Branchenmeldungen 14.08.2018
Feminisierung in der Zahnmedizin: „Die Ansprache muss sich ändern!“
Was bedeutet die Feminisierung der Zahnmedizin? In einem Interview mit Claudia Huhn, 46, Diplom-Kauffrau und Gründerin des Zahnärztinnen Netzwerks, und Undine Stricker-Berghoff, 59, Diplom-Ingenieurin und langjähriges Vorstandsmitglied des Netzwerkes Frauen im Ingenieurberuf des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V., sprach der Dentalhersteller Kulzer über Frauen, Einhörner und Ansprache auf Augenhöhe.
Frau Huhn, Frau Stricker-Berghoff, 64 Prozent der angestellten Zahnärzte in Deutschland sind inzwischen weiblich, und auch der Gründerinnenanteil steigt. Was raten Sie jungen Zahnärztinnen?
Claudia Huhn: Grundsätzlich rate ich gar nicht. Die Frage ist: Was wollen die Frauen? Habe ich auch die entsprechenden Stärken? Auf dieser Basis kann die Zahnärztin sehr gut selbst entscheiden. Für mich gibt es zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis auch kein besser oder schlechter. Je nach Lebensphase kann es eine unterschiedliche Antwort auf diese Frage geben.
Hat sich durch den hohen Frauenanteil etwas verändert? Im Dentalmarkt? Am Berufsbild?
Huhn: Frauen neigen dazu, eher zu zweit in eine Praxis zu gehen, da sie sich dann besser ergänzen können. Daher gründen Frauen mehr Gemeinschaftspraxen. Doch vor allem bei der Schwerpunktwahl gibt es Unterschiede: Von 100 Implantologen sind nur 15 Frauen. Bei 100 Oralchirurgen gibt es sogar nur drei Frauen.
Die Damen sind mehr in der konservierenden Thematik tätig und überlassen den Herren die blutigeren Fachbereiche. Doch wenn es in Zukunft nur 15 Implantologinnen gibt, dann fragen sich auch die Dentalhersteller: Wer nimmt mir meine Produkte ab? Die Feminisierung ist auch für sie eine Aufgabenstellung.
Tatsache ist: Frauen ließen sich für bestimmte Themen – wie Implantologie oder Oralchirurgie – mehr begeistern, wenn Dentalhersteller diese Themen für Frauen attraktiver aufbereiten würden.
Undine Stricker-Berghoff: Ein „berüchtigtes“ Beispiel: Wenn ein männlicher Architekt eine Damentoilette plant, dann plant er sie deutlich anders als eine Frau. Wenn man diese Lücke durch Frauen in den Entwicklungsabteilungen schließt, dann kommt es auch zu Änderungen. Beispielsweise Toiletten, bei denen sich das Waschbecken aus Hygienegründen in der Kabine befindet und auch ein Haken für die Handtasche vorhanden ist. Problematisch ist nur: Derzeit gibt es kaum Frauen in der Technik, die Herstellern helfen, zielgruppengerechte Produkte zu entwickeln.
Huhn: Und wenn Männer Produkte für Frauen entwickeln, geht es ja zum Teil gründlich in die Hose. Vor einigen Jahren wurde ein Handstück speziell für Frauen entwickelt. Dabei hatte man ein normales Handstück rosa eingefärbt. Die Reaktionen des Marktes waren entsprechend negativ.
Stricker-Berghoff: (Lacht) Man hätte darauf noch das im Marketing zurzeit für die Zielgruppe „Frau“ angesagte Einhorn drucken sollen, dann wäre es vielleicht erfolgreicher gewesen.
Wie sollten die Akteure des Dentalmarkts mit der zunehmenden Feminisierung umgehen?
Huhn: Wichtig ist zunächst die Erkenntnis, dass sich etwas ändert. Mit den althergebrachten Themen und Methoden in der Produktentwicklung, aber auch im Vertrieb, werden beispielsweise Dentalhersteller bei Frauen nicht punkten.
Was ist denn im Vertrieb anders?
Huhn: Frauen mögen die Ansprache auf Augenhöhe, sie wollen kurz und knapp über den Kundennutzen informiert werden. Also: Wie verbessert sich meine Arbeit durch das Produkt? Wie erleichtert das Produkt meine Arbeit? Oder auch: Kann ich mit dem Produkt mehr Geld verdienen?
Stricker-Berghoff: Frauen muss man überzeugen: Kurz und knapp und knackig. Für das ganze Schickimicki drum herum in Form von warmen Worten oder milden Gaben sind Frauen überhaupt nicht empfänglich.
Huhn: Genau. Wer Zahnärztinnen sagt: „Mit dir möchte ich reden und dich möchte ich durch die und die Produktvorteile überzeugen“, der hat schon einen sehr guten Zugang zu Frauen.
Was sind Ihre Tipps für Frauen im Beruf bzw. speziell für Zahnärztinnen?
Stricker-Berghoff: Sich von den vermeintlich stärkeren Männern nicht abschrecken zu lassen. Wenn man sich heute die Noten und Arbeitsergebnisse anschaut, dann können Frauen qualitativ mehr als mithalten. Sie müssen in einigen Situationen einfach das Kreuz breitmachen und unverdrossen weitergehen. Sie sollten auch gezielt networken.
Huhn: Ich bin Mutter einer achtjährigen Tochter und frage mich natürlich gelegentlich, was ich ihr mitgeben will. Ich möchte, dass sie weiß, dass sie als Mädchen alles machen kann. Denn Frauen müssen sich zunächst fragen: Was möchte ich? Denn alles was ich möchte, kann ich auch erreichen. Wir sollten aufhören, uns im Kopf selbst Grenzen zu setzen.
Stricker-Berghoff: Nicht nur im Kopf muss sich etwas tun, sondern auch die Sprache muss sich verändern. Frauen neigen dazu, ihre Worte aufzuweichen: Verben im Konjunktiv, aber auch Worte wie „vielleicht“ oder „nur“ werden – vor allem von Männern – als Unsicherheit aufgefasst. Wenn Sie Führungsverantwortung übernehmen, dann müssen sie klare Aussagen treffen.
Huhn: Wenn wir etwas wollen, müssen wir es zunächst einmal klar formulieren. Die Souveränität, die Fähigkeiten, die ich als Frau habe, sollte ich einfach auf die Straße bringen. Da ist es wichtig, dass Frauen da bei sich bleiben und nicht auf das Kräftemessen mit den Herren eingehen.
Heute wird die Rolle des Unternehmers für den Zahnarzt immer wichtiger. Wieso?
Huhn: Lange Zeit mussten Zahnärzte nur pharmazeutisch kompetent sein, um Erfolg zu haben. Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre haben auch die Leistungen der Zahnarztpraxis in den Blick genommen. Heute kommt auf Zahnärzte daher immer mehr unternehmerische Verantwortung zu: Sie müssen sich vermarkten, ihre Zahlen im Griff haben und auch die Preise kalkulieren können.
Unterscheiden sich Frauen und Männer Ihrer Erfahrung nach im Bereich der Praxisführung oder auch als Unternehmerin?
Huhn: Viele Frauen machen den Fehler, zu glauben, sie wären gleich mit ihren Mitarbeitern. Sie müssen lernen, ihren eigenen Wert darzustellen und selbstbewusst und authentisch nach außen zu tragen.
Stricker-Berghoff: In kritischen Situationen, in denen es schnell gehen muss, funktioniert nur ein autoritärer Führungsstil. Das überrascht dann oft die weiblichen Angestellten. In dem Moment, in dem ich in eine Krisensituation gerate, ändert sich mein Führungsstil und das löst bei Mitarbeiterinnen Irritationen oder auch heftige Abwehrreaktionen aus. Frauen sollten sie im Vorfeld darauf vorbereiten. Sprich: Wenn es hart auf hart kommt, etwas Existenzbedrohendes eintritt, dann entscheide ich – denn es ist mein Unternehmen. Dann ist nicht der Moment, sich zusammenzusetzen und darüber zu reden.
Was hilft Frauen dabei, ihren Beruf erfolgreich auszuüben?
Stricker-Berghoff: Die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert: Allem voran der Anspruch auf Teilzeit und auch auf Elternzeit. Wichtig ist noch ein gutes Angebot an Ganztagsschulen. Im Rest der Welt wird eine arbeitende Mutter als Bereicherung gesehen. In Deutschland haben wir gesellschaftlich immer noch ein Defizit, was die Anerkennung von arbeitenden Müttern betrifft. Doch wenn wir ein familienfreundliches Umfeld wollen, dann muss sich das Bild der Rabenmutter grundlegend ändern – und sich die Erkenntnis verbreiten, dass auch andere Dinge bei Frauen wertvoll sind, neben der Mutterschaft.
Was wird sich noch ändern?
Huhn: Heute gibt es mehr und mehr Praxen, die 24 Stunden geöffnet haben, sowie Praxen, die vermehrt Patienten in den Randzeiten behandeln. Und es gibt natürlich auch mehr und mehr Patienten, die sich – außerhalb der üblichen Öffnungszeiten – also am Samstag oder nach Feierabend – behandeln lassen wollen.
Stricker-Berghoff: Die Flexibilität bei den Arbeitszeiten wird sich weiter erhöhen. Schauen Sie sich dazu zum Beispiel die aktuelle Forderung der IG Metall an. Die Arbeitszeit soll individuell zeitweise reduziert und dann problemlos wieder angehoben werden können. Diese Forderungen werden sich sukzessive durchsetzen, so schwierig das organisatorisch gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen sein mag. Man wird die Arbeit in kleinere Einheiten packen und für ausreichend Koordination und Kommunikation sorgen. Wenn jemand sagt: Management in Teilzeit geht nicht, dann stimmt das so uneingeschränkt eben nicht.
Das Interview ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.