Branchenmeldungen 20.08.2024
Moderne Therapie zur Vitalerhaltung der Pulpa
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Karies muss nicht das letzte Wort haben: Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass mit einer partiellen oder vollständigen Pulpotomie auch bei einer irreversiblen Pulpitis hohe Erfolgsquoten erzielt werden können. Der Hamburger Endodontologe Dr. Martin Brüsehaber verrät im Kurzinterview Erkenntnisse und Techniken, welche für die Zukunft der endodontischen Behandlung eine essenzielle Rolle spielen können.
Herr Dr. Brüsehaber, ab wann spricht man von einer irreversiblen Pulpitis?
Klinisch ist es schwierig, eine reversible von einer irreversiblen Pulpitis eindeutig zu unterscheiden. Eine reversible Entzündung der Pulpa wird vermutet, wenn ein Zahn auf nicht schmerzauslösende Reize wie Kälte mit einem reizgebundenen Schmerz reagiert. Dies deutet auf hyperämische Veränderungen in bestimmten Bereichen der Pulpa hin. Wenn die Schmerzreaktion anhält oder spontan ohne Reize auftritt, spricht man von einer irreversiblen Pulpitis. Histologisch sind dann oft bereits lokale Mikroabszesse und Gewebsnekrosen erkennbar.
Die Blutungsneigung der Pulpa ist ein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung des Entzündungsgrades und der Regenerationsfähigkeit. Könnten Sie näher erläutern, wie die Blutungsneigung in der Praxis beurteilt und genutzt wird?
Das Ziel einer Vitalamputation der Pulpa ist es, möglichst regenerationsfähiges Pulpagewebe zu erhalten. Dabei gilt die Beurteilung der Blutung der Pulpa nach partieller Amputation als sicherstes klinisches Diagnoseverfahren. Bei oberflächlichen Entzündungen kommt es dabei nur zu leichten Blutungen, die innerhalb weniger Minuten sistieren. Durch ausgeprägtere Entzündungen werden stärkere und anhaltende Blutungen resultieren. Das Ausmaß der Blutung gilt sowohl als Anzeichen für die Entzündung als auch als Chance für die Heilung. Das bedeutet, dass stark blutendes Gewebe vollständig entfernt werden muss, bis nur noch Gewebe vorliegt, welches eine geringe Blutungsneigung aufweist. Die Vorgabe ist, dass die Blutung innerhalb von fünf bis zehn Minuten sistieren sollte. Für eine zuverlässige Beurteilung der Pulpa sind eine ausreichende Vergrößerung und Beleuchtung erforderlich.
„Die zentrale Erkenntnis für die Durchführung vitalerhaltender Pulpabehandlungen ist, dass neben gesundem Pulpagewebe zeitgleich entzündetes Gewebe vorliegen kann. Dabei können Entzündungen unterschiedlichster Ausprägungen bis hin zu lokalen Mikroabszessen im selben Zahn vorliegen.“
Weshalb ist die sofortige, bakteriendichte Versorgung der Kavität nach der Amputation entscheidend für den Behandlungserfolg und welche Materialien und Techniken empfehlen Sie für diesen Schritt?
Anhaltende mikrobielle Reize sorgen für eine persistierende Entzündungsreaktion der Pulpa, welche in eine vollständige Nekrose münden kann. Deshalb ist eine bakteriendichte Versorgung der Kavität direkt im Anschluss an die Abdeckung der Pulpawunde essenziell. Am sichersten ist dieses Ziel mit einem volladhäsiven Kompositverschluss der Kavität zu erreichen. Übliche Adhäsivsysteme können hier Verwendung finden.
Wie beurteilen Sie die langfristigen Prognosen der Vitalerhaltung der Pulpa im Vergleich zur vollständigen Exstirpation und Wurzelkanalbehandlung? Welche Vorteile sehen Sie dabei?
Die derzeit verfügbaren Untersuchungen zeigen Prognosen von über 90 Prozent für die Vitalerhaltung der Pulpa. Damit weist das Verfahren keine Nachteile gegenüber einer vollständigen Exstirpation der Pulpa auf. Der Vorteil besteht in der Bewahrung der Pulpafunktionen, wie beispielsweise dem Erhalt der Dentinbildung insbesondere bei jugendlichen, unvollständig entwickelten Zähnen, dem Erhalt der Reizweiterleitung von Schmerz- und Propriorezeptoren sowie der Immunfunktionen der Pulpa.
Dieser Artikel ist im EJ Endodontie Journal erschienen.