Branchenmeldungen 19.09.2025

ProAge-Zahnmedizin: Viel Drive und wirtschaftliches Potenzial



Der Essener Zahnmediziner Dr. Michael Weiss bringt sich seit vielen Jahren für die Seniorenzahnmedizin ein – in der aufsuchenden Praxis, als Speaker, Netzwerker und überzeugter Mentor des zahnärztlichen Nachwuchses. Ein Gespräch über Notwendigkeiten und Möglichkeiten der mobilen Zahnmedizin, über ihre Rentabