Branchenmeldungen 06.06.2024

Parodontologie im Wandel: Heraus­forderungen und Perspektiven



Parodontologie im Wandel: Heraus­forderungen und Perspektiven

Foto: Prof. Jamal M. Stein

Die Neue Arbeitsgruppe Parodontologie e.V. (NAgP) ist eine gemeinnützige Interessenvertretung für parodontologisch interessierte Zahnärzte und Zahnärztinnen mit Sitz in Bonn. Wir sprachen mit dem 1. Vorsitzenden, Prof. Dr. Jamal M. Stein, zu den Begebenheiten und Herausforderungen der Parodontologie im Jahr 2024.

Herr Prof. Stein, in den letzten Jahren sind diverse Leit- und Richtlinien zur Behandlung der Parodontitis auf den Weg gebracht wurden. Welche Vorteile sehen Sie hierbei für die Praxis und welche Besonderheiten in der praktischen Umsetzung könnten von Bedeutung sein?

In der Tat wurden durch die Europäische Gesellschaft für Parodontologie (EFP) nach Einführung der aktuellen Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände (im Jahr 2018) verschiedene S3-Leitlinien zur Therapie der Parodontitis Stadium I-III, der Parodontitis Stadium IV sowie –erst im letzten Jahr – zur Prävention und Therapie periimplantärer Erkrankungen veröffentlicht. Die Inhalte geben eine Orientierung darüber, welche Maßnahmen entsprechend der aktuellen Evidenzlage mit unterschiedlicher Stärke empfohlen oder nicht empfohlen werden. Das bietet zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen eine wertvolle Entscheidungshilfe in der täglichen Behandlung von Patienten mit Parodontitis und periimplantären Erkrankungen. So gilt – um ein Beispiel zu nennen – eine subgingivale Instrumentierung bei Patienten mit Parodontitis im Rahmen der 2. Stufe der Therapie als starke Empfehlung, während die routinemäßige Anwendung systemischer Antibiotika (mit starker Ablehnung) nicht empfohlen wird. Gleichzeitig zeigen jedoch die Leitlinien für die Beantwortung bestimmter Fragestellungen Grenzen auf, was die Notwendigkeit individualisierter Therapieplanungen betont. So ist beispielsweise die Therapieempfehlung für Zähne mit einem interdentalem Furkationsgrad II an oberen Molaren nach aktuellem Stand der Evidenzlage nicht auf einen einzigen Weg limitiert. Die sogenannten offenen Empfehlungen erlauben verschiedene Maßnahmen (beim genannten Beispiel wären dies nichtchirurgische, resektive oder regenerative Furkationstherapien). Da diese Leitlinien turnusgemäß aktualisiert werden, könnten sich in Zukunft einige Empfehlungen aufgrund neuer hochwertiger Studien ändern. So könnten beispielsweise einige offene Empfehlungen zugunsten konkreterer Aussagen geändert werden. In Deutschland war ein Teil der Parodontitis-Leitlinien auch Grundlage für die Erstellung der im Jahr 2021 eingeführten Richtlinien zur systematischen Parodontitistherapie ein, was auf fachlicher Ebene ein wichtiger und überfälliger Schritt war. Auf gesundheitspolitischer Ebene wurde die Umsetzung dieser Richtlinie in den Praxen seit 2023 durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz leider nicht nur erschwert, sondern führte mittlerweile sogar wieder zu einem bedauerlichen Rückgang der Anzahl neu beantragter systematischer Parodontaltherapien – ein Weg, der nicht nur wegen der hohen Prävalenz der Parodontitis, sondern auch der außerordentlich weitreichenden systemischen Interaktionen dringend einer gesundheitspolitischen Korrektur bedarf.

Sie sprechen von fachübergreifenden Aspekten der Parodontitis: Wie wichtig ist heutzutage die Interdisziplinarität in der Zahnmedizin, und haben Sie Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten?

