Digitale Zahnmedizin 30.11.2021

Sofortimplantation und digitale Abformung im zahnlosen UK



Sofortimplantation und digitale Abformung im zahnlosen UK

Foto: Dr. Inga Boehncke, M. Sc., ZTM Moritz Thole

Die implantologische Versorgung von älteren Patienten zur Gewährleistung einer bestmöglichen Lebensqualität stellt bei geringem Knochenangebot und insuffizienter Erstversorgung eine hohe Anforderung dar.1 Der folgende Beitrag soll eine implantologische Versorgung des Unterkiefers eines 74-jährigen Patienten mit Sofortimplantation und digitaler Abformung zeigen.

Ein 74-jähriger Patient stellte sich mit einer insuffizienten Unterkieferversorgung bei bestehendem Implantat 43 und frakturiertem Zahn 33 vor (Abb. 1 und 2).

Das direktverschraubte Abutment an 43 war gelockert und wies einen Bruch der Abutmentschraube auf. Das untere Fragment konnte mithilfe eines Rescue-Kits (Dentsply Sirona) aus dem bestehenden Implantat (Xive S Plus, Dentsply Sirona) entfernt werden. Nach Angabe des Patienten bestand dieser Zustand seit circa vier Monaten. Dem Patienten wurde unter Einbezug des bestehenden und osseointegrierten Implantats Regio 43 die Insertion von drei weiteren Implantaten vorgeschlagen, um eine polygonale Abstützung des Zahnersatzes und somit eine Belastungsverteilung zu gewährleisten.

Klinisches Vorgehen

Es erfolgte eine Panoramaschichtaufnahme mit Röntgenreferenzkörpern (Abb. 3) sowie ein digitaler Scan von Oberkiefer und Unterkiefer und der Bisssituation mit alter Unterkieferprothese (Primescan, Dentsply Sirona). Für die spätere Implantation wurde eine Scanprothese für den Unterkiefer erstellt, die gleichzeitig als Positionierungsschablone während der Implantation diente (Abb. 4 und 5).

Es wurden zwei 3,8 x 9 mm-Implantate (Camlog Screw-Line, Bio Horizons/ CAMLOG) Regio 46 und 36 und ein 3,8 x 13 mm-Sofortimplantat nach schonender Entfernung der Zahnwurzel 33 inseriert (Abb. 6–8). Der Kieferknochen wurde mit Eigenknochenspänen, die mittels Safescraper gewonnen wurden, und einem Knochenersatzmaterial (Bio-Oss®, Geistlich Biomaterials) aufgebaut und mit einer Membran (Bio-Gide®, Geistlich Biomaterials) zum Schutz vor dem einwachsenden Weichgewebe bedeckt.2–4

Perioperativ wurde der Patient mit Clindamycin 600 mg abgedeckt. Es erfolgte eine Gabe von 600 mg eine Stunde präoperativ und eine weitere Einnahme von 600 mg Clindamycin bis einschließlich vier Tage postoperativ. Zusätzlich fand präoperativ eine Keimreduktion der Mundhöhle mit einer 0,2-prozentigen Chlorhexidinspülung alkoholfrei für 3 x 30 Sekunden statt. Der Wundverschluss erfolgte mit Nahtmaterial der Stärke 5.0 (Ethicon, Johnson & Johnson Medical) für eine geschlossene Einheilung. Abschließend wurde eine postoperative Röntgenkontrollaufnahme angefertigt (Abb. 9). Die ehemalige Prothese des Patienten wurde umgearbeitet, ausgeschliffen und nach Einsetzen eines Gingivaformers (GH 5) in das bestehende Implantat (Xive S Plus, Dentsply Sirona) mit Gel (Viscogel, Dentsply DeTrey) unterfüttert.

Freilegung

Die Freilegung erfolgte zehn Wochen nach Implantatinsertion. Nach einem Kieferscan wurden die Implantatpositionen mithilfe von Scanbodys (3Shape) intraoral gescannt (Primescan, Dentsply Sirona; Abb. 10–12). Die freigelegten Implantate wurden mit Gingivaformern (BioHorizons, CAMLOG) verschlossen, die Prothese erneut ausgeschliffen, erneut mit Gel unterfüttert und auf den vier Gingivaformern adaptiert.

Die Schleimhaut zeigte nach zehn Tagen eine reizlose Wundheilung (Abb. 13).

Definitive Versorgung

Nach Konstruktion der individuellen Abutments (BEGO; Abb. 14) und der Primärteleskope erfolgte eine Anprobe im Mund und eine Einprobe der Modellguss-Sekundärkonstruktion auf Spannungsfreiheit sowie eine erneute Bissüberprüfung (Abb. 15 und 16). Nach Fertigstellung der Arbeit wurden die Gingivaformer gegen die Abutments getauscht, welche mit 30 Ncm angezogen und vor Insertion einem speziellen Reinigungsprotokoll unterzogen wurden.5 Die Schraubenkanäle wurden mit Guttapercha verschlossen und die Primärteleskope mit Harvard zementiert (Abb. 17). Die Arbeit wurde anschließend eingegliedert (Abb. 18–21). Nach kleineren Okklusionskontrollen und Überprüfung der Ein- und Ausgliederbarkeit durch den Patienten wurde der Patient entlassen und am nächsten Tag zur Kontrolle einbestellt.

Eine weitere Kontrolle erfolgte vier Tage später, um den spannungsfreien Sitz, die Ein- und Ausgliederbarkeit durch den Patienten und die Mundhygiene an den Teleskopen zu überprüfen. Der neue Unterkieferersatz ließ sich problemlos ohne Spannungen herausnehmen und einsetzen, der Patient wies ein gleichmäßiges okklusales Belas- tungsmuster auf und konnte feste Speisen zerkleinern sowie frontal abbeißen – bei festem Prothesensitz. Der Recall erfolgte zunächst alle sechs Wochen.

Fazit

Der hier vorgestellte Versorgungsfall eines 74-jährigen Patienten zeigt eine kombiniert festsitzend-herausnehmbare Versorgung, die die Pflegbarkeit und einen festen Sitz der Prothese durch polygonale Abstützung gewährleistet. Die implantologische Erstversorgung mit einem Implantat und einem Zahn führte durch zu hohe Belastungen zur Fraktur des Zahns und zum Schraubenbruch der Abutmentschraube im Implantat.

Besondere Herausforderung ist hier die digitale Abformung im zahnlosen Kiefer im Hinblick auf die Passgenauigkeit und die Spannungsfreiheit der Suprakonstruktion. Besonders im Unterkiefer stellen die beweglichen Schleimhautanteile, die zahnlosen Abschnitte sowie die wenigen anatomischen Referenzpunkte eine spezielle Herausforderung dar.6 Interimplantäre Abstände, das Design der verwendeten Scanbodys, das Scanmuster und die Erfahrung des Anwenders stellen, um die gewünschte Präzision zu erhalten, wichtige Parameter dar. Die digitale Abformung ist vielversprechend, aber sensibel in der Anwendung bei großen Oberflächen mit beweglicher Schleimhaut und fehlenden Zähnen als Referenzpunkte. Im vorliegenden Fall konnte eine gute Passgenauigkeit und eine Spannungsfreiheit der Suprakonstruktion auf den Teleskopen erreicht werden. Regelmäßige Kontrollen werden durchgeführt und der Sitz sowie etwaige Spannungen überprüft, um den Langzeiterfolg zu gewährleisten.

Dieser Beitrag ist im Implantologie Journal erschienen.

Die Literaturliste steht hier zum Download bereit.

Autoren: Dr. Inga Boehncke, M. Sc., ZTM Moritz Thole

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