Zahntechnik 25.10.2013

Materialvielfalt verlangt hohe Werkstoffkompetenz

Materialvielfalt verlangt hohe Werkstoffkompetenz

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Für eine patientengerechte prothetische Versorgung ist neben den anatomischen Gegebenheiten die Wahl des Materials ein wesentlicher Aspekt. Dem Zahntechniker kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu, denn er kann dem Zahnmediziner mit seinem werkstoffkundlichen Wissen beratend zur Seite stehen. Im nachfolgend beschriebenen Fallbeispiel kam das in der Zahnmedizin relativ junge, PEEK-basierende Material BioHPP zum Einsatz. Die Autoren des Artikels gehören weltweit zu den Erstanwendern dieses Hochleistungspolymers und können aus mehr als sechs Jahren Erfahrung berichten.

Die Position des Zahntechnikers im prothetischen Therapiekonzept ist ein häufig diskutiertes Thema. Einseitige Diskussionen über den Sinn der Digitalisierung in der Branche ist unserer Meinung nach der falsche Weg, um der rasanten Entwicklung zu begegnen. Die Materialvielfalt, die in den vergangenen Jahren die Versorgung der Patienten auf ein neues Niveau gebracht hat, lässt die Werkstoffkompetenz des Zahntechnikers so wichtig werden wie selten zuvor. Zahnmediziner und Patient sind auf beratende Unterstützung insbesondere bezüglich der Materialwahl angewiesen und hier sollte der Techniker „up to date“ sein. Ein relativ neuer Werkstoff in der Zahnmedizin basiert auf dem Biomaterial PEEK (Polyetheretherketon).

Wir arbeiten seit mehr als sechs Jahren mit dem Hochleistungspolymer BioHPP und gehören zur kleinen Gruppe der Erstanwender. Mittlerweile können wir über zahlreiche Versorgungen berichten, die sich über diesen langen Zeitraum im Patientenmund bewährt haben. BioHPP kann unserer Meinung nach in vielen Fällen zum Material der Wahl werden. Das praxisreife und bei uns seit vielen Jahren angewandte Konzept wird im Folgenden anhand einer implantatprothetischen Versorgung näher erläutert.

Warum PEEK?

Kunststoffe bieten in der Zahnmedizin durch ihr geringes Gewicht sowie den vielfältigen Verarbeitungsmöglichkeiten einige Vorteile gegenüber Metalllegierungen und Keramiken. Allerdings schränken Eigenschaften wie Dauerbiegefestigkeit, Verfärbungen oder eine hohe Wasseraufnahme ihren Einsatz ein. Hauptsächlich werden Kunststoffe für die Herstellung von Provisorien mit kurzer Liegedauer verwendet. Ein Material, welches die bereits genannten Nachteile scheinbar nicht aufweist, beschäftigt seit einiger Zeit die Branche: Polyetheretherketon (PEEK). Mit seinen guten Eigenschaften wurde PEEK bislang vor allem in der Automobilindustrie sowie im Medizinbereich (künstliche Gelenke, Wirbel etc.) genutzt. Die dunkle Farbe machte die Verwendung in der Zahnmedizin noch bis vor einigen Jahren unattraktiv.

 

 

Um aus PEEK hergestellte Biomaterialien auch im dentalen Bereich einsatzfähig zu machen, haben Industrie und Wissenschaft geforscht, entwickelt und können heute praxisreife Produkte anbieten, beispielsweise das Material BioHPP (bredent). Die physikalischen Eigenschaften sprechen für sich: hohe Formstabilität (Schmelzpunkt bei 340 bis 420 °C), chemisch inert, resistent gegenüber Wasser und ein dem spongiösen Knochen ähnliches Biegeelastizitätsmodul. Eine hohe Bruchdehnung und hohe Elastizität sowie Schlagfestigkeit sind weitere Fürsprecher. Zu diesen vielen positiven Aspekten war für uns auch die wirtschaftliche Fertigung einer Restauration aus dem Hochleistungspolymer BioHPP ausschlaggebend, um das Material vor sechs Jahren erstmals in unserem Laboralltag einzusetzen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde BioHPP beziehungsweise ein auf PEEK-basierendes Material für die prothetische Zahnmedizin von vielen Seiten kritisch beäugt. Wir haben an dieses Material geglaubt, arbeiten seitdem mit sehr positiven Erfahrungen damit und können auf einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückblicken.

