epigenetischen Veränderungen liegen.
Seit der Entdeckung der DNA-Struktur im Jahr 1953 war für Viele von uns klar: Unsere Merkmale sind uns in die Wiege gelegt. Das stimmt jedoch nur bedingt. In den letzten Jahren ist diese Sichtweise, ja sogar die Darwin’sche Evolutionstheorie, erschüttert worden. Es scheint, dass wir selbst unser Genom beeinflussen können und dies vor allem durch Ernährung. Wie soll das funktionieren?
Nicht alles ist vererbt ...
Ob Gene an- oder abgeschaltet werden, hängt von zwei Mechanismen ab: von der DNA-Methylierung und der Modifizierung von Histonproteinen. Diese beiden epigenetischen Mechanismen spielen eine Rolle, ob Genabschnitte gelesen werden und in weiterer Folge Proteine synthetisiert werden. Die „Epigenetik“ im Allgemeinen lässt sich als alle meiotischen und mitotischen Veränderungen der Genexpression definieren, die nicht in der DNA-Sequenz festgelegt sind.
Bisphenol A (BPA), welches als Weichmacher in Plastik zu finden war und teils immer noch ist, kann zu Untermethylierung von DNA-Abschnitten führen. Es imitiert das Hormon Östrogen und ist daher gerade für Kinder eine bedenkliche Substanz. Das Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (SCENIHR) hat sich kürzlich dafür ausgesprochen, dass BPA von Neugeborenenintensivstationen sowie von Stationen für Dialysepatienten verbannt werden sollte, da Gesundheitsrisiken für möglich gehalten werden.
Was kann man gegen epigenetisch wirksame Substanzen tun?
Nachdem schon beinahe alles in Plastik verpackt ist, fragt man sich, was man denn nun gegen mögliche gesundheitsschädliche Verpackungen und Beschichtungen tun kann. Wer nicht den Bio-Laden ums Eck hat oder selbst Obst und Gemüse anpflanzt, kann sich zumindest an gewissen Lebensmitteln orientieren: Gegen die Modifizierung einzelner DNA-Abschnitte können bestimmte Lebensmittel, wie z. B. Brokkoli, Granatapfel, Bohnen, Kurkuma und insbesondere grüner Tee helfen.
Dass die Krebsrate in Japan, wo aufgrund des stressigen Lebensstils ein höheres Auftreten von Krebs vermutet werden könnte, signifikant niedriger ist als in anderen Industrienationen, ist wahrscheinlich auf den hohen Konsum des grünen Tees zurückzuführen. Dies wird auch als „Japanisches Paradox“ bezeichnet. Der Inhaltsstoff Epigallocatechin-3-Gallat des grünen Tees kann die DNA-Methylierung hemmen und somit dem Entstehen von Krebszellen entgegenwirken.
Bin ich nur für mich verantwortlich ...?
Welche Gene an- oder abgeschaltet wurden, hängt nicht nur von einem selbst ab. Diese epigenetischen Änderungen können auch direkt vererbt werden. Eindrucksvoll ließ sich dies anhand vermehrten Auftretens chronischer Erkrankungen dokumentieren, die bei Nachkommen von Personen auftraten, deren Eltern oder Großeltern während der Schwangerschaft Hunger erleiden mussten. In Untersuchungen über Diabetes konnte gezeigt werden, dass bei großen Hungersnöten der letzten 100 Jahre die Mangelernährung während der Schwangerschaft zu einem erhöhten Diabetesrisiko in den Folgegenerationen führte. Ein epigenetischer Mechanismus wird dahinter vermutet.
Im Tierexperiment konnte ebenfalls gezeigt werden, dass durch epigenetische Einflüsse hervorgerufene Merkmale direkt an nächste Generationen vererbt werden können. Fliegenlarven wurden in einem Experiment an der ETH Zürich in Basel unter Prof. Renato Paro beispielsweise unüblicher Hitze ausgesetzt. Dies hatte zur Folge, dass Fliegen mit roten Augen zur Welt kamen. Deren Nachkommen hatten zum Teil auch wieder rote Augen, ohne dass nochmals ein Hitzereiz gesetzt wurde. Mit anderen Worten: die DNA-Sequenz, welche für die Augenfarbe verantwortlich ist, blieb gleich, die Augenfarbe änderte sich jedoch. Die Darwin’sche Evolutionstheorie, nach welcher es z. B. Mutationen für Änderungen des Phänotyps braucht, gilt zwar nicht als widerlegt, jedoch um einen wesentlichen Aspekt ergänzt. Die epigenetische Prägung beginnt bereits vor der Geburt, je nachdem, wie sich die werdende Mutter ernährt und welchen Toxinen sie sich aussetzt. Nach der Geburt formt sich das Erwachsenen-Epigenom, welches durch Ernährung, Krankheit, Medikamente, Toxine und durch das Altern selbst beeinflusst wird.
Dass Ernährung ein wesentlicher Faktor für die phänotypische Ausprägungen ist, wird uns im Tierreich erstaunlich vor Augen geführt. Eine Bienenkönigin wird zu einer solchen nicht etwa, weil ihre DNA anders codiert ist als die einer Arbeiterin. Ihr Erscheinungsbild ändert sich lediglich über eine veränderte Ernährung, wobei Gelée royale epigenetisch wirksam ist. Epigenetische Mechanismen führen auch bei der Agouti-Maus zu einem anderen Aussehen. Ist die Agouti-Maus mit unmethylierter DNA gelb, fettleibig sowie anfällig für Diabetes und Krebs, so erscheint die Agouti-Maus, deren DNA-Abschnitte methyliert sind, braun und dünn. Verantwortlich für das veränderte Erscheinungsbild ist lediglich die Ernährung der Maus in der Schwangerschaft. Ein Mix aus Vitamin B12, Folsäure und Cholin reicht für derart tiefgreifende Änderungen aus.
Was hat das nun mit Parodontitis zu tun …?
Wenn man durch Aufnahme von Plastikbestandteilen Krebs begünstigen kann, wie sieht es dann bei anderen Erkrankungen aus, deren Ätiologie noch nicht vollständig geklärt ist? Die Forschung arbeitet schon seit einiger Zeit an epigenetischen Aspekten der Parodontitis, um auch dort abnorme Muster der DNA-Methylierung aufzuspüren. Warum reagieren wir unterschiedlich auf entzündliche Reize? Dies wurde bislang teilweise auf genetische Polymorphismen zurückgeführt. Nun scheint es aber, dass Mechanismen wirken können, die nicht genetischen, sondern epigenetischen Ursprungs sind. Bei Parodontitis wurde im Konkreten festgestellt, dass manche DNA-Abschnitte eine veränderte Methylierung aufweisen und dadurch die Produktion von proinflammatorisch wirksamen TNF-α gesteigert wird. Es mutet jedoch so an, dass nicht nur die veränderte DNA-Methylierung, sondern auch eine Modifikation der Histone bei Parodontitis eine Rolle spielen. Diese durch Bakterien induzierte epigenetische Modifikation wird für die Heraufregulierung des Entzündungsmediators NF-κB verantwortlich gemacht.
Fazit
Das holistische Konzept rückt für die Parodontitisprävention und -therapie nun wieder vermehrt in den Vordergrund. Kann man durch Ernährung nachweislich epigenetische Veränderungen steuern, die auch das Parodontium positiv beeinflussen? Die Forschung darüber hat gerade erst begonnen.
Die vollständige Literaurliste finden Sie hier.