Branchenmeldungen 14.10.2024

Azubi ade? Über die Zukunftsfähigkeit des Berufszweigs Zahntechnik (Teil 1)



Azubi ade? Über die Zukunftsfähigkeit des Berufszweigs Zahntechnik (Teil 1)

Foto: deagreez, BonzEarthsnapper – stock.adobe.com

24 Prozent der Zahntechniker-Auszubildenden bleiben nach der Ausbildung nicht im Beruf! Nein, dies ist kein reißerischer Aufmacher – leider. Es ist die Wahrheit, die sich aus einer Befragung unter 138 Auszubildenden des Zahntechniker-Handwerks über alle Lehrjahre hinweg in Schleswig-Holstein ergeben hat.1 In einer dreiteiligen Artikelreihe stellt Steffen M. Schumacher die Hintergründe der Erhebung, die Ergebnisse bezogen auf die Motivationen sowie die Visionen der Auszubildenden in ihrem Ausbildungs- und Arbeitsumfeld vor. Außerdem werden Einschätzungen zur Unternehmensführung und Kommunikation im Betrieb sowie daraus ableitbare notwendige Handlungsschritte zur Stärkung der Ausbildung und des Berufsfeldes im Allgemeinen dargelegt.


„Um für die eigene Zukunft zu brennen, muss nicht der Kopf, sondern das Herz ganz ehrlich in Flammen stehen.“ – Steffen M. Schumacher



Einblick in die Befragung

Ich bedanke mich bei 138 teilnehmenden Auszubildenden, wovon sich zum Zeitpunkt der Erhebung 38 (28 %) im ersten Lehrjahr, 44 (32 %) im zweiten, 30 (22 %) im dritten und 26 (19 %) im vierten Lehrjahr befanden. Ich hatte das Glück, mit einem Online-Fragebogen in den Austausch gehen zu können, und habe kritische Fragen gestellt, welche teilweise mit einer absolut spürbaren emotionalen Ehrlichkeit beantwortet wurden.

Beginnen wir mit einem Gedankenspiel: Es gibt sie, die Menschen mit Feuer und Flamme, diejenigen, die für ihren Beruf brennen und dieses Gefühl unabhängig von bestimmten Wochentagen täglich zur Arbeit und in die Welt tragen.

Und dann gibt es diejenigen, bei denen das Lodern für die Tätigkeiten innerhalb des Berufes erst gar nicht entsteht, deren Stimmung sich erst dann hebt, wenn der Feierabend oder das Wochenende greifbar sind oder gar der Urlaub winkt. Und nach den freien Tagen? Augen zu und wieder zurück in den Trott. Sie haben nun die Wahl, welche Person Ihnen bei Ihrer Berufswahl als junger Mensch das Werbeprospekt vor die Nase halten darf: Soll es die zweite Person sein, die Ihnen mit Gehaltsversprechen und Urlaubstagen einen Beruf schmackhaft machen würde, den sie wohl oder übel für die nächsten 47 Jahre ausüben sollen und Sie dabei erkennen, dass diese Person selbst nicht dafür brennt? Oder darf es vielleicht doch lieber die erste Person sein, die voller Stolz erzählt, an welcher spannenden Patientensituation sie gerade arbeitet und die es liebt, Dinge herzustellen, die am Ende niemand mehr von wahrer ästhetischer Natürlichkeit unterscheiden kann?

Bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung: Sie sind gerade 16 Jahre alt, waren knapp neun Jahre im starren Schulsystem eingesperrt, haben vorher noch nie etwas über den Beruf Zahntechniker gehört und werden auf einen Schlag mit einer richtungsweisenden Einschätzung gesegnet, die möglicherweise nicht mehr weichen wird. Auf welcher Seite würden Sie persönlich für Ihren Ersteindruck also gerne stehen?

Faktencheck

Lassen wir die Gedankenspiele sein und blicken wir der Realität ins Auge: Der Berufsstand wurde in seinen Ausbildungszahlen zwischen 2004 und 2022 stark dezimiert. Von 9.400 Auszubildenden in Deutschland im Jahr 2004 fiel die Zahl bis 2022 auf 5.000.2 Das ist ein Minus von 46,8 Prozent in 18 Jahren! Der Trend zeigt sich weiter fallend und eine noch optimistische Prognose deutet auf eine Zahl von ca. 4.000 Auszubildenden im Jahr 2030 hin. Das sind nur rund fünf Jahre, in welchen die Kenterfahrt auf ein Minus von weiteren 20 Prozent im Vergleich zum aktuellen Stand zusteuern könnte. Zum Glück „könnte“!

Dringender Handlungsbedarf

Bezugnehmend auf das eingangs genannte Ergebnis wird die entscheidende Frage aufgeworfen: Dürfen wir einfach dabei zuschauen und hinnehmen, dass knapp ein Viertel der jungen, gut ausgebildeten Menschen nach der Ausbildung nicht mehr auf dem zahntechnischen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht? Meine Meinung: Nein, das dürfen wir definitiv nicht! Denn eine Zukunft, die auf einem bröselnden Fundament gebaut ist, weil es keinen Nachwuchs gibt, stellt ohne grundlegende Anpassungen und Sinneswandel in der gesamten Branche ihre eigene Zukunft infrage. Möglicherweise fragt sie nicht einmal danach, sondern verabschiedet sich irgendwann stillschweigend von der Bildfläche. Die uns dann – eventuell etwas überzogene – blühende Alternative: Qualitätsstandort Zahntechnik in Deutschland durch Segmentation von hoch industrialisierten Arbeitsprozessen und ungelernten oder angelernten Arbeitskräften? Das kann im Akutfall als kurzfristige Interimslösung wirken, jedoch nie eine verlässliche Basis für die Zukunft eines Berufsstands und eine funktionelle sowie zugleich ästhetische Patientenversorgung bieten. Wir müssen also handeln – und zwar schleunigst!


„Dürfen wir einfach dabei zuschauen und hinnehmen, dass knapp ein Viertel der jungen, gut ausgebildeten Menschen nach der Ausbildung nicht mehr auf dem zahntechnischen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht?“ – Steffen M. Schumacher



Wenn man sich heutzutage Entscheidungsträger in der beruflichen Bildungslandschaft, in Vorständen, Gremien, Anstalten öffentlichen Rechts, Kammern, Innungen, Politik und Unternehmensführung genau anschaut, dann bilden diese Menschen meist großartige Lebensläufe ab, haben fachliches, unternehmerisches und politisches Wissen, viel erlebt und stehen oft kurz vor der Berentung. Die kritische Frage ist – und ich bin mir bewusst, dass ich mir mit der Aussage nicht unbedingt neue Freunde in diesen Reihen mache – ob die Realität der genannten Personen in den entscheidenden Ämtern der Realität unseres Nachwuchses, also der Auszubildenden, auch nur ansatzweise entspricht. Selbst ich, der nur eine Generation älter ist als meine Auszubildenden in der Berufsschule, habe stellenweise Schwierigkeiten, ihre Realität zu verstehen und ihre Vorstellungen von der Zukunft zu begreifen. Wie können wir dann also berufspolitisch wirklich zukunftsfähig agieren, wenn die Schere der Realitäten so deutlich auseinanderklafft? Wir müssen eine Lösung finden, um die Stimmen junger Menschen, über deren Köpfe hinweg über ihre Zukunft entschieden wird, in den Fokus zu setzen. Nur wie?

Die Antwort ist einfach: Fragen wir die jungen Leute! Und das habe ich getan. Wir müssen das wichtigste „Baumaterial“ – die Auszubildenden – ganz genau anschauen und ehrlich zu Wort kommen lassen, um einen Einblick zu erhalten, ob wir wirklich zukunftsfähig erblühen können oder mittelfristig die zahntechnische Austrocknung in Deutschland droht. Mit der Motivation der aktuellen Azubi-Generation steht oder fällt jegliche Zukunftsvision, die wir in den entscheidenden Gremien glauben wollen. Die Motivation der jungen Menschen lässt sich jedoch nur greifen, wenn wir auch in informelle und emotionale Prozesse blicken. Denn um für die eigene Zukunft zu brennen, muss nicht der Kopf, sondern das Herz ganz ehrlich in Flammen stehen.

Ausblick

In der nächsten Ausgabe der ZT Zahntechnik Zeitung (11/24) stelle ich Ihnen an dieser Stelle die umfassenden Ergebnisse aus der Befragung mit Einblicken in die Ziele, Wünsche und Visionen junger Auszubildender vor. Sie sind an vielen Stellen nachvollziehbar, lassen aufhorchen und könnten auch ein wenig pieken. Aber es ist absolut notwendig, dieser Generation Gehör zu verschaffen. Freuen Sie sich also auf frischen Wind!

1 Anonyme Erhebung unter den Blockunterrichtsschülern mittels Online-Fragebogen zwischen September und Dezember 2023 an der Landesberufsschule für Zahntechnik in Neumünster.

2 https://de.statista.com/statistik/ daten/studie/362154/umfrage/ anzahl-der-auszubildenden-in-derzahntechnik/

Dieser Artikel ist in der ZT Zahntechnik Zeitung erschienen.

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