Branchenmeldungen 16.02.2021
Zukunftsforscher: „Die Corona-Krise ist ein Zeitenbruch“
Ein Beitrag von Jürgen Deppe
Das vergangene Jahr war eine einzige große Herausforderung. Mit Beginn des Jahres 2021 hoffen viele auf Krisenende und Neustart. Doch inwieweit machen diese Erwartungen überhaupt Sinn? Der Zukunftsforscher Matthias Horx gibt Auskunft.
Herr Horx, erwarten wir zu viel von 2021?
Ja, weil das nur schwarz-weiß ist: besser werden, schlechter werden. Das Gehirn neigt zu einer solchen Sichtweise. Aber das ist nicht der richtige Weg. Die Frage ist vielmehr: Wie wird es anders? Unsere These in der Zukunftsforschung ist, dass die Coronakrise einen Zeitenbruch markiert, und dass danach die Dinge ganz anders laufen werden. Viele Menschen haben jedoch immer noch die Erwartung, dass alles wieder wird wie früher: Wir werden genauso in die Flugzeuge einsteigen, genauso viel Fleisch essen, genauso viele Dinge tun wie früher. Doch das ist nicht möglich, weil die Menschen sich in dieser sehr lang andauernden Krise stark verändert haben, auch innerlich.
In ihrem "Zukunftsreport 2021" sagen Sie, dass wir unsere längst brüchige Komfortzone verlassen haben und dies durchaus positiv zu bewerten ist. Was ist daran so begrüßenswert?
War es denn vorher so schön? Das Gefühl vor der Krise war ja auch, dass es nicht (mehr) lange gut gehen kann: immer mehr, immer billigere Flüge, immer mehr Konsum, immer mehr Plastik in den Weltmeeren. Und dieser brutale Stopp, den uns dieses Ereignis abverlangt hat, hat ungeheuer viele Menschen existenziell berührt. Wie wollen wir in Zukunft leben?
Solche Krisen – das haben andere Pandemien gezeigt – schaffen eine neue Wirklichkeit. Große Wirtschaftsführer nehmen jetzt die Fragen unserer Zeit viel ernster, die Politik ist auch nachdenklicher geworden und die Gesellschaft ist ein Stück zusammengerückt.
Ist es möglich, konstruktiv mit den aktuellen Unsicherheiten umzugehen, wenn man gar nicht absehen kann, in welche Richtung es geht?
Das ist ja das Wesen von Krisen. Aber wir wissen ja alle aus unseren persönlichen Erfahrungen, dass wir irgendwann darauf Antworten finden und dass wir daran auch wachsen. Denken Sie an eine Scheidungskrise, eine Berufskrise - das menschliche Leben ist voller Krisen. Wir schauen immer auf das Negative, das nicht funktioniert hat, und beschimpfen uns gegenseitig. Aber gleichzeitig hat sich auch eine Resilienz in der Gesellschaft gezeigt. Die Weltwirtschaft ist nicht zusammengebrochen, und wir haben Dinge bewältigt. In all diesen Schwierigkeiten wächst auch etwas Menschliches in uns - und diese Kraft ist die einzige, auf die wir vertrauen können. Die Alternative dazu wäre, dass wir immer nur in die Angst starren. Und wenn wir sie dauernd anstarren, dann wird sie immer größer und wir werden immer gelähmter. Ich sehe in meinem Bekanntenkreis und in der Gesellschaft eine große innere Mobilisierung, dass die Menschen sagen, dass sie so nicht weiterleben können, dass sie etwas anderes tun müssen, dass sie eine andere Sinndebatte brauchen. Diese Prozesse sind im Gange, und es ist wichtig, dass wir sie als Gesellschaft realisieren und wahr machen.
Wir sehen und hören auch diejenigen, die sich deutlich abwenden von „denen da oben", von der Wissenschaft, der Vernunft, dem Sagbaren. Wie sollten wir damit umgehen?
Den Höhepunkt dieses „Durchknallens“ haben wir im letzten Jahr mit Trump und damit einhergehenden Phänomen erlebt. Diese sind kleiner geworden, auch wenn sie uns größer erscheinen, weil sie im Brennglas der Medien vergrößert werden. Es gibt Menschen, die das nicht aushalten und wahnhafte Gebilde erzeugen. Aber es gibt eine viel größere Anzahl von Menschen, die tief erschrocken sind und ein neues Vertrauen in die Wissenschaft brauchen. Auf eine paradoxe Art und Weise haben wir es hier mit einer Abspaltung und nicht mit einer Spaltung in der Mitte der Gesellschaft zu tun. In Amerika hat Corona die Gesellschaft gespalten - bei uns ist es eher so, dass wir uns ein Stückchen mehr ernüchtert haben. Wir sehen heute einen großen Konsens, den wir seit vielen Jahren nicht mehr hatten. Die Leute sind einverstanden mit dem, was die Politik macht, mit der Aufgabe des Staates.
Die Bekämpfung der Krise geht auf Kosten der künftigen Generationen. Wir nehmen mittlerweile Billionen auf, um dieser Krise Herr zu werden. Können zukünftige Generationen damit umgehen?
Das ist ein bisschen eine Sparkassenmentalität. Warum eigentlich? Warum nehmen wir das nicht als Investition? Ist es nicht manchmal wichtig, dass wir etwas in die Hand nehmen und damit versuchen, in die Zukunft hinein zu finanzieren? Und haben wir das nicht schon ganz oft getan? Nach dem Krieg haben wir auch erst einmal massiv aufbauen müssen. Es ist nicht so, dass wir eine endliche Menge Geld in der Verschuldung haben, sondern es entstehen daraus auch neue Märkte und Innovationen. Wir haben gesehen, wie schnell sich die Digitalisierung beschleunigen kann. Wir stehen vor einem gigantischen Umbau unseres gesamten Energiesystems, unseres Mobilitätssystems. Es ist eine ganze Menge auf der Plusseite vorhanden, und ich glaube, die Solidarität zwischen den Generationen kann dadurch durchaus steigen.
Quelle: NDR Kultur
Ein Auszug aus dem „Zukunftsreport 2021“ von Matthias Horx: „Das „neue Normal“ wird anders aussehen als das alte. Und auch ein Impfstoff wird den alten Zustand nicht wiederherstellen. Das „noch seltsamere Jahr 2021“ wird in vieler Hinsicht Entscheidungen bringen. Entscheidungen über Autokratie und Rebellion, über Demokratie, Freiheit und Globalisierung. Im Jahr 2021 wird sich langsam eine neue Welt(un-)ordnung enthüllen. Covid-19 hat uns auf drastische Weise das „große Zuviel“ gezeigt.“ Weitere Informationen zu den Themen unserer Zeit und Zukunft unter: www.zukunftsinstitut.de und www.horx.com. |
Der Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.