Branchenmeldungen 21.02.2011

40. Jahrestagung der SSP in Basel



40. Jahrestagung der SSP in Basel

Foto: © Dr. Lothar Frank

International bekannte Referenten stellten die Diagnose und Therapie parodontaler Erkrankungen in den Mittelpunkt ihrer Vorträge. Der Jubiläumskongress fand vom 23. bis 25. September 2010 in Basel statt. Dr. med. dent. Lothar Frank berichtet.

„Parodontale Diagnostik – was brauche ich wirklich?“ Mit diesem Vortrag eröffnete Dr. Dogan Kaner von der Berliner Charité den Hauptkongress. Er sollte Klarheit über zahlreiche Möglichkeiten der Paro-Diagnostik schaffen. Neben der klassischen Sondierung und den üblichen Indizes stehen dem Zahnarzt verschiedene Labortests zur Verfügung:


Der Gentest, als bekanntester Vertreter der Interleukin-1-Test: Damit kann ermittelt werden, ob beim Patienten ein genetischer Typ vorliegt, der als Risikofaktor gilt. Bei diesem Typ besteht eine höhere Ausschüttung an Interleukin-1, was dessen Entzündungsreaktionen verstärkt. Für die Praxis lässt sich aus dieser Typisierung jedoch kein relevanter Nutzen ziehen.

Mikrobiologische Tests: Nach einer Studie von Mombelli kann kein Parameter aus den Testergebnissen zwischen chronischer und aggressiver Parodontitis unterscheiden. Im Zusammenhang mit anderen Studien zu mikrobiologischen Tests lässt sich schliessen, dass die Therapie der PAR mit Antibiotika zwar erfolgreicher ist als im Vergleich zu Placebos, aber nicht geklärt ist, welches Antibiotikum gegen welchen Keim am besten wirkt.

Enzymdiagnostik: Die Risikobestimmung zur PAR-Erkrankung mittels Enzym-Speicheltest konnte sich nicht als spezifisch und sensitiv genug erweisen, um mehr als eine starke PAR-Erkrankung zu erkennen. In der Praxis wird aber dafür kaum ein Zahnarzt einen Labortest benötigen. Zusammenfassend kommt Kaner deshalb zum simplen Schluss, dass nichts sicherer und einfacher ist als eine WHO-Sonde.

Dekontamination der Oberfläche entscheidend

PD Dr. Patrick Schmidlin, ZZMK Zürich, stellte die nicht-chirurgische PAR-Therapie und deren Nutzen vor: Einleitend rechnete er vor, dass bei einer mittleren bis starken Parodontalerkrankung ein Defekt bzw. eine entzündete Oberfläche von 15–20 cm², also von der Grösse eines Handtellers, vorliegt. Dieses Beispiel macht klar, dass eine derart grosse Entzündung Folgen für den Gesamtorganismus haben muss.

Die Ziele einer Parodontalbehandlung des Patienten und des Zahnarztes unterscheiden sich aber dennoch meist stark: möchte der Patient – möglicherweise bis anhin schmerzfrei – meist von Zahnfleischbluten befreit werden und schönere Zähne haben, so verfolgt der Zahnarzt eher eine Heilung der Parodontitis. Diese zieht aber meist empfindliche Zähne und Rezessionen, also keine ästhetische Verbesserung, nach sich.

Für die Heilung ist bei der nicht-chirurgischen, wie bei der chirurgischen Therapie die Dekontamination der Oberfläche entscheidend. Wird der Biofilm entfernt, ist eine Heilung möglich. Studien zeigen aber, dass beim Scaling und Root Planing bis zu 35 % des Zahnsteins auf der Zahnoberfläche verbleiben. Eine Dekontamination ist mit hoher Wahrscheinlichkeit gewährleistet, wenn der Zahnstein oder das Konkrement als „Lebensraum“ der Keime entfernt wird. Ebenso gilt als erwiesen, dass die Entfernung der supragingivalen Plaque positiven Einfluss auf die subgingivale Flora hat, besonders bei horizontalen Defekten. Diesen Effekt kann der Patient mit einer Schallzahnbürste unterstützen.

Aggregatbildende Bakterien (wie A. A.) lassen sich allerdings schlechter beeinflussen als jene des „roten Komplexes“. Bei seichten Taschen bis 7 mm ohne BOP empfiehlt Schmidlin, nicht zu therapieren. Ansonsten gilt immer noch das Scaling und Root Planing bei Taschen bis 7 mm als ein Mittel der Wahl. Als zu erwartende Rezessionshöhe gibt Schmidlin die Hälfte der ursprünglichen Sondierungstiefe plus einen Millimeter an.

Die Erfolgsaussichten der Therapie reduzieren sich um je 20 % bei:

– Rauchern
– schlechter Mundhygiene
– mehrwurzligen Zähnen
– Diabetes.

Als Alternativen zur mechanischen Therapie stellte er Laser und Ultraschall vor.
In Zukunft könnten nach seiner Ansicht „Impfungen“ mit Viren gegen die PAR-Keime und probiotische Therapieansätze Bedeutung erlangen. Bis dahin gilt Scaling und Root Planing als Goldstandard!

Antibiotikatherapie – dünne Datenlage

Antibiotika einsetzen „Ob, und wenn ja, wann und wie?“ Eine Antwort darauf versuchte Prof. David Herrera von der Universidad Complutense, Madrid, zu geben. Dabei beruft er sich auf den „European Periodontology Work­shop“ von 2002/2008 und den „World Workshop“ von 2003, bei welchen festgehalten wurde, dass Antibiotika bei der Parodontitistherapie helfen können. Für den Praktiker nichts neues. Deshalb bis dahin fast am interessantesten Herreras Anmerkung, dass der „World Workshop“ eigentlich nur die US-amerikanische und nicht wirklich die weltweite Version eines Parodontologie-Kongresses darstellt. Anschliessend zitierte Herrera Studien von Slots (2004) und Haffajee (2003), dass Antibiotika als Monotherapie nicht zu empfehlen sind. Als begleitende Massnahme bei Scaling und Root Planing empfehlen aber Loesche und Giordano (1994) den Gebrauch von Antibiotika. Genauer empfehlen die Autoren direkt nach der letzten Sitzung und für 7 bis 12 Tage Antibiotika einzunehmen, aber keinen bestimmten Wirkstoff. Sicher wird sich der eine oder andere Zahnarzt nun exaktere Angaben darüber wünschen, welche Antibiotika bei welchen Formen der PAR und so weiter. Doch zur Beantwortung dieser Fragen ist die Datenlage laut Herrera zu dünn. Als Praktiker gab Herrera jedoch gerne Auskunft, wie in der Uni Madrid bei schweren Formen der PAR und Rezidiven vorgegangen wird: Nach dem Scaling und Root Planing und begleitendem Spülen mit CHX wird dem Patienten dreimal täglich 500 mg Metronidazol (oder alternativ Azithromicin) für 7 Tage verabreicht. Ist durch mikrobiologische Tests Actinobacillus actinomycetemcomitans nachgewiesen, wird zusätzlich Amoxicillin gegeben.

Anguläre Knochendefekte – Diagnose und Behandlung

Prof. Jan Lindhe aus Göteborg beschäftigte sich mit der Frage, wie anguläre Knochendefekte oder Neudeutsch „infrabony defects“ zu behandeln sind. Für seine Antwort nahm Lindhe die Zuhörer mit auf eine Zeitreise in die Mitte des letzten Jahrhunderts und stellte die damals heiss diskutierten Theorien vor: Zunächst propagierte Dr. Weinmann 1941, dass es sich beim an­gulären Defekt um eine von der Plaque verursachte Entzündung handelt, die sich in die parodontalen Blutgefässe ausbreitet und schliesslich auch den Knochen befällt bzw. zerstört.

Dr. Warhaug publizierte 1952 in seiner Antwort, dass es sich beim angulären Knochendefekt um eine apikale Migration der Plaque handle. Er war der Meinung, dass die Plaque damit Hart- und Weichgewebe infiltriert und zerstört, betonte aber (vergleichbar der biologischen Breite), dass Gewebe, das 2 mm von der Plaque entfernt ist, nicht irritiert wird. Somit entstünde die typische Form der Defekte. 1965 meldete sich der Amerikaner Glickman mit seiner Publikation zu Wort, in der er von einer Zone der Irritation ausgeht. Abhängig von einer eventuell vorhandenen „Zone der Überbelastung“ unterteilt er:

– bei vorhandener okklusaler Überbelastung in eine „Zone of co-destruction“, die zum angulären Defekt führt, oder
– bei nicht vorhandener Überbelastung in eine „horizontal resorption“, die zum horizontalen Knochenabbau führt.

Prof. Lindhe griff dabei auf, dass Warhaug und Glickman im Grunde dasselbe Phänomen verschieden interpretiert haben, wies aber darauf hin, dass es in der Praxis durchaus hilfreich sei, auf diese Denkmodelle zurückzugreifen, um die Ursache von Defekten ergründen zu können.
Damit leitete Lindhe über in die Kernbotschaft seines Vortrages, die den Zuhörer stets auf den Weg in die eigene Praxis begleiten sollte, und zitierte Morton Amsterdam von 1974: „There can be different ways of treating a desease, but only one correct diagnosis.“ „Beurteilen Sie Ihre eigenen
Fähigkeiten kritisch, bevor Sie anguläre Defekte behandeln.“ Prof. Lindhe will sagen, nur wer die Anwendungen beherrscht, kann versuchen – ohne noch grössere Probleme zu verursachen – mittels „geführter Geweberegeneration“ einen angulären Knochendefekt auszuheilen. Laut Studien liegen dabei die GTR, aber auch die Anwendung von Emdogain® nahezu gleich auf (Regenerationen von ca. 4 mm). Funktionell reicht dies zum Erfolg allemal aus, gute Ästhetik lässt sich allerdings damit nicht erreichen.

Bei Misserfolgen, so Lindhe, bleibt immer noch die Extraktion mit anschliessender Implantation als Mittel der Wahl. Schöne Bilder zeigte er unter anderem auch zu kombinierten Paro-Endo-Läsionen, bei denen nach erfolgreicher endodontischer Behandlung der Knochendefekt von alleine ausheilte. Zum Abschluss verpasste es Lindhe – wie auch andere – nicht, ein Implantaten gegenüber kritisches Schlusswort zu äussern. Auch er wollte aufzeigen, dass die Peri­implantitis für manchen Patienten sozusagen zur kostspieligen Nachfolgerin der Parodontitis wird.

Wohingegen mancher vorschnell extrahierte Zahn erstaunlich lange erhalten werden könnte. Furkationsbefallene Zähne – was tun? Zur Thematik furkationsbefallener Zähne referierte Dr. Clemens Walter, UZM Basel. Eine Studie aus Bern belegt, dass ein Zahn ab einer Sondierungstiefe von > 6 mm als gefährdet gilt. Dann ist zu entscheiden, ob Scaling und Root Planing (S&R), S&R mit Antibiotika oder eher eine chirurgische Intervention angezeigt ist. Bei Letzterem sollte unterschieden werden, ob die Resektion (einer Wurzel) oder eher eine Geweberegeneration angestrebt wird. Studien zeigen, dass die Regeneration zwar besser abschneidet, aber ein Verschluss des Furkationsbefalls nicht erreicht werden kann.  Nicht zuletzt deshalb weisst Walter auf die Alternative der Tunnelierung hin, die, zusammen mit gezielter Instruktion zur Anwendung von Interdentalbürstchen und regelmässiger Fluoridierung, einen Zahn ebenfalls erhalten kann. Dazu fehlen aber brauchbare Studien über einen längeren Zeit­raum.

Interessant in diesem Zusammenhang erscheint, dass Studien aus Südafrika klären, dass eine genaue Diagnostik des Furkationsbefalls nur mittels DVT möglich sei. Die klassische Sondierung und die Beurteilung des Röntgenbildes stellen die Realität oft abgemildert dar. Dies hat Folgen für die Diagnostik und somit auch für die Wahl der Therapie. Denn ab einem Attachmentverlust von 50 % ist der Zahn­erhalt eher kritisch zu bewerten. Er wies auch auf die anatomische Besonderheit mancher OK-Molaren hin, bei denen die mesiale Wurzel grösser und somit wichtiger ist als die palatinale.

Greifbares zur Planung prothetischer Versorgungen

Prof. Nicola U. Zitzmann referierte über das bereits mehrfach kritisch angesprochene Thema der Perioprothetik. Selbstverständlich gelten die bekannten Regeln, die Zitzmann zusammenfasst als: parodontal entzündungsfreie Zähne, 3 mm zirkuläre Höhe des präparierten Zahnes, Ferrule mindestens 1,5 mm, Konizität von 10 bis max. 20°, supra- oder epi-gingivale oder intrasulkuläre Präparation, Sondierungstiefe max. 4 mm, BOP negativ, Restattachment (mind. 50 %,) besser > 75 %, gut reinigbare Prothetik (Interdentalbürsten).

Die Korrelation zwischen Qualität der Restauration und Mundhygiene zeigte sie anhand einer Studie von Lang et al. (1983). Studenten der Zahnmedizin wurden Inlays schlechter Randqualität eingegliedert und Interdentalhygiene untersagt. GI und Blutungen wurden beobachtet (und dokumentiert), ein ökologischer Shift der Keimflora ins Anaerobe verzeichnet. Mittels Inlays besserer Qualität konnten diese Erscheinungen nicht behoben werden, sondern erst mit einer besseren Interdentalhygiene. Durch Literatur untermauert, gab sie dem Praktiker Greifbares zur Planung prothetischer Versorgungen an die Hand:
– Ein Zahn gilt als „Risikozahn“ bei verbleibenden Taschen von > 6 mm und BOP, bzw. bei einem reduzierten Restattachment ab 50 %. In der Realität ist dies bei einem Oberkiefer-Eckzahn erreicht, wenn er 7 mm Attachment verloren hat. Bei 7 mm Verlust des Zahnhalteapparates ist bei einem Prämolaren nur noch 35 % Verankerung vorhanden. In solchen Fällen rät sie zur Versorgung mittels Langzeitprovisorien.

– Ante’s Law aus dem Jahre 1926 (das Attachment vorhandener Zähne soll grösser sein als das der zu ersetzenden Zähne), gilt als widerlegt (durch Lulic et al. 2007), wie auch das geforderte Kronen-Wurzel-Verhältnis von 1:1.

– Festsitzende Versorgungen (auf Zähnen) sind haltbarer als Herausnehmbare.
– Muss dennoch (etwa wegen begrenztem Budget oder als Provisorium) eine Klammerprothese angefertigt werden, warnt Prof. Zitzmann den Praktiker vor der extra-achsialen (= reziproken) Klammerwirkung, die den Zahn­ersatz zur Extraktionsmaschine macht.

Mit Motivation zum Ziel

Zum Erhalt und zur Stabilität parodontaler Situationen und dem damit eng verknüpften Thema Mundhygiene und Motivation sprach Dr. Christoph Ramseier, ZMK Bern. Auf die Studie von Needleman (2005) gestützt, die belegt, dass begleitende Motivation und Instruktion zur professionellen Zahnreinigung (PZR) einen besseren Effekt auf die Mundgesundheit hat als die Reinigung alleine. Auch spiegelt sich die Häufigkeit der PZR in der besseren parodontalen Gesundheit wider. Andere Studien (Lang und Tonetti 2003) belegen, dass ungefähr ein Drittel der PAR-Patienten nicht in die regelmässige Kontrolle eingebunden werden wollen. Nach Zitzmann und Berg­lundh (2009) ist eine Periimplantitis bzw. Mukositis bei bis zu 70 % gegeben, die Häufigkeit steigt mit vorangegangener PAR-Vorgeschichte, Rauchern, Recall-Verweigerern. Als Therapie empfehlen auch diese Autoren chirurgisches Vorgehen.

Das Steckenpferd von Dr. Ramseier ist die Weiterentwicklung der Prophylaxe. So zitiert er neben seiner Erfahrung mehrere Studien, die in der Prophylaxe weniger die PZR, als ein sogenanntes „Motivation Interviewing“ in den Vordergrund stellen. Damit ist eine Änderung in der Kommunikation gefordert, die den Behandler vom Ermahnen wegführt. Der Patient wird motiviert, informiert und dadurch überzeugt. Nicht mit erhobenem Zeigefinger fordern, nicht mehr zu rauchen oder bitte endlich die Interdentalbürsteli zu verwenden. Erfolgreicher ist es, den Patienten durch gezieltes Fragen selbst dazu zu bringen, die Vorteile der Forderungen zu erkennen und gemeinsam Wege zu suchen wie er leichter das Ziel erreicht. Beispielsweise kann gefragt werden, was für Vorteile sich der Patient verspricht, wenn er nicht mehr raucht oder wie man ihn dabei unterstützen könnte.

Mit Zunahme des Vertrauens zum Behandler und je wichtiger der Patient das Thema nimmt, desto eher ist er bereit, etwas zu ändern. Wer tiefer in das Thema einsteigen will, dem empfiehlt Ramseier sein Buch „Health Behaviour Change in the Dental Practice“.

Ein Ziel – fünf Meinungen

Das offizielle Programm endete mit einem „Runden Tisch“. Von Prof. Lindhe moderiert, wurde ein Patientenfall zur Diskussion gestellt. Es handelte sich um eine Patientin mit fortgeschrittener Parodontitis und mehreren Lücken sowie unsichere Restbezahlung. Die auserkorenen Grunder, Meyenberg, Mombelli und Sculean sollten diesen Fall imaginär begutachten und die Behandlungen planen. Die eindrucksvollste Beobachtung, die dabei gemacht werden konnte, bestand darin, dass tatsächlich jeder Arzt eine andere Meinung vertrat, den Moderator eingeschlossen.

Attraktiver Jubiläums-Apéro zum 40sten

Gut, dass sich am Ende des Tages die Kongressbesucher mit dem auflockernden Programm entspannen konnten. Gestaltet von Komödianten, einem Pianisten mit attraktiver gesanglicher Begleitung und schliesslich den Dres. Max Leu und Roland Saladin in Form eines Rückblickes über die letzten 40 Jahre (SSP-)Geschichte.

www.parodontologie.ch


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