Branchenmeldungen 28.03.2012
Eine ungewisse Zukunft für die PKV?
Viele Privatversicherte haben jahrzehntelang von niedrigeren Beitragssätzen und besserem Service beim Arzt profitiert. Doch jetzt scheint ein Ende der Branche nah. Was soll aus den Versicherten und den Rücklagen der Privatkassen werden?
Die neun Millionen Privatversicherten in Deutschland stehen vor ungewissen Zeiten. Außer der FDP gibt keine Fraktion im Bundestag der privaten Krankenversicherung (PKV) in ihrer heutigen Form eine klare Zukunft. Bei der Konkurrenz der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wächst die Sorge vor einem unnötig teuren Überlebenskampf. Nach der jüngsten Beitragserhöhungsrunde für viele Privatversicherte will der Bundesverband der Verbraucherzentralen an diesem Donnerstag öffentlich Notmaßnahmen der Politik fordern.
«Die Lage der PKV ist ganz offensichtlich bedrohlich», sagt AOK-Chef Jürgen Graalmann. «So wie es aussieht, bekommen die Versicherer diese Krise nicht selbst unter Kontrolle.» Beitragssprünge von 40 bis 60 Prozent schreckten viele Privatversicherte zum Jahresende auf. 45 Prozent der Tarife stiegen nicht. Branchenbeobachter gehen von einem PKV-Prämienplus um im Schnitt mindestens sieben Prozent jedes Jahr aus. Ärzte und Kliniken wollen offenbar den GKV-Budgets entkommen, indem sie bei den Privatabrechnungen umso stärker zugreifen.
Große gesetzliche Kassen hatten 2011 mehr Zuwanderer von der PKV als Abwanderer dorthin. 2010 wechselten unter dem Strich 74 500 Versicherte von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung - im Vorjahr war der Saldo allerdings noch fast doppelt so hoch.
Mitte März verursachte Jens Spahn ein kleines Beben. Dass der junge CDU-Politiker die abgeschottete PKV als alten Zopf ansieht, war Kennern bekannt. Doch nun ging er per Interview forsch voran: «Dass nur Selbstständige, Beamte und Gutverdiener sich privat versichern können, lässt sich nur noch historisch begründen. Diese Trennung ist nicht mehr zeitgemäß, Sie finden dafür nicht einmal mehr auf einer CDU-Mitgliederversammlung eine Mehrheit.» Spahn ist der führende Gesundheitspolitiker der Unionsfraktion.
Er sieht ein sozialpolitisches Problem. Denn über vier Millionen PKV-Kunden sind Beamte und Pensionäre, knapp zwei Millionen Selbstständige mit oft keineswegs luxuriösen Einkommen. Ein PKV-Beitragsplus schlägt bei vielen bedrohliche Löcher ins Budget. Auf der anderen Seite werden junge Leute systematisch mit Billigtarifen angeworben.
Die FDP nimmt sich des Problems momentan nicht hörbar an. Ihr Gesundheitsminister Daniel Bahr sagt, die beiden Säulen von PKV und GKV hätten sich bewährt. Der PKV-Verband selbst beteuert, die private Krankenversicherung gelte EU-weit als Musterbeispiel, um den demografischen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu begegnen.
Die Linke, die Grünen und zuletzt die SPD haben dagegen nacheinander Konzepte für die Endzeit der PKV beschlossen, wie sie heute ist. Dabei verspricht SPD-Gesundheitsvorkämpfer Karl Lauterbach den Ärzten sogar drei Milliarden Euro mehr Geld, wenn sie in einer Bürgerversicherung von GKV und PKV gleich hohe Honorare erhielten.
Was die Wunschpartner von Rot-Grün verbindet: Jeder soll nach seiner Leistungsfähigkeit zahlen und dennoch bekommen, was er braucht. «Wir brauchen die Beamtin und die Architektin im Solidarsystem», sagt die Grünen-Expertin Birgitt Bender, die von manchen in der Branche bereits als mögliche kommende Gesundheitsministerin gehandelt wird. Doch Streit zwischen SPD und Grünen wäre programmiert. Forderungen, in die Höhe der Beiträge auch Einnahmen aus Mieten und Zinsen einzuberechnen, schmetterte eine Mehrheit des SPD-Parteitags im Dezember im Einklang mit der Führung ab. Die Grünen wollen das.
Einig ist man sich, dass PKV-Kunden bei ihrer Versicherung bleiben dürfen, aber ein Wechsel in die Gesetzliche leichter werden soll.
Die PKV selbst sieht sich wegen Altersrückstellungen von insgesamt 158 Milliarden Euro als Zukunftsmodell. Was wird aus der Riesensumme? Ob Allianz, Debeka, DKV und Co. im Fall eines SPD-Wahlsiegs noch Vollversicherungen verkaufen dürften, ist mehr als fraglich. An die PKV-Rückstellungen will die SPD aber nicht heran. Man will sich nicht der Enteignung bezichtigen lassen.
Graalmann sagt: «Die Rücklagen gehören den Versicherten.» Wolle der Gesetzgeber leichtere Wechsel von der PKV in die GKV, sei nicht einzusehen, dass die Versicherten ihr Geld weiter den Konzernen zwangsvererben müssten. Und bei einer Abwicklung der PKV darf sich die Politik nach Ansicht des AOK-Chefs auf keinen Fall auf Kompensationsgeschäfte zugunsten einer Branche vor dem Ende einlassen.