Branchenmeldungen 26.02.2025

Interview mit Prof. Dr. Zimmer: Fluoride in der ­Kariesprävention



Die Rolle von Fluoriden in der Kariesprävention ist ein viel diskutiertes Thema, sowohl in Fachkreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit. Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit der Fluoridanwendung bestehen in der Bevölkerung weiterhin Unsicherheiten.
Interview mit Prof. Dr. Zimmer: Fluoride in der ­Kariesprävention

Foto: privat

Dieses Interview ist unter dem Originaltitel: „ Fluoride in der ­Kariesprävention“ im PJ Prophylaxe Journal erschienen.

Mit einem ­aktuellen Positionspapier hat der wissenschaftliche Beirat der Informationsstelle für Kariesprophylaxe diese evidenz­basierten Erkenntnisse zusammengetragen und praxisnahe Handlungsempfehlungen ent­wickelt. Im Interview beleuchtet Beiratssprecher Prof. Dr. Stefan Zimmer von der Universität Witten/Herdecke die Kernpunkte des Positionspapiers.

Welche Empfehlungen zur Anwendung von Fluoriden in der Kariesprävention enthält das aktuelle Positions­papier, insbesondere im Vergleich zu bisherigen Standards?

Das Positionspapier trägt die wissenschaftliche Evidenz zum Thema Fluoridierung in der Kariesprophylaxe in einem Doku­ment zusammen. Wir (wissenschaftlicher Beirat der Infor­ma­tions­stelle für Kariesprophylaxe) haben damit auf die zunehmende Unsicherheit reagiert, die wir sowohl in der Bevölkerung als auch in Fachkreisen bezüglich der Fluorid­prophy­laxe beobachten. In dem Positionspapier erklären wir, warum Fluorid zur Gesunderhaltung der Zähne unverzichtbar ist, wie die Fachleute an den Universitäten seine Bedeutung einschätzen, wie wirksam verschiedene Anwendungen sind und ob es sicher ist. Da es sehr viel wissenschaftliche Evidenz gibt, die Wirksamkeit und Sicherheit der Fluorid­prophy­laxe zweifelsfrei belegen, ist das Positionspapier recht lang geworden. Weil uns klar ist, dass unsere Zielgruppe, die Zahnärzteschaft und das Prophylaxepersonal in der Zahnarztpraxis, nicht die Zeit hat, dieses Papier komplett zu lesen oder gar bei der Patientenberatung wieder­zugeben, haben wir daraus Handlungsempfehlungen abge­leitet, die der schnellen Information dienen und in den Zahnärztlichen Mitteilungen gedruckt wurden.

Wie können Zahnmediziner und Prophylaxepersonal besser darin unterstützt werden, die Vorteile und Sicherheit von Fluoriden gegenüber Patienten zu kommunizieren?

Als Wissenschaftler ist man immer in einer kommunikativen Bredouille. Ängste, Unsicherheit und Zweifel an der Wirksamkeit der Fluoridprophylaxe werden üblicherweise durch sehr plakative Aussagen wie „Fluorid ist giftig“ geschürt. Darauf kann man natürlich nicht mit einem einfachen Satz wie „Fluorid ist nicht giftig“ antworten, weil jeder Stoff in bestimmten Mengen giftig wirken kann. Das wusste schon der schweizerisch-österreichische Arzt Paracelsus (1494–1541), der den Satz formulierte „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Diese Aussage gilt bis heute als Leitsatz der Pharma­kologie und Toxikologie. Weil das so ist, muss man für se­riöse Antworten etwas ausholen und das wird schnell kompliziert. Viele behalten eher die simple Aussage als die komplizierte, aber fundierte Erwiderung im Gedächtnis. Um diesem Umstand zu begegnen, haben wir neben unser Positionspapier kurz formulierte Handlungsempfehlungen gesetzt, die gut für die Anwendung in der täglichen Praxis geeignet sind. Zudem hat die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) im letzten Jahr in Kooperation mit dem Unter­nehmen CP GABA einen Fluoridrechner entwickelt. Mit diesem können Verbraucherinnen und Verbraucher schnell ­bestimmen, ob ihre Fluoridprophylaxe optimal ist.

Welche Bedeutung haben die 2021 eingeführten Empfehlungen zur Fluoridanwendung bei Kleinkindern?

Die von der Zahnmedizin und der Pädiatrie konsentierten Empfehlungen haben aus meiner Sicht eine Bedeutung für die Kariesprophylaxe im Milchgebiss, die kaum überschätzt werden kann. Wichtig ist hier vor allem die Einigung auf die Konzentration von 1.000 ppm Fluorid in Kinderzahnpasten, die bis zum sechsten Geburtstag Anwendung finden. Wir haben seit Langem beobachtet, dass wir in der Kariesprophylaxe im Milchgebiss in den letzten Jahrzehnten bei Weitem nicht so große Fortschritte gemacht haben wie bei den Zwölfjährigen, wo wir es in einem Zeitraum von ca. 25 Jahren geschafft haben, von einem der hinteren Plätze weltweit an die Spitze zu gelangen. Zwölfjährige haben in Deutschland durchschnittlich ca. 0,4 an Karies erkrankte bleibende Zähne, was seit 1997 einem Rückgang um 75 Prozent entspricht. Sechsjährige weisen dagegen im Durchschnitt immer noch 1,73 an Karies erkrankte Milchzähne auf, entsprechend einem Rückgang seit 1997 um lediglich 28 Prozent. Der Grund für diese Diskrepanz dürfte vor allem die ungenügende Prophylaxe durch Fluoridzahnpasten im Milchgebiss sein. Das wird sich durch die neuen Empfehlungen, die eine Erhöhung der Fluoridkonzentration in Kinderzahnpasten von 500 ppm auf 1.000 ppm Fluorid beinhalten, ändern. Metaanalysen haben schon lange gezeigt, dass Zahnpasten mit 500 ppm Fluorid unwirksam sind und eine gesicherte Wirksamkeit erst bei 1.000 ppm Fluorid beginnt. Fast genauso wichtig für die Verbesserung der Zahngesundheit im Milchgebiss dürfte übrigens die 2019 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommene Fluoridierung mit einem hochkonzentrierten Fluoridlack ab dem Durchbruch des ersten Milchzahnes sein.

Welche Strategien sehen Sie, um die Akzeptanz von Fluoriden in der Bevölkerung zu fördern?

Ich glaube an die Macht fundierter Überzeugungsarbeit. Unser Ziel muss es sein, auf allen Ebenen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, denn jeder einzelne kann zur Aufrechterhaltung und Wiedergewinnung seiner Gesundheit in vielen Punkten einen weit größeren Beitrag leisten als Zahnärzte oder Ärzte das können. Hilfreich können dabei Tools wie der Fluoridrechner oder Gesundheits-Apps sein, die es enorm erleichtern, zu jedem gewünschten Zeitpunkt auf einfache Weise an die individualisierte gesundheitsrelevante Information zu gelangen, die gerade gebraucht wird. Ich möchte jedoch daran erinnern, dass auch in Deutschland nicht jeder Mensch in der Lage ist, eine starke Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Für diese Menschen müssen wir auch da sein und andere Konzepte ent­wickeln. Damit meine ich das Thema Verhältnisprävention, also die Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten, die es ermöglichen, auch ohne besondere Gesund­heits­kompe­tenz gesund zu leben.

Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Zimmer!

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