Branchenmeldungen 09.12.2013
„Die Wunde von Kennedy war wirklich nicht mehr zu behandeln.“
Nur wenige Menschen können von sich behaupten, Zeitgeschichte aktiv miterlebt zu haben. Der amerikanische Zahnarzt Dr. Don Teele Curtis aus Amarillo im Bundesstaat Texas gehört dazu. Als angehender Oralchirurg führte er im Parkland Memorial Hospital in Dallas die ersten Notfallmaßnahmen am amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy nach dem Anschlag vom 22. November 1963 durch. Fünfzig Jahre danach erinnert er sich an den schicksalhaften Tag und erzählt, warum seiner Meinung nach mehr hinter der Theorie vom einsamen Schützen steckt.
Dental Tribune International: Dr.
Curtis, vor Kurzem ist ein von Tom Hanks produzierter Kinofilm erschienen, der
die Geschehnisse im Parkland Memorial Hospital nacherzählt. Haben Sie den Film
gesehen und wie nah ist er an der Wahrheit?
Dr. Don T. Curtis: Ich habe ihn
leider noch nicht gesehen. Kritiken
zufolge soll er jedoch ein eher sensationalisiertes Bild der Ereignisse vermitteln.
Ich würde ihn mir sicher anschauen, falls er jemals in Amarillo gezeigt wird.
Sie begannen im Jahr 1963 am Parkland
Memorial Hospital zu arbeiten. Welche Position hatten sie damals inne?
Zu dieser Zeit hatte ich gerade die ersten sechs Monate meiner
Assistenzzeit hinter mir. Zuvor hatte ich bereits ein Praktikum im Parkland
absolviert. Zur Oralchirurgie bin ich durch meine Arbeit als
chirurgisch-technischer Assistent während meines zahnmedizinischen Studiums an
der Baylor University College of Dentistry in Waco gekommen.
Wussten Sie, dass Präsident Kennedy am
22. November 1963 in der Stadt war?
Davon hatte ich keine Kenntnis und war sehr überrascht, als sie ihn ins Krankenhaus
brachten. An diesem Tag war für mich eine Operation angesetzt und ich war
gerade auf dem Weg zum Mittagessen. Um in die Cafeteria zu gelangen, musste ich
jedoch das Gebäude verlassen und das Gelände überqueren, wo sonst alle Notfälle
angeliefert werden. Dort standen sehr viele Polizeiwagen und die
blutbeschmierte Präsidentenlimousine, auf der noch die Rosen lagen, die die
First Lady am Flughafen in Dallas als Geschenk überreicht bekommen hatte. Ein
Polizist fragte mich, ob ich Arzt wäre, was ich bejahte. Er sagte mir dann,
dass der Präsident verletzt sei und geleitete mich zum Schockraum, wo Kennedy
bereits aufgebahrt war.
In welcher Verfassung fanden sie Kennedy
vor?
Als ich den Raum betrat, war offensichtlich, dass der Präsident im Sterben
lag. Er versuchte zu atmen, konnte aber nicht. Dr. Charles James Carrico, ein
anderer Assistenzchirurg, hatte bereits einen Endotrachealtubus
eingeführt und die künstliche Beatmung begonnen. Das funktionierte aber nicht,
weil der Atemweg des Präsidenten durch etwas blockiert war. Daraufhin beschloss
Dr. Carrico, einen Luftröhrenschnitt vorzunehmen.
Ich
half der Schwester, die Krawatte und das Hemd von Kennedy zu entfernen, um ihn
für den Luftröhrenschnitt vorzubereiten. Dann kam Dr. Malcom Perry, ein
leitender Chirurg, in den Raum und es wurde entschieden, dass er die Prozedur übernimmt
und von Dr. Carrico assistiert wird. Ich war dabei, das linke Bein für eine
intravenöse Bluttransfusion vorzubereiten. Als ich später wieder aufblickte,
waren alle Oberärzte im Raum versammelt sowie einige Leute, die ich nicht
kannte.
War Ihnen bewusst, dass der
Präsident Ziel eines Anschlags
gewesen war?
Ich konnte nicht sehen, wo und wie der Präsident verletzt war, weil sein
Kopf auf einem Kissen lag. Ich erinnere mich jedoch, dass der Chef der neurochirurgischen
Abteilung Dr. William Kent Clark, den Kopf des Präsidenten nach links drehte, wo eine große Fraktur
des Schädels zu sehen war, und sagte: „Hören Sie auf, diese Verletzung ist
nicht mehr zu behandeln.“
Wie war die Atmosphäre in diesem Moment?
Es wurde sehr still. Niemand sagte etwas.
Hätte ihrer Meinung nach das Leben des
Präsidenten noch gerettet werden können?
Es gab nichts, was wir hätten tun können. Die Wunde von Kennedy war wirklich
nicht mehr zu behandeln.
Zeugen zufolge wurde nach der Bekanntgabe des Todes darüber gestritten, wer die
Autopsie an Kennedy vornehmen soll. Haben Sie etwas davon mitbekommen?
Nein, denn ich habe den Schockraum sehr früh verlassen und bin zurück in die Klinik gegangen, um nach meinem Patienten im Operationssaal zu sehen. Inzwischen waren jedoch alle angesetzten Operationen gestrichen und die Patienten in die jeweiligen Stationen zurückgeschickt worden. Es waren nur noch einige wenige zugange, unter anderem am texanischen Gouverneur John Connally, der mit Kennedy im Auto saß und ebenfalls verletzt wurde.
Ich sagte meiner Patientin, dass die Operation verschoben
wurde. Sie hatte dafür Verständnis. Da ich sonst nichts anderes zu tun hatte,
erledigte ich noch einige wenige persönliche Dinge und ging anschließend nach
Hause. Dort verbrachten wir das Wochenende weitgehend vor dem Fernseher oder
dem Radio.
Es war eine Erleichterung, dass es der frühere Vizepräsident und Nachfolger von
Kennedy im Präsidentenamt Lyndon B. Johnson sicher zurück nach Washington
geschafft hatte und es keine Unterbrechung der Regierungsgeschäfte gab. Am
Sonntag erfuhren wir dann von dem Anschlag auf den Verdächtigen des Attentats Lee
Harvey Oswald. Spätestens ab dann war klar, dass es sich um mehr als nur einen einsamen
Schützen handelte.
Die Mehrheit der Amerikaner glaubt nicht
daran, dass Oswald alleine gehandelt hat, wie es im Abschlussbericht der
Warren-Kommission heißt. Sind Ihnen irgendwelche Unregelmäßigkeiten zwischen
der offiziellen Version der Geschehnisse und ihren eigenen Erfahrungen
aufgefallen?
Der Bericht der Warren-Kommission spiegelte das wieder, was die Leute hören
wollten, nämlich, dass Oswald alleine gehandelt hat und es keine Verschwörung
gab. Nachdem die Ärzte jedoch das Blut von Kennedys Hals entfernt hatten, um
den Luftröhrenschnitt vorzunehmen, fanden sie ein Einschussloch, was bedeutete,
das ein Schuss Kennedy von vorn getroffen haben muss. Aufgrund ihrer
Beschaffenheit konnte eine weitere Wunde am Hinterkopf auch nur eine
Austrittswunde sein, sodass mindestens zwei Projektile von vorn abgefeuert
worden sein müssen. Diese Aussagen, einschließlich meiner, sind zwar in den
Bericht zu finden, aber das Wissen
der Ärzte über die Wunden hatte letztendlich keinen Einfluss auf die
Schlussfolgerung der Warren-Kommission. Warum diese Fakten so unterschiedlich
interpretiert wurden, ist seit 50 Jahren ein Geheimnis.
Was ist Ihrer Meinung nach an diesem Tag passiert?
Meiner Meinung nach gab es natürlich mehrere Schützen. Oswald hat nicht
alleine gehandelt. Das würde aber bedeuten,
dass es wirklich eine Verschwörung gab.
Nach 1963 waren sie noch zwei weitere Jahre im Parkland Memorial Hospital
tätig. Wurden die Ereignisse im Nachhinein noch unter den Beteiligten
diskutiert?
Wir haben eigentlich nie wieder darüber gesprochen. Es war etwas, dass wir
einfach nicht diskutieren wollten. Ich habe jedoch oft mit meinen Kollegen in
London und Zürich darüber gesprochen, wo ich als Austausch-Arzt nach 1965 tätig
war. Speziell in England war man sehr an amerikanischer Politik und dem
Anschlag interessiert.
Sie sind erst kürzlich mit Ihrem Wissen
an die Öffentlichkeit gegangen. Was waren die Gründe dafür?
Alles was ich sagen kann ist bereits in der einschlägigen Literatur behandelt
worden, aber ich denke, dass ein generelles Bewusstsein für die Menschen
geschaffen werden muss, die bei den Ereignissen dabei waren. Das versuche ich
zu erreichen.
Immer noch warten über sechs Millionen als
geheim eingestufte Seiten der Untersuchung, an die Öffentlichkeit zu gelangen. Im
Jahr 2017 wird es schließlich soweit sein. Ist das für Sie noch von Interesse
oder haben Sie mit dem Kapitel Ihres Lebens inzwischen abgeschlossen?
Es wird sehr viel darüber spekuliert, was die Dokumente überhaupt beinhalten.
Ich fiebere der Veröffentlichung nicht unbedingt entgegen, bin aber daran
interessiert, was man Neues von diesen Dokumenten lernen kann.
Vielen Dank für das Interview.
Quelle: Dental Tribune International/Interview von Daniel Zimmermann