Zahntechnik 15.05.2012
Rückbesinnung auf eine Ethik der Pflicht
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In unschöner Regelmäßigkeit lesen wir von Fällen, in denen Unternehmen scheitern, weil sie nicht ehrlich gewirtschaftet haben. Der deutsche Mittelstand, zu dem auch Dentallabore gehören, pflegt indessen seine eigene Ethik der Pflicht – und fährt damit sehr erfolgreich.
Abseits der öffentlichen Erregung über gewissenlose Blender in der Konzernwelt arbeiten hierzulande viele Tausend Mittelständler ehrlich, erfolgreich und vor allem pflichtbewusst. Über 90 Prozent der Unternehmen zählen zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), und mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer sind hier tätig. Nicht die Zahlen stehen bei Mittelständlern im Mittelpunkt, sondern eine sehr eigenwillige Balance von emotionaler Zusammenarbeit und klarer Analyse, von visionärer Kraft und praktischer Intelligenz – im Kern getrieben von Werten und einem überaus starken Sinn für eine Tugend, die uns heute geradezu altmodisch vorkommt: die Pflicht. Das Ergebnis lässt sich auch für Zahntechniker ganz einfach zusammenfassen: Im Zentrum steht die Verpflichtung gegenüber Kunden, Zahnärzten wie Patienten, Mitarbeitern und gegenüber der eigenen Familie. Konkret heißt das Zuverlässigkeit, Orientierung an der Aufgabe, Leidenschaft und Fleiß.
Leistung muss mehr sein als Erfolgstheater
Leistung ist ein Wert, der in unserer Gesellschaft mehr als andere zählt. Wer erfolgreich ist, den bewundern wir für das, was er in seinem Leben geleistet hat, für seine richtigen Entscheidungen, für seinen unternehmerischen Weitblick. Den Erfolg lesen wir an den Insignien des erfolgreichen Lebensstils ab: Haus, Auto, Urlaubsreisen, Outfit, gesellschaftliche Auftritte. Die Inszenierung des Erfolgs nehmen wir für den Erfolg selbst. Mehr noch: Wir lieben das Erfolgstheater! Umso schlimmer, wenn die Inszenierung als Bluff auffliegt. Das Geld für Haus, Partys und Urlaube floss aus undurchsichtigen Quellen, die Dissertation stammte nicht aus der eigenen Feder und so weiter. Es ist müßig, die Namen zu nennen, die aktuell am Pranger der Medien stehen. Die Namen wechseln, die Vorwürfe bleiben gleich.
Ethik braucht einen Diskurs
Was wir brauchen, ist ein neuer Blick auf die Spannungsfelder, die hinter den modernen Inszenierungen von Leistung, Aufstieg und Niedergang stehen. Auch Dentallabore kennen die Spannung zwischen Innovation und Tradition, Risiko und Sicherheit, Vertrauen und Kontrolle, Idealismus und Gewinn.
Eine wirklich werteorientierte Führung ist nur möglich, wenn sich Zahntechniker immer wieder bewusst machen, wie die Spannungsfelder aussehen, in denen sie sich bewegen. Auflösen lassen sie sich nicht! Heute mag es sinnvoll sein, eher in die eine Richtung zu entscheiden, morgen kann es wieder anders aussehen. Natürlich wäre es einfacher, wenn wir alles nach Schema F entscheiden könnten. Doch die Erfüllung unternehmerischer Pflicht ist naturgemäß nicht einfach, sondern eine große Herausforderung. Jeden Tag.
Zahntechniker nehmen diese Herausforderung an und werden ihrer Verantwortung immer wieder neu gerecht. Die meisten erfüllen diese Herausforderung mit Bravour – aber mit großer Bescheidenheit, sodass die Öffentlichkeit kaum Notiz davon nimmt. Wir sollten weniger nach der „Renaissance der Werte“ rufen und vielmehr die starke Haltung anerkennen, die in so vielen Laboren seit Generationen wirksam ist. Die Haltung: Mittelstand verpflichtet!
Neustart in der Wertekrise
Was wir brauchen, ist eine neue Diskussion über Werte. Nicht das Nachbeten von Slogans, sondern wirkliche Auseinandersetzung: Warum bedeutet Leistung für uns alles? Welchen Preis bezahlen wir eigentlich für die maßlose Überbewertung dieses Wertes?
Die sinnentleerte Floskel „Leistung muss sich lohnen“ muss wieder Sinn erhalten. Leistung, Freiheit, Verantwortung und Gerechtigkeit müssen wieder in Einklang kommen. Werte zeigen und verwirklichen sich oft erst im Moment einer Katastrophe.
„Die Möglichkeit, derartige Einstellungswerte zu verwirklichen, ergibt sich immer dann, wenn sich ein Mensch einem Schicksal gegenübergestellt findet“, erklärt Viktor E. Frankl (1905–1997), Gründer der „Dritten Wiener Schule der Psychotherapie“. In diesem Augenblick komme es darauf an, „dass er es auf sich nimmt, dass er es trägt“ und „wie er es trägt“. Es geht um Haltung, um Tapferkeit und Würde, selbst, wenn alles verloren scheint. Und hier liegt unsere Chance: Wir brauchen Wertekrisen, weil wir in diesen Krisen unser eigenes Wertekorsett neu schneidern oder neu verschnüren können. In der Krise liegt immer die Chance für einen Neuanfang. Als Zahntechniker können wir uns neu die Fragen stellen: Welche echte Leistung ist die zentrale Triebfeder des Labors? Mit welchen Werten ist diese Leistung verbunden? Daraus folgend: Welchen Beitrag will das Labor für seine Kunden (Zahnärzte/Patienten) leisten? Dieser Nutzen sollte im Mittelpunkt der gesamten Geschäftstätigkeit stehen – nicht die Leistungsinszenierung des Labors oder des Zahntechnikers. Gelingt es, Werte wirklich balanciert zu leben, profitieren Dentallabore gleich mehrfach. Sie gewinnen:
• Vertrauen, und zwar sowohl von ihren Kunden wie auch von ihren Mitarbeitern;
• Innovation, denn aus einer starken Wertequelle sprudeln immer wieder neue Ideen für noch überzeugenderen Kundennutzen;
• Motivation, denn Mitarbeiter, die ihr Labor als authentisch, gerecht und berechenbar erleben, leisten ihren Beitrag gerne;
• Kontinuität, denn ein Blick auf die Historie zeigt: Die Labore, die in der X. Generation von einer Familie geführt werden, sind oft getragen von einer besonders starken Wertebasis;
• Profit: Je besser die Ergebnisse eines Labors, desto größer sein Spielraum für soziales, kulturelles und ökologisches Engagement – das wiederum Kunden und Mitarbeiter bindet.
Es gilt: Ohne Profit ist keine Ethik möglich, und ohne Ethik kein Profit. Wer hier eine klare Linie fahren will, muss als Zahntechniker und Laborinhaber vor allem Mut haben. Die Courage, eigene Wege zu gehen. Die Courage, Nein zu sagen, auch wenn alle anderen anders denken und handeln. Die Courage, sich gegen Gepflogenheiten zu stellen. Kurt Tucholsky hat dies einmal sehr schön auf den Punkt gebracht: „Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Cha-rakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Es ist an der Zeit, konstruktiv „Nein!“ zu sagen. Es ist an der Zeit, sich mit Gegenentwürfen zu beschäftigen, und zwar differenziert, klar und ehrlich. Durch ein solches Verhalten riskiert man oberflächlich blaue Flecke, auf Dauer aber erhält man sich ein gesundes Rückgrat.