Prophylaxe 19.05.2011

Erosion und Abrasion – ein lebenslanges Problem



Erosion und Abrasion – ein lebenslanges Problem

Mit zunehmendem Alter verändert sich das äußere Erscheinungsbild der Zähne. Im Rahmen einer (zunächst) physiologischen Abnutzung treten Substanzverluste auf, die unter anderem durch Abfraktion und Attrition, vornehmlich aber durch erosive und abrasive Prozesse hervorgerufen werden. Diese Vorgänge sind grundsätzlich nicht auf bestimmte Altersgruppen beschränkt; präventive Aspekte spielen daher lebenslang eine entscheidende Rolle.

Mit dem täglichen Gebrauch der Zähne wird letzteren im Laufe des Lebens einiges zugemutet. Eine Vielzahl physikalischer, chemischer und biochemischer Noxen trägt in unterschiedlichem Ausmaß dazu bei, dass Zahnhart­substanz verloren geht. Hierzu tragen in erster Linie Nahrungsmittel bei; kauzwingende Kost verursacht über Monate und Jahre einen erhöhten Abrieb, der bei Aufnahme von sauren Speisen und Getränken noch verstärkt wird. Auch Zahnpflegemittel können – bedingt durch Abrasivstoffe und den pH-Wert der verwendeten Substanzen – zu einem erhöhten Substanzverlust beitragen. In gerin­gerem Ausmaß – aber über die Lebensspanne betrachtet ebenfalls nicht unerheblich – führen die Kaubewegungen selbst zum Verlust von Schmelz, da die antagonistischen Kontakte selbst zu einem reibungsbedingten Abrieb beitragen (Attrition). Die Belastung während des Kauvorgangs resultiert in Stauchungsverformungen, die zu Mikrofrakturen führen, was nach und nach zum Abplatzen im Zahnhalsbereich führt (Abfraktion).

Diese Prozesse treten selten isoliert in Erscheinung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich um ein simultanes oder sogar synergistisches Auftreten der unterschiedlichen Faktoren handelt. Dies erschwert mitunter die Ursachenerhebung und verunmöglicht nicht selten eine schnelle Diagnose. Allerdings ist davon auszugehen, dass im Rahmen einer eingehenden Befunderhebung häufig dominierende Faktoren erkennbar werden; nicht selten spielen bei rasch fortschreitendem Subs­tanzverlust erosive Prozesse eine zentrale Rolle (Abb. 1).

 

Abb.1: Ausgeprägter Zahnhartsubstanzverlust bei einem 78-jährigen
männlichen Patienten. Im vorliegenden Fall ist von einer primär
abrasiv-attritiven Komponente auszugehen; anamnestisch fanden sich ­
jedoch deutlich Hinweise auf einen erosiven Einfluss.

Sind Erosion und Abrasion den oralen Erkrankungen zuzurechnen?

Bei Betrachtung der Ätiologie erosiv oder abrasiv bedingter Zahnhartsubstanzveränderungen kann nicht unwidersprochen von einer Erkrankung gesprochen werden; vielmehr handelt es sich zunächst um einen im Grunde physiologischen Prozess, der sich über viele Jahre erstreckt und in einem gewissen Umfang akzeptabel erscheint. Dabei ist letztlich das Alter des Patienten ein entscheidendes Kriterium; es liegt auf der Hand, dass die Zähne eines jungen Erwachsenen weniger abgenutzt sind als die eines Urgroßvaters. Von pathologischen Veränderungen im engeren Sinne kann man bei ausgeprägten Zahnhartsubstanzverlusten (ggf. in Kombination mit auftretenden Schmerzen oder endodontischen Notfällen) reden; die Veränderungen sind jedoch immer in Relation zum jeweiligen Alter des Patienten zu setzen.

Das Zusammenspiel von Erosion und Abrasion

In Gegenwart (oder nach dem Genuss) von Säuren ist Zahnschmelz sehr anfällig für Abrasionen. Dies gilt nicht nur für stärker einwirkende Kräfte (z.B. während des Kauvorganges), sondern auch für vergleichsweise unverdächtige Belastungen wie beispielsweise die Reibung der Zunge. In den zurückliegenden Jahren wurde daher insbesondere den möglicherweise abrasiven Einflüssen des Zähneputzens verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt. Der Genuss säurehaltiger Speisen trägt zu einer oberflächlichen Demineralisation der Zahnhartsubstanzen bei; letztere werden dadurch weicher und können mechanischen Beanspruchungen gegenüber nur noch einen geringen Widerstand leisten. Dies gilt auch für das (experimentelle und klinisch unübliche) Putzen ohne Paste; beim Einsatz von Zahnpasten hängt der Zahnhartsubstanzverlust von der Dauer des Putzens, dem Abrasivgehalt der Pasten und dem pH-Wert der unterschiedlichen Produkte ab. Diese Überlegungen gelten sowohl für Schmelz als auch für Dentin, wobei das Zahnbein bei jüngeren Patienten naturgemäß nicht in wesentlichem Ausmaß betroffen ist.

Der abrasive Effekt von mechanischen Einwirkungen nach Säuregenuss betrifft zunächst immer die der Säurewirkung exponierten Flächen. Dabei werden die durch die Säure erweichten Schmelz- oder Dentinbereich verstärkt abgetragen. Diese Bereiche sind (abhängig von der Dauer der Säureeinwirkung und der Säurestärke) nur wenige Mikrometer stark; werden diese Bereiche beispielsweise durch das Bürsten mit Zahnpaste abradiert, sind sie unwiderruflich verloren. Die unter dem erosiv veränderten Schmelz liegenden Bereiche sind unverändert und daher zunächst nicht so leicht abradierbar. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Areale stärker erosionsanfällig sind (und dann wieder abradiert werden können). Die beste Prävention stellt daher die Vermeidung von säurehaltigen Speisen und Getränken dar. In Tabelle 1 sind einige säurehaltige Getränke aufgeführt. Die häufig verbreitete Ansicht, dass remineralisierende Effekte (z. B. durch Speichel, Milch, Käse) in diesen Situationen hilfreich sind, ist daher falsch. Durch eine Remineralisation kann allenfalls noch nicht abradierte Zahnhartsubstanz wieder gehärtet werden. Dies erklärt auch, dass bei lebenslanger Betrachtung immer wieder Zahnhartsubstanz verloren geht; dieser Prozess summiert sich über mehrere Jahrzehnte und wird mit der Zeit klinisch sichtbar.

 

Tab.1: Säurezusammensetzung unterschiedlicher Getränke

Natürliche Abwehr – Pellicle und Speichel

Das sich rasch bildende Speicheloberhäutchen hat in ­einem gewissen Umfang (bei mäßiger Säurezufuhr) schützende Funktion. Bei ausgiebigem Genuss von Säuren wird jedoch auch die Pellicle weitgehend entfernt, und die erwähnte Schutzfunktion geht verloren. Für den Wiederaufbau des durch die Pellicle etablierten Erosionsschutzes ist daher eine ausreichende lange Zeitspanne notwendig, die häufig mit etwa einer Stunde ­angegeben wurde. Auch das Zähneputzen selbst entfernt die äußeren Schichten der Pellicle. Aus diesem Grunde sind frisch geputzte Zähne anfälliger für Erosionen; das Zähneputzen unmittelbar vor dem Genuss von säurehaltigen Speisen und Getränken garantiert daher keinen ausreichenden Schutz vor säurebedingten Erosionen. Auch hier scheint daher das Zuwarten für mehrere Minuten sinnvoll zu sein, um den Aufbau der Pellicle zu ermöglichen.

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