Sowohl die Resonanz vonseiten der Patienten als auch die langzeitstabilen Ergebnisse (mehr als sechs Jahre in situ) bestätigen die in der Theorie dargelegten Aspekte. Der Einsatzbereich ist vielseitig: Brückengerüste, vollanatomische Restaurationen für den Seitenzahnbereich, Sekundärstrukturen und Klammerprothesen – viele prothetische Indikationen können gelöst werden.

Ausgangssituation

In diesem Fall soll ein Patient auf sechs osseointegrierten Implantaten im Oberkiefer prothetisch versorgt werden. Gefordert wurde eine abnehmbare Restauration. Grund für diesen Lösungsweg war der Patientenwunsch nach einem herausnehmbaren Zahnersatz sowie die gute Hygienefähigkeit einer solchen Versorgung. Der 52-jährige, sehr korpulente Mann hat starke funktionelle Probleme. Es wurde Bruxismus diagnostiziert. Hier eine adäquate Lösung zu finden, war eine Herausforderung, unter anderem hinsichtlich der zu verwendenden Materialien.

Als Therapiemethode wurde eine implantatgetragene Teleskopversorgung (Doppelkronentechnik) vorgeschlagen. Verwendet wurden auf die Abutments (SKY elegance Abutments, bredent) gepresste Primärteile aus BioHPP (bredent), Sekundärteile und Tertiärgerüst in einem Stück aus BioHPP (bredent) und PMMA-Verblendschalen (novo.lign, bredent).

Gründe für die Materialsymbiose

Die funktionellen Probleme des Patienten indizierten eine Bisserhöhung und somit war ein Gerüstmaterial gefragt, welches ein niedriges Elastizitätsmodul aufweist. Zu starre Materialien (hohe Steifigkeit), wie beispielsweise Titan oder Zirkonoxid, können insbesondere bei Patienten mit Bruxismus auf Dauer den Knochen schädigen. Eine knochenähnliche Elastizität des Gerüstmaterials (wie bei BioHPP) ist unserer Meinung nach für diese implantatprothetische Versorgung das Material der Wahl. Hinzu gesellen sich die Verblendschalen (novo.lign), welche ein ähnliches Elastizitätsmodul (ca. 3 GPa) wie BioHPP aufweisen. Die geringe Dichte des PEEK-Materials (1,3 g/cm3) sowie der Verblendschalen gewährleisten ein geringes Gewicht der fertigen Versorgung.

Herstellung der Primärteile

Die Abformung der sechs Implantate im Oberkiefer erfolgte nach gewohnten Kriterien und wurde zusammen mit einem Bissregistrat an das Labor geliefert. Ein Implantatmodell mit Gingivamaske ist für eine solche Indikation für uns unentbehrlich. Um entsprechend Platz für das Fräsen der Primärteile zu schaffen, wurden die Molaren als herausnehmbare Modellsegmente gefertigt. Das fertige Modell bot eine adäquate Grundlage für die Anfertigung der Rekonstruktion. Im ersten Schritt waren die Primärteile zu fertigen. Hierfür bedienten wir uns einer „charmanten“ Methode: SKY elegance Abutments (bredent). Diese Abutments genehmigen ästhetische und individuell auf die Patientensituation angepasste Implantatversorgungen. Der Titananker des Abutments wird hierfür mit einer „Hülle“ aus BioHPP ummantelt. Das Vorgehen ist denkbar einfach, und so konnten auch in dem hier beschriebenen Fall mit relativ wenigen Arbeitsschritten individuelle Abutments (Primärteile) gefertigt werden. Die Titanbasen wurden entsprechend der Situation beschliffen, Primärkronen mit Wachs aufmodelliert und im Fräsgerät parallelisiert.

Ein dünnes Käppchen aus Kunststoff war die Basis der Modellation und garantierte die notwendige Stabilität. Die Wachsrimärgerüste wurden zusammen mit den Titanbasen (SKY elegance Abutment) angestiftet und eingebettet. Das Überpressen mit BioHPP erfolgte unter Vakuum (for 2 press System, bredent). Durch das Vakuumpressen entsteht ein homogener Verbund von Titan (Abutment) und BioHPP (Primärkrone). Vorteil dieses Konzepts ist, dass es keinen Klebespalt gibt und somit die Gefahr von eventuellen Zementrückständen umgangen werden kann. Die absolut spaltfreie Passung sowie die optimalen mechanischen Eigenschaften der Materialsymbiose geben dem Zahntechniker sowie dem Zahnmediziner die notwendige Sicherheit. Durch die sogenannte „Off-Peak-Eigenschaft“ wird die Lasteinleitung in das Implantat wesentlich gedämpft, was insbesondere in diesem Fall (Bruxismus) wichtig für die Langzeitstabilität und Mundgesundheit war. Die mit BioHPP überpressten Titanbasen wurden nach dem Ausbetten ausgearbeitet und auf dem Modell beziehungsweise im Fräsgerät auf 0 Grad geglättet und poliert.

Fertigung der Sekundärstruktur

Um die ästhetischen Anforderungen erfüllen zu können, war das visio.lign-Konzept (bredent) Mittel der Wahl. Das System aus präfabrizierten Verblendschalen (High-Impact PMMA) ermöglicht ein rationelles Vorgehen und zugleich hochwertige Ergebnisse. Bei der Aufstellung der Front- und Seitenzähne im Oberkiefer orientierten wir uns an den ästhetischen, funktionellen sowie den statischen Vorgaben. Vor der Fertigstellung der Restauration war die Evaluierung der Situation im Patientenmund wichtig, bei welcher zusätzlich die phonetischen Parameter überprüft wurden. Die zur Fertigstellung freigegebene Oberkieferversorgung „froren“ wir über einen Silikonwall ein und modellierten mithilfe dieses Vorwalls das Gerüst für die Sekundärstruktur. Als Basis kam erneut Kunststoff zur Anwendung. Über einen dünnen Steg wurden die Primärteile beziehungsweise die „Abutments“ miteinander verbunden und mit Wachs eine Gerüststruktur modelliert. Erneut profitierten wir vom Verblendschalenkonzept. Die Schalen waren im Silikonwall fixiert und konnten einfach mit Wachs aufgefüllt sowie danach der orale Gerüstanteil entsprechend der gewünschten Form modelliert werden. In wenigen Arbeitsschritten entstand ein graziles und gleichzeitig stabiles Wachsgerüst. Ein bisher noch nicht erwähnter Vorteil des Therapiekonzepts ist die gaumenfreie Gestaltung. Patienten sind von diesem „Mehrwert“ begeistert.

Das modellierte Gerüst wurde auf dem Muffelträger angestiftet. Wachsdrähte (2,5 mm) führten vom Objekt zum Querbalken (3,5 mm). Zur Befestigung auf den Muffelträger dienten Wachskanäle in einer Stärke von 4 mm. Um ein gutes Pressergebnis zu erhalten, platzierten wir das Pressobjekt außerhalb des Hitzezentrums. Etwa 20 Minuten nach dem Einbetten wurden die Muffel und der Pressstempel in den Vorwärmofen gestellt, auf eine Temperatur von 630 °C erhitzt und für die empfohlene Haltezeit im Ofen belassen. Für den Pressvorgang musste die Temperatur auf 400 °C reduziert, das Granulat (BioHPP) in die Hohlform (Modellation) gefüllt und die Muffel mitsamt dem Pressstempel für weitere 20 Minuten auf Temperatur gehalten werden. Nach dem Verschließen der Presskammer startete nun der Vakuumdruck-Vorgang. Das Ausbetten und Ausarbeiten des Gerüstes erfolgte im gewohnten Vorgehen: Einbettmasse entfernen, Abstrahlen des Objektes mit Aluminiumoxid, Abtrennen der Presskanäle und Ausarbeiten des Gerüstes (grobverzahnte Hartmetallfräser). Das Gerüst aus BioHPP passte präzise und spannungsfrei auf das Modell und konnte für die Fertigstellung vorbereitet werden.

Fertigstellung der Versorgung

Nach dem Abstrahlen des Gerüstes sowie der Innenflächen der Verblendschalen mit Aluminiumoxid (2 bar) wurde ein Haftvermittler (visio.link, bredent) aufgebracht und das Gerüst mit Opaker bedeckt. Nun konnten die im Silikonschlüssel fixierten Verblendschalen mit einem zahnfarbenen Befestigungskomposit (combo.lign, bredent) aufgefüllt werden. Die Polymerisation erfolgte mit einem Lichthärtegerät durch den transparenten Silikonwall. Abschließend wurde die Arbeit im Polymerisationsgerät endgehärtet. Nach dem Aushärten wurden die oralen, approximalen und zervikalen Flächen der Verblendung mit dem zum visio.lign-System gehörenden „Zahnergänzungskomposit“ (crea.lign) komplettiert. Mit den entsprechenden Dentin- und Transpamassen konnten die ästhetisch anspruchsvollen und farbstabilen Kompositverblendungen vollendet sowie die Gingivabereiche mit rosafarbenem Kunststoff abgedeckt und individualisiert werden. Nach einer abschließenden Politur sowie einer Kontrolle aller feinen Details war die Arbeit fertiggestellt. Das natürlich wirkende Ergebnis war eine gelungene Symbiose einer durchdachten Materialwahl. Mit einem guten Gefühl konnte die Prothese an die Praxis zur Eingliederung in den Patientenmund übergeben werden. Die Abutments (SKY elegance Abutments) „schmiegten“ sich förmlich an das Zahnfleisch an.

Die helle Farbe des PEEK-Materials garantierte, dass keine dunklen Schatten durch die Gingiva durchscheinen werden. Auch die prothetische Überkonstruktion fügte sich harmonisch in den Mund ein. Die Ansprüche an Ästhetik sowie Funktion konnten hochklassig erfüllt werden. Die auf 0 Grad gefrästen Primärteile (BioHPP) und die darüber gepresste Sekundärkonstruktion boten ein ideales Friktionsmodul. Die Prothese ließ sich einfach ein- und ausgliedern und saß fest im Mund. Das geringe Gewicht, die gaumenfreie Gestaltung und die Metallfreiheit der Prothese begeisterten den Patienten. Funktionell konnten zum Zeitpunkt des Einsetzens keine Fehlfunktionen diagnostiziert werden. Die schon bei der Gerüstherstellung angelegten okklusalen Stopps aus PEEK werden bei dem Patienten (starker Bruxismus) die Abnutzung der Verblendschalen deutlich verlangsamen. Zudem unterstützt der okklusale Erstkontakt auf PEEK (geringes Elastizitätsmodul) respektive die knochendämpfenden Eigenschaften des Materials den Langzeiterhalt der Implantate. Frakturieren oder abradieren die Verblendschalen aufgrund der hohen funktionellen Belastung im Laufe der Zeit, ist eine Erneuerung jeder Zeit und ohne hohem Aufwand möglich.

Fazit

Dank der hohen Materialvielfalt in der Zahnmedizin/Zahntechnik wird es möglich, je nach Patientensituation zu agieren. Das „Material dieser Wahl“ ist nicht für jeden Patienten das „Material der Wahl“. Wir als Behandlungsteam sind gefordert, der individuellen Situation gerecht zu werden und patientenspezifisch zu agieren, so wie im vorliegenden Fall. Bei dem Patienten wurde ein schwerer Bruxismus diagnostiziert. Die Zähne beziehungsweise die vorhandene Versorgung waren in der Ausgangssituation stark abradiert und eine Biss-Erhöhung unumgänglich. Hier bedurfte es eines Gerüstmaterials mit niedrigem Elastizitätsmodul: BioHPP (bredent) entsprach mit seiner knochenähnlichen Elastizität dieser Anforderung ebenso wie die Verblendschalen (novo.lign, bredent).

Autoren: ZT Mario Parra, Dr. Daniel Escribano

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