Branchenmeldungen 28.01.2025
Curriculum operative und ästhetische Parodontologie im November 2024
share
Am ersten Novemberwochenende 2024 fand die zweite curriculäre Fortbildung im Bereich der operativen und ästhetischen Parodontologie der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und des Berufsverbandes Deutscher Oralchirurgen in Hamburg bereits zum zweiten Mal in neuer Location im Empire Riverside Hotel statt. Den teilnehmenden Oral- und Kieferchirurgen bot sich ein spannendes und praxisnahes Programm aus den verschiedensten thematischen Bereichen der Parodontologie.
Den Startpunkt setzte Prof. Dr. Gaßmann aus Köln, der den Stellenwert der Parodontologie im zahnärztlichen Praxisalltag beleuchtete. Zu Beginn erfolgte eine sehr detaillierte und praxisnahe Einführung in die Ätiopathogenese und die zum Teil bidirektionalen allgemeinmedizinischen Assoziationen einer parodontalen entzündlichen Erkrankung, die umfassend erörtert wurden. Darüber hinaus gab der Referent zu bedenken, dass eine komplexe und adäquate parodontologische Behandlung das gesamte Portfolio der Zahnheilkunde mit all ihren Disziplinen erforderlich mache: Parodontologie, Endodontie, Prothetik, Implantologie und Kieferorthopädie müssten im Zusammenspiel zu einer suffizienten Therapie beitragen. Zu den parodontalen Therapiestufen 1, 2 und 4 gab der Referent wertvolle Ratschläge, und die praktische Umsetzung wurde im Detail anhand von Fallbeispielen dargelegt. Die Unterschiede beim Sondieren am Implantat und am Zahn wurden verdeutlicht, und es erfolgte eine exzellente Differenzierung und schematische Darstellung der Begriffe Attachment-Loss und Attachment-Level in Abgrenzung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Die Themen „motivierende Gesprächsführung“ und „Modifikation von Risikofaktoren wie Nikotinabusus und Diabetes mellitus“ wurden hervorgehoben und die einzelnen Aspekte jeweils mit wissenschaftlichen Daten untermauert. In diesem Zusammenhang stellte er das Konzept des individuellen Mundgesundheitscoachings (IMC) vor und erläuterte umfassend die Prinzipien aller fünf Stufen der Prävention von der Primär-Primärprophylaxe bis zur Quartärprävention, in der es letztlich um die Vermeidung der Übertherapie ginge. Des Weiteren gab er zu bedenken, dass, wie von den gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen, eine AIT (Therapiestufe 2) ohne eine vorausgegangene Therapiestufe 1 häufig zu einer Übertherapie beitrüge. Im Rahmen der AIT plädierte er für ein „minimalinvasives“ Vorgehen mit Pulver-Luft-Wasserstrahl-Technologie und schallbetriebenen Instrumenten ergänzt durch den selektiven Einsatz von spezifischen miniaturisierten Mini-Five Küretten und erachtetet den radikalen Abtrag von „infiltriertem“ Wurzelzement im Rahmen des Root-Planings mit dem üblichen reduzierten Gracey-Kürettensatz als übertherapiert und daher obsolet. Es folgte eine authentische Diskussion der Hindernisse und Hürden für den Praktiker. Dabei wurde auf die verfügbare molekularbiologische Diagnostik eingegangen, die, wie der Referent betonte, in Form der aMMP-8 und Vit. D Chairside-Diagnostik den Weg in die allgemeinmedizinische Interdisziplinarität eröffne. Daneben begeisterte Prof. Gaßmann die Zuhörer mit Inhalten aus der Praxis und der Forschung für die Praxis, insbesondere auch im Hinblick auf Tipps aus dem Motivational Interviewing und der Salutogenese und auf die sich eröffnenden Möglichkeiten in einer optimierten Patientenkommunikation. Schließlich ging er auf die verschiedenen Chancen der adjunktiven Therapie ein und stellte dabei die innovative Möglichkeit durch Hyaluronsäurepräparate, insbesondere in Kombination mit Octenidinhydrochlorid und Poloxamer 407 in Form von Pocketex®, in den Fokus. Dabei deutete er darauf hin, dass die verschiedenen am Markt verfügbaren Hyaluronsäurepräparate, vernetzt und unvernetzt, über eine hohe Biokompatibilität verfügen und die parodontale Regeneration sowohl in chirurgischen und nicht chirurgischen Verfahren unterstützen könnten. Dies konnte in Tierversuchen gezeigt werden. Daraus folgernd stellte der Referent in Aussicht, dass sich eine zukunftsweisende Perspektive zum Wohle der Patienten durch derart adjunktiv optimierte Vorgehensweisen in nicht chirurgischen Verfahren in Kombination mit Hyaluronsäure in entsprechender Formulierung zur Zahnerhaltung eignen können, um den Einsatz chirurgischer Verfahren möglicherweise in Zukunft minimieren zu können. Prof. Gaßmann konnte damit dem Auditorium einen umfassenden Einblick in die Ausgangsthese bieten, dass der Parodontologie in der täglichen zahnärztlichen Praxis in jeglicher Hinsicht ein hoher Stellenwert beizumessen sei.
