Prophylaxe 23.04.2018
Einfluss der Ernährung auf die parodontale Gesundheit
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Neuere ätiologische Theorien zur Entstehung der Parodontitis heben in immer größerem Maße die inflammatorische Reaktion des Wirtsorganismus in den Fokus. Hierbei scheint die Ernährung einen maßgeblichen Einfluss auf die Immunologie ausüben zu können, sowohl auf Ebene der Makro- als auch der Mikronährstoffe.
Lange Zeit galt in der Parodontologie das Dogma, dass der Zahnbelag hauptverantwortlich für die parodontale und gingivale Inflammation sei, vor allem gestützt durch die Untersuchungen zur experimentellen Gingivitis von Löe und Kollegen (1965). Nach diesem Modell der unspezifischen Plaquehypothese galt, „je mehr Plaque, desto mehr Entzündung“. Allerdings konnte mit der unspezifischen Plaquehypothese nicht erklärt werden, warum manche Patienten trotz einer Plaqueakkumulation nur geringe Entzündungszeichen entwickelten (Brecx et al., 1988) bzw. warum schwere parodontale Destruktionen zum Teil nur mit geringen Plaquewerten einhergingen – wie im Fall der aggressiven Parodontitis oder dem Syndrom des Leukozytenadhäsionsdefektes (Hajishengallis, 2014). Die folgenden Jahrzehnte der Forschung führten dementsprechend zu einer genaueren Analyse der mikrobiologischen Faktoren (spezifische Plaquehypothese). Die spezifische Plaquehypothese fokussierte dabei vor allem spezielle parodontale Markerkeime wie Aggregatibacter actinomycetemcomitans oder Porphyromonas gingivalis (Socransky und Haffajee, 1992). Allerdings konnte auch mit der spezifischen Plaquehypothese nicht erklärt werden, warum bestimmte Markerkeime wie P. g. auch bei Gesunden vorkommen können, ohne eine Parodontitis auszulösen (Cullinan et al., 2003). Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Entstehung von parodontalen Erkrankungen, die mit einer veränderten mikrobiologischen Situation assoziiert sind (Dysbiose), lieferten die Untersuchungen des Mikrobiologen Phil Marsh im Rahmen seiner aufgestellten „ökologischen Plaquehypothese“ (Marsh, 2006). Entsprechend der ökologischen Plaquehypothese muss der Organismus den parodontalpathogenen Bakterien überhaupt erst mal die Grundlage für die Besiedlung bieten. Die beeinflussenden Umweltfaktoren sind dabei unter anderem erhöhte Sondierungstiefen, welche mit einer erhöhten Temperatur und einem niedrigeren Sauerstoffpartialdruck einhergehen als reguläre Sondierungstiefen, ein erhöhter pH-Wert und die Bereitstellung von Nährstoffen. Im Gegensatz zu saccharolytischen Bakterien, wie sie bei der Karies zu finden sind, verstoffwechseln parodontalpathogene Keime vornehmlich Proteine und erhöhen mit deren Stoffwechselprodukten den pH-Wert. Paradoxerweise stellt der Organismus bei Entzündungsprozessen durch eine erhöhte Exsudationsrate diese Proteine sogar in größerem Maße zur Verfügung. Betrachtet man zusammenfassend die Erkenntnisse der ökologischen Plaquehypothese, kann man sagen, dass parodontalpathogene Keime von der Entzündungsreaktion des Organismus abhängig sind, welche mit einer erhöhten Temperatur und erhöhter Verfügbarkeit von bakteriellen Nährstoffen einhergeht.
Einfluss von Nahrung auf die Inflammation
Diese wechselseitige Beziehung zwischen parodontalpathogenen Keimen und der Entzündungsreaktion des Körpers impliziert die Frage, wie auf natürliche (nicht medikamentöse) Weise Entzündungsprozesse im Körper reduziert werden können. Dabei ist Ernährung nur ein Faktor (neben anderen wie z. B. körperlicher Aktivität und Stress), aber mit beeindruckenden Wirkungen wie im Folgenden dargestellt werden soll.
Einen wesentlichen Beitrag bezüglich des inflammatorischen Einflusses von Ernährung liefern die Ergebnisse einer Untersuchung von van Woudenbergh et al. (2013). Die Forscher der Universität Wageningen (Niederlande) untersuchten Daten von 1.024 Patienten in Bezug auf deren Ernährungsverhalten und inflammatorischen Markern wie C-reaktivem Protein, Interleukin-6, Interleukin-8 und Tumornekrosefaktor-α. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass bestimmte Ernährungsfaktoren eindeutig mit einer erhöhten Entzündungsreaktion im Körper assoziiert waren, wie unter anderem einfache Kohlenhydrate, gesättigte Fettsäuren und Transfettsäuren. Im Gegensatz dazu konnten sie auch Faktoren feststellen, die signifikant mit geringeren systemischen Entzündungsreaktionen einhergingen, wie Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffe, diverse Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente) und sekundäre Pflanzenstoffe (wie in Kurkuma, grünem Tee, Rotwein). Diese Faktoren stimmten dabei auch mit Studien überein, die verschiedene Ernährungsformen auf Entzündungsmarker untersucht haben (Greer, 2012). Nach diesen wirkt sich vor allem eine ballaststoffreiche Kost mit viel Gemüse, Nüssen, Hülsenfrüchten, Obst und mehrfach ungesättigten Fettsäuren positiv auf Entzündungsmarker aus. Im Gegensatz dazu geht eine Ernährung mit vielen einfachen Kohlenhydraten (wie Zucker), gesättigten Fettsäuren und einem geringen Anteil an Mikronährstoffen mit erhöhten Entzündungswerten einher.
Einfluss einzelner Ernährungsfaktoren auf die Parodontitis
Eine Studie, die beeindruckende Ergebnisse bezüglich Ernährungsfaktoren und parodontaler Entzündung zeigen konnte, wurde von Baumgartner et al. (2009) durchgeführt. Die Forscher hatten die Möglichkeit, eine Kohorte von zehn Probanden zu untersuchen, die sich im Rahmen einer Fernsehreportage vier Wochen unter Steinzeitbedingungen aufhielten. Durch das Fehlen der üblichen Mundhygienemaßnahmen kam es konsequenterweise zu einer deutlichen Plaqueakkumulation. Was jedoch beeindruckend war, dass es trotz der Plaqueakkumulation zu keinem Anstieg der marginalen gingivalen Entzündung (GI) und sogar zu einer Reduktion der parodontalen Inflammation (gemessen anhand des Blutens auf Sondieren – BOP) kam. Die Autoren erklärten die Ergebnisse durch den Wegfall der prozessierten, hochglykämischen Kohlenhydrate (z. B. Zucker, Weißmehle) in der Ernährung.
Neben dem Einfluss der hochglykämischen Kohlenhydrate lassen sich aber auch Effekte von verschiedenen Fettsäuren auf die parodontale Entzündung zeigen. Hier konnte in den letzten Jahren grundlagenwissenschaftlich gezeigt werden, dass vor allem die sogenannten Omega-3-Fettäuren durch aktive Metabolite (spezielle Lipidmediatoren) in der Lage sind, Entzündungsprozesse aufzulösen (Serhan et al., 2015). Erste klinische Studien im Bereich der Parodontitistherapie konnten hier die Wirksamkeit von adjunktiven Omega-3-Gaben in Bezug zur Sondierungstiefenreduktion und Entzündungsreduktion demonstrieren (Chee et al., 2016).
Neben den Makronährstoffen scheinen vor allem aber auch die Mikronährstoffe einen wesentlichen Einfluss auf das parodontale Entzündungsgeschehen zu haben. Während die Rolle des Vitamin C für die parodontale Gesundheit schon länger bekannt ist, konnten in den letzten Jahren immer mehr Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe mit parodontaler Gesundheit in Verbindung gebracht werden (Chapple, 2009; Dodington et al., 2015; Merchant et al., 2006; Van der Velden et al., 2011).
Auf diesen Grundlagen wurde an der Universität Freiburg eine Pilotstudie durchgeführt, die den Einfluss einer mundgesundheitsoptimierten Ernährung auf die parodontale Entzündung untersuchte (Woelber et al., 2016). Die Ernährungsempfehlung bestand dabei aus einer Ernährung, die arm an prozessierten und hochglykämischen Kohlenhydraten und reich an Omega-3-Fettsäuren, Vitamin C, Vitamin D, Ballaststoffen und Antioxidantien sein sollte. Im Rahmen der Untersuchung vollzogen zehn Probanden für vier Wochen die mundgesundheitsoptimierte Ernährung, während in der Kontrollgruppe fünf Probanden die gewohnte „normale“ Ernährung fortsetzten. Alle Probanden führten während des Studienzeitraums keine Zahnzwischenraumreinigung durch. Die Ergebnisse zeigten auch hier, dass obwohl keine Änderung in den Plaque-Werten feststellbar war, es zu einer signifikanten Reduktion der gingivalen und parodontalen Entzündung kam. Im Gegensatz dazu führte der Wegfall der Zahnzwischenraumreinigung in der Kontrollgruppe zu einem Anstieg der Entzündungswerte (Abb. 1). Eine weitere interessante Interventionsstudie wurde an der Universität Würzburg durchgeführt, die einen entzündungsreduzierenden Einfluss von nitrathaltigem Salat auf gingivale Parameter an 44 Probanden demonstrieren konnte (Jockel-Schneider et al., 2016).
Fazit
Als zusammenfassende Betrachtung lässt sich sagen, dass das Ernährungsverhalten einen klinisch relevanten Einfluss auf die parodontale Entzündung hat. Interessanterweise scheint es hierbei sowohl aus parodontologischer als auch kariologischer Sicht sinnvoll zu sein, den Konsum von prozessierten, einfachen, hochglykämischen Kohlenhydraten zu vermeiden (vgl. Hujoel, 2009).
In Anbetracht der Wirkstärken, die in den vorhergehend genannten Studien erzielt wurden, wirft der Zusammenhang zwischen Ernährungsfaktoren, Karies und Gingivitis sowohl für die „ätiologische Rolle“ der Plaque als auch für die Bedeutung der Volksgesundheit weitere Implikationen auf. Im Hinblick auf die „durchschnittliche“ Ernährung der deutschen Bevölkerung zeigt sich ein weitverbreiteter Mangel an pflanzenbasierter Ernährung und ein zu hoher Konsum an hochglykämischen Kohlenhydraten sowie proinflammatorischen Fetten (Hauner et al., 2012). Auf Grundlage der dargestellten Zusammenhänge könnten diese Ernährungsweisen einen nicht ganz unwesentlichen Teil zu den hohen Prävalenzen an entzündungsassoziierten oralen Erkrankungen, wie der Gingivitis und Parodontitis, beitragen. Dementsprechend wäre eine Empfehlung zur Reduktion von kariogenen und potenziell proentzündlichen Ernährungsbestandteilen durch das zahnärztliche Team eine wichtige und kausal orientierte präventive Therapie. Tabelle 1 gibt hierzu eine Aufstellung von Ernährungsfaktoren, die vermutlich bzw. nachweislich orale Entzündungen fördern oder hemmen können.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Der Fachbeitrag ist im Prophylaxe Journal 6/2017 erschienen.