Branchenmeldungen 22.04.2022
Parodontitis und Periimplantitis in der Implantologie
Periimplantitis ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen für Zahnärzte. Laut Studien wird die Prävalenz der Erkrankung in den kommenden Jahren weiter steigen. Im Interview mit der Redaktion des Implantologie Journal spricht Implantologie-Spezialistin Dr. Inga Boehncke, die seit 2009 ihre eigene Praxis in Bremen betreibt, über Besonderheiten der Implantattherapie bei parodontalen Vorschädigungen, chirurgische und nichtchirurgische Behandlungsprotokolle von Periimplantitis und wie sich die Behandlung der Krankheit in Zukunft entwickeln wird.
Frau Dr. Boehncke, welche besonderen Herausforderungen ergeben sich bei Implantatbehandlungen von Patienten, die parodontale Vorschädigungen aufweisen?
Dr. Inga Boehncke: Zunächst muss eine stabile parodontale Situation geschaffen werden, indem das individuelle Risikoprofil der zu behandelnden Person festgelegt und besprochen wird. Eine wichtige Rolle spielen die Art und der Umfang der vorangegangenen Parodontalerkrankung. Es gibt einige Fragen zu klären: Gab es Rezidive? Ist die parodontale Situation stabil? Raucht die zu behandelnde Person? Hat der Patient Diabetes? Hierfür ist es wichtig, den Hämoglobin-A1c-Wert zu bestimmen und zu überwachen. Dieser sollte in der Regel alle drei Monate bestimmt werden und einen Wert von 6,5 bis 7,0 Prozent nicht überschreiten.
Auch Interleukin-Polymorphismen kommen vor allem in Kombination mehrerer oben genannter Faktoren in Betracht, da etwa 10 Prozent der Patienten High-Responder sind, was bedeutet, dass eine entzündliche Veränderung mit einer stärkeren bis überschießenden Reaktion verbunden sein kann. Nicht zuletzt spielt die Compliance der Patienten eine entscheidende Rolle hinsichtlich der häuslichen Entfernung von Plaque und der Bereitschaft, sich in engmaschige Mundhygieneintervalle zu begeben, um je nach Risikoprofil ein individuelles Biofilmmanagement festzulegen.
Bei stabilen parodontalen Verhältnissen – blutungsfrei und bei Sondierungstiefen von höchstens 5 mm nach vorangegangener Parodontalerkrankung – wenden wir vor der Implantation eine 0,2-prozentige Chlorhexidin-Spülung für dreimal 30 Sekunden an. Sollten Beläge auf der Zunge sichtbar sein, werden diese mit einem Zungenschaber entfernt und ggf. ein Chlorhexidin-Spray verwendet. Zusätzlich sollten sich parodontal vorgeschädigte Patienten zwei bis drei Tage vor dem Eingriff einer systematischen Plaqueentfernung in der Praxis unterziehen. Wir verabreichen auch Vitamin C und Vitamin K2 und bestimmen den Vitamin-D3-Spiegel und ergänzen diesen je nach Wert.
Während der Nachsorge wird engmaschig kontrolliert, vor allem die adäquate Plaqueentfernung. Die Patienten bekommen die Empfehlung, postoperativ zweimal täglich mit einer 0,2-prozentigen ChlorhexidinSpülung für je eine Minute zu spülen. Alternativ kann im Wundbereich ein Chlorhexidin-Gel appliziert werden.
Bei den anschließenden Nachuntersuchungen ist je nach Schweregrad, Risikoprofil und Kooperation der Patienten ein individueller Zeitplan mit kurzen Überwachungsintervallen zur Biofilmentfernung und Bestimmung der Sondierungsblutung einzuhalten.
Zusätzlich arbeiten wir mit dem aktiven Matrix-Metalloproteinase-8(aMMP-8-)Biomarker von Bioscientia, der die Kollagenase-Aktivität bestimmt und somit eine Art Destruktionsmarker darstellt. Entzündlicher Gewebeabbau kann so frühzeitig erkannt werden, bevor er klinisch sichtbar wird. Der individuelle 0-Wert der zu behandelnden Person wird zwei bis vier Wochen nach prothetischer Versorgung am Implantat bestimmt. Ein Jahr später erfolgt ein erneuter aMMP-8-Test.
Dentale Implantate weisen mittlerweile eine hohe Überlebensrate auf, aber periimplantäre Infektionen gehören zu den häufigsten Komplikationen. In der Delphi-Studie von 2019 der European Association for Osseointegration sind sich Experten einig, dass die Häufigkeit von Periimplantitis in den kommenden Jahren zunehmen wird. Wie kann die Zahnmedizin diese Herausforderung meistern?
Die Prävalenz der periimplantären Mukositis, die in etwa vergleichbar mit einer Gingivitis ist und sich zunächst auf die entzündliche Veränderung des Weichgewebes beschränkt, wird zurzeit mit ca. 43 Prozent angegeben. Die Periimplantitis, die mit bereits eingetretenem entzündlichem Knochenabbau einhergeht und vergleichbar mit einer Parodontitis ist, betrifft ca. 22 Prozent der Patienten. Meiner Meinung nach sind Früherkennung entzündlicher Anzeichen und rechtzeitiges Eingreifen die Säulen der Nachsorge. Regelmäßige Sondierungen sind ein wichtiges diagnostisches Mittel, um entzündliche Veränderungen in einem frühen Stadium zu erkennen. Wie bereits erwähnt, können auch Destruktionsmarker verwendet werden. Diese sind hilfreich, um der zu behandelnden Person die Therapie zu erklären.
Zudem sollten Patienten mit Implantaten in spezielle Mundgesundheitsprogramme, die eine regelmäßige systematische Entfernung des mikrobiellen Biofilms sowie entzündliche Frühdiagnostik beinhalten, eingebunden werden.
In aktuellen Studien wurde festgestellt, dass mesial und distal verblockte Implantate sowie Implantate mit einer überkonturierten Versorgung ein erhöhtes Risiko für eine Periimplantitis darstellen. Die erschwerte Plaqueentfernung für Patienten und die daraus resultierende Schmutznischenbildung spielt hierbei eine zentrale Rolle.
Der Gestaltung der implantologischen Suprakonstruktion im Hinblick auf Hygienefähigkeit sowie eine ausreichende Befestigung des Weichgewebes sollte von Anfang an eine hohe Bedeutung beigemessen werden, um Patienten eine einfache und schmerzfreie häusliche Plaqueentfernung zu gewährleisten. Eine nicht befestigte und dünne Mukosa führt oftmals zu Beschwerden bei der Reinigung sowie zu einer schnelleren Taschen- und somit Schmutznischenbildung. Wir verwenden zur Verdickung und Befestigung des periimplantären Gewebes oft die NovoMatrix der Firma Camlog.
Periimplantitis kann sowohl chirurgisch als auch nichtchirurgisch behandelt werden – oder in Kombination beider Methoden. Es besteht allerdings bislang kein standardisiertes chirurgisches Protokoll. Wie können Zahnärzte eine gute Versorgung ihrer Patienten garantieren?
Die Entscheidung, ob eine Periimplantitis chirurgisch oder nichtchirurgisch behandelt wird, hängt vor allem vom Schweregrad und von der Implantatoberfläche ab. Es muss geklärt werden, ob eine raue Oberfläche oder sogar bereits freiliegende kontaminierte Gewindegänge vorliegen. Zunächst müssen mechanische Risikofaktoren wie Überhänge, die zur Schmutznischenbildung beigetragen haben, eliminiert werden. Die Suprakonstruktionen sollten entfernt werden. In beiden Fällen – chirurgisch und nichtchirurgisch – steht die Dekontamination im Vordergrund. Die Entfernung des mikrobiellen Biofilms und somit die Reduktion der Keimbesiedlung erfolgt mit Handinstrumenten, Ultraschallspitzen und Pulverstrahlgeräten, die Glycinpulver verwenden. Zusätzlich wenden wir mehrfache 3-prozentige Wasserstoffperoxid- sowie Chlorhexidin-Spülungen im Wechsel direkt appliziert an.
Unterstützend kann auch eine lokale Antibiotikagabe erfolgen. Wir benutzen Ligosan Slow Release der Firma Kulzer, mit dem Ziel der Blutungsfreiheit und einer Reduktion der Taschentiefe.
Im Falle von schlecht erreichbaren Defektmorphologien oder bereits fortgeschrittenem Knochenabbau wenden wir eine chirurgische Therapie an, bei der in Analogie zur offenen Parodontaltherapie eine Lappenbildung erfolgt, um bessere Sicht auf die kontaminierten Stellen und somit eine bessere Zugänglichkeit zu erreichen. Für die Dekontamination verwenden wir feine Nickel-Titan-Bürstchen sowie Glycinpulver und wiederholte 3-prozentige Wasserstoffperoxid- sowie Chlorhexidin-Spülungen. Weiterhin kann regenerativ gearbeitet werden, wobei der Erfolg dafür in direktem Zusammenhang zur Defektmorphologie zu sehen ist.
Liegt ein kleiner schüsselförmiger intraossärer Defekt vor, lässt sich dieser leichter durch Augmentation regenerieren als bereits ausgebildete suprakrestale Defekte, bei denen Schraubenwindungen über dem Knochenniveau stehen. In diesem Fall werden die Gewindegänge entfernt und die herausstehende Implantatoberfläche so weit wie möglich geglättet, um die Rauigkeit zu eliminieren, mit dem Ziel, eine erneute Plaquebesiedlung zu erschweren. Es gibt auch kombinierte Defekte, bei denen beide Verfahren angewendet werden können. Zur Regeneration verwenden wir Eigenknochenspäne und ein Knochenersatzmaterial, gedeckt mit einer Kollagenmembran. Das Hauptziel besteht darin, das Weichgewebe zu stützen, und in vielen Fällen ist eine Verdickung durch Narbenbildung zu beobachten.
Was denken Sie, wie sich in Zukunft die Vermeidung und Behandlung von Periimplantitis entwickeln wird?
Vor allem der engmaschigeren Nachsorge sollte ein besonderes Augenmerk gewidmet werden, um so früh wie möglich eingreifen zu können. Aktuell sind immunmodulierende Therapieansätze im Gespräch. Durch die entzündungshemmende Wirkung von natürlichem Cranberry-Extrakt auf die gewebezerstörenden Makrophagen soll bei der topischen Anwendung direkt in die Intensität der Entzündungsreaktion eingegriffen werden.
Weiterhin könnte ich mir vorstellen, dass neue Trägermaterialien für lokale Antibiotika oder auch natürliche Extrakte – wie bereits genannt – entwickelt werden. Veränderte Implantatoberflächen, möglicherweise mit antiinfektiösen oder plaquehemmenden Eigenschaften, sind auch denkbar. Allerdings halte ich eine Bewusstseinsentwicklung der Patienten und deren Motivation zu regelmäßiger und gründlicher Nachsorge sowie deren häusliche Plaqueentfernung – unabhängig von allen Therapieansätzen – für am wichtigsten. Denn Vorbeugung ist ja bekanntlich besser als Nachsorge.
Dieser Beitrag ist im Implantologie Journal erschienen.