Im zweiten Vortrag referierte Dr. Janssen zu dem Thema „Möglichkeiten und Grenzen parodontaler Regeneration“. Dr. Janssen überzeugte in seinem lebhaften Vortrag durch imponierende Fallbeispiele aus seiner Praxis und durch die stetige Interaktion mit dem Auditorium. Zu Beginn wurden die essenziellen biologischen Grundlagen, die für das Verständnis der regenerativen Parodontalchirurgie aus wissenschaftlicher und klinischer Sicht bedeutsam sind, umfassend beleuchtet. Der Referent legte die unterschiedlichen Defektmorphologien und die damit verbundenen Regenerationspotenziale dar. Es wurde eindrücklich gezeigt, warum es häufig sinnvoll sein kann, mit einer therapeutischen Zwischenversorgung vor der geplanten Operation zu starten. Darüber hinaus untermauerte Dr. Janssen, dass die Entfernung von insuffizienten Kronen- oder Füllungsrändern präoperativ obligat sei. Als Alternative zur Extraktion von Zähnen, die einen bis apikal reichenden Knochenverlust aufweisen und häufig als hoffnungslos eingestuft werden, präsentierte der Referent seinen therapeutischen, interdisziplinären Fahrplan zum Erhalt dieser Zähne. Die Zusammenarbeit aus Endodontie und Parodontologie führte bei seinen Fällen zu hervorragenden klinischen und röntgenologischen Ergebnissen. Im Vordergrund, so betonte der Referent, sollte jedoch stets die Hygienefähigkeit stehen und bei jeder Therapieentscheidung berücksichtigt werden. Anhand beeindruckender und qualitativ hochwertiger Fotoserien stellte der Referent die differenten OP-Techniken vor und konnte klinische und röntgenologische Ergebnisse bis zu 15 Jahre postoperativ präsentieren. Als Materialien zur Defektfüllung verwendete Dr. Janssen häufig Schmelz-Matrix-Proteine in Kombination mit einem Füller. Diese Kombination untermauerte er mit wissenschaftlichen Daten, hob jedoch gleichzeitig hervor, dass er klinisch vergleichbare Ergebnisse auch mit PRF oder Hyaluronsäure erziele. Zum Abschluss entstand eine lebhafte und kollegiale Diskussion, und das Auditorium bekam eine ganze Palette Tipps – aus der Praxis für die Praxis – an die Hand.
Der Samstagvormittag stand ganz im Fokus der Zahnerhaltung. Priv.-Doz. Dr. Fischer aus Würzburg referierte zum Thema „Parodontologie vs. Implantologie – Zahnerhalt oder Knochenerhalt“ und präsentierte ein herausragendes Bouquet an klinischen Fällen. Der erste Part des Vortrags beantwortete die Frage, ob Implantate bei Parodontitispatienten überhaupt sinnvoll und möglich sind und falls ja, unter welchen Voraussetzungen. Hierbei betonte der Referent, dass eine adäquate und suffiziente AIT obligat für die Implantation sei. Des Weiteren war eine erste Quintessenz, dass beim Vorliegen einer geschlossenen Zahnreihe immer der Zahnerhalt die Therapieoption der ersten Wahl sein sollte. Zu diesem Thema zeigte Priv.-Doz. Dr. Fischer beeindruckende klinische Fälle und demonstrierte detailliert die einzelnen (chirurgischen) Therapieschritte. Im weiteren Verlauf des Vormittags wurde das gesamte Portfolio der zahnerhaltenden Parodontalchirurgie evidenzbasiert aufgezeigt und jeweils mit klinischen Fallbeispielen untermauert: der apikal verschobene Mukoperiostlappen, die chirurgische Kronenverlängerung, die Wurzelamputation, die Tunnelierung und die GTR. Die jeweiligen Prognosen wurden authentisch und mit individuellen Tipps und Tricks sowie die Schnittführungen und Lappentechniken bei der GTR präsentiert. Zur Therapieentscheidung könne laut Aussage des Referenten idealerweise der Entscheidungsbaum nach Cortellini und Tonetti (2015) Hilfestellung leisten. Als bevorzugte Materialen für einen regenerativen parodontalchirurgischen Eingriff sprach der Referent eine eindeutige Empfehlung für die Verwendung von autologem oder allogenem Knochen als Füller in Kombination mit einem Schmelz-Matrix-Protein oder Hyaluronsäure aus. Die Wirkprinzipien und positiven Effekte der Hyaluronsäure wurden aufgezeigt.
Darüber hinaus legte er den Fokus auf die Ridge-Preservation und äußerte sich aufgrund wissenschaftlicher Defizite der durchgeführten Studien kritisch zu aktuellen Materialempfehlungen. Die bukkale Lamelle resorbiere laut Aussage des Referenten immer mindestens 1 mm, teilweise sogar deutlich mehr. Die Resorption sei biologisch determiniert und ließe sich nicht antizipieren und auch durch kein Material stoppen. Der lebhafte, praxisnahe und authentische Vortrag endete mit einer kollegialen Diskussion auf fachlich höchstem Niveau.
Am Samstagnachmittag kam das Auditorium in den Genuss eines Urgesteins der Parodontologie. Prof. Dr. Topoll brillierte mit seiner jahrzehntelangen Praxiserfahrung und konnte sein bewährtes Praxiskonzept vorstellen. Als Studiencenter hat er mit seiner Praxis maßgeblich an den Arbeiten von Cortellini und Tonetti mitgewirkt.
Daher war es ihm auch ein großes Anliegen, das Auditorium dahingehend zu sensibilisieren, dass der Patient in der Behandlung immer ganzheitlich betrachtet werden sollte. Sein Referat über „Regenerative Parodontalchirurgie“ war vollgepackt mit wissenschaftlich fundierten Studien und praxisnahen Hacks. Seinen Ansatz der „Cause Related Therapy“ konnte er überzeugend präsentieren und er stufte die Infektionskontrolle und die Compliance der Patienten an oberster Stelle für den Langzeiterfolg einer regenerativen Parodontaltherapie ein. Weitere Erfolgsfaktoren sind neben der Herstellung der Hygienefähigkeit und der Detektion prognostisch hoffnungsloser Zähne (irrational to treat) vor allem die Stabilisierung des Blutkoagulums. Dr. Topolls Präsentation zeigte den Teilnehmern ein bewährtes System, welches seit Jahren gut funktioniere, so gut wie nie abgewandelt wurde und sofort in der Praxis umsetzbar sei. Das hat den Vortrag zu einer sehr authentischen Darstellung zur Regeneration der Gewebe am Zahn gemacht.
Am Sonntag sprach Dr. Sampers, Düsseldorf, über das Thema „Entscheidungsfindung in der Parodontologie – von der Diagnostik zum Erfolg“. In Anlehnung an die neue S3-Leitlinie zur Parodontaltherapie veranschaulichte er sein Vorgehen in der Praxis und gab den Teilnehmern neben seiner Live-Präsentation auch den Zugriff auf Inhalte und Dokumente, die er im Rahmen seines Praxiskonzeptes selbst in der Praxis nutzt und teilweise auch seinen Patienten zu Verfügung stellt. Neben Planungskarten und speziellen PA-Fragebögen hat das Auditorium zusätzlich einen absoluten Mehrwert mitbekommen. Wie sein Konzept praktisch umgesetzt wird, wurde anhand eines Patientenfalls zusammen mit den Teilnehmern erarbeitet. Zu jeder seiner vier Therapiestufen hatte der Referent wertvolle Ratschläge und die praktische Umsetzung wurde im Detail dargelegt. Die Themen „motivierende Gesprächsführung“ und „Modifikation von Risikofaktoren wie Nikotinabusus, Bewegung, Ernährung und Diabetes mellitus“ wurden hervorgehoben und die einzelnen Aspekte jeweils mit wissenschaftlichen Daten untermauert.
Darüber hinaus stellte Dr. Sampers das „Staging und Grading“ vor. Dieses wurde anhand des Patientenfalls interaktiv angewendet sowie Fallstricke, therapeutische Konsequenzen und Nachsorgeintervalle diskutiert. Der Furkationsgrad stelle laut Sampers den größten Risikofaktor für die Prognose von parodontal kompromittierten Zähnen dar. Insbesondere auch die Umsetzung der AIT und CPT in der eigenen Praxis wurde den Teilnehmern nähergebracht: Instrumente und deren Effektivität, der adjuvante Einsatz von Antibiotika und auch die indikationsabhängigen chirurgischen Verfahren. Abschließend folgte eine kurze Diskussion zu den praktischen, aber auch wirtschaftlichen Herausforderungen und Hürden für den Praktiker. Dr. Sampers glänzte mit wertvollen Tipps aus der Praxis, insbesondere auch im Hinblick auf die Patientenkommunikation.
Im neuen Jahr laden wir unsere Kolleginnen und Kollegen für das nächste Curriculum erneut nach Hamburg ein und freuen uns, Sie vom 4.4.–6.4.2025 erneut begrüßen zu dürfen.
Autoren: Dr. Robert Würdinger, Dr. Frederik Hofmann