Gerade in der Parodontologie ist die Interdisziplinarität ein sehr wichtiges Thema, sowohl auf der Ebene der Ätiopathogenese, die den Zusammenhang zu systemischen Erkrankungen (wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Osteoporose und rheumatische Erkrankungen, um nur ein paar Beispiele zu nennen) betrifft als auch auf der Ebene der Therapie, die häufig eine interdisziplinäre Herausforderung darstellt. Gerade bei fortgeschrittenen Formen der Parodontitis (Stadium V) brauchen wir fachübergreifende Konzepte, bei denen möglicherweise prothetische/implantologische, kieferorthopädische und/oder endodontische Maßnahmen mit der parodontlen Therapie koordiniert werden müssen. In unserer Praxis beispielsweise haben wir daher eine Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, d. h. sowohl mit allgemeinärztlichen Kolleginnen (Internisten, Kardiologen, Diabetologen, Orthopäden, u. a.) als auch mit zahnärztlichen Kollegen hinsichtlich strategischer Fragestellungen über den Zahnerhalt und die Gesamtrehabilitation.

Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie in der zahnmedizinischen Forschung und Praxis?

Ich glaube, dass sich sowohl in der Diagnostik als auch der Therapie von Erkrankungen in der Mundhöhle die personalisierte Medizin weiterentwickeln wird. Mit dem Blick auf die Parodontologie könnte dies im Bereich der Diagnostik dazu führen, dass mikrobiologische und Marker der Wirtsantwort in Zukunft mit Hilfe von KI schneller und besser zu einer „maßgeschneiderten“ Therapie führen könnten. Um ein Beispiel zu nennen: In der mikrobiologischen Diagnostik parodontaler Erkrankungen sehen wir bereits jetzt die Tendenz, anhand eines Dysbiose-Index, der Bewertung von Richness und Evenness die Pathogenität einer Plaqueprobe besser einschätzen und die (antimikrobielle) Therapie besser individualisieren und möglicherweise optimieren zu können. Die Herausforderungen in der Therapie werden unter anderem sicherlich die Optimierung des Zahnerhalts, aber auch und – vor allem – die Vermeidung und Therapie periimplantärer Erkrankungen betreffen. Die Ergebnisse einer Studie unserer Arbeitsgruppe aus dem letzten Jahr zielt auf einen wichtigen Pfeiler derartiger Therapien hin: die Dekontamination von Titan- und Zirkonoxidoberflächen, aber auch die damit zusammenhängenden Einflüsse auf die Zytokompatibilität. Darüber hinaus bin ich allerdings überzeugt, dass wir uns gerade bei der Periimplantitistherapie in Zukunft mehr mit der Beeinflussung der Wirtsantwort beschäftigen müssen, die im Vergleich zur Parodontitis deutliche Unterschiede zeigt.

Welche Fortbildungsmöglichkeiten empfehlen Sie Paro-interessierten Zahnärzten?

Grundsätzlich gibt es viele Fort- und Weiterbildungen, die die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro), aber auch die Neue Arbeitsgruppe für Parodontologie (NAgP) und andere Fortbildungsgesellschaften anbieten. Der Fortbildungsmarkt ist groß und auch hier ist die Frage, wie weit man sich spezialisieren möchte. Dies ist von Online- oder Präsenz-Seminaren, Kongressen und Einzelkursen über strukturierte Curricula zum Erwerb von Tätigkeitsschwerpunkten bis hin zu Masterstudien- oder Spezialisierungsprogrammen möglich. Hier sollte jeder entscheiden, wie spezialisiert er behandeln möchte und welchen Schwerpunkt man ggf. in der eigenen Praxis umsetzen kann und möchte.

Auf welche Veranstaltungen der NAgP dürfen wir uns freuen?

Ein besonderes Highlight bietet die diesjährige Jahrestagung der NAgP. Sie wird am 12. Oktober als Gemeinschaftstagung der NAgP mit der Berliner Gesellschaft für Parodontologie in Berlin stattfinden und sich ganz dem Thema „Parodontalchirurgie – Update 2024“ widmen. Wir erwarten einen spannenden Kongress mit hochkarätigen Referenten. Für die Webinare und die Jahrestagung stehen allen interessierten Kolleg/-innen detaillierte Informationen und die Möglichkeit zur Online-Anmeldung auf der Homepage der NAgP zur Verfügung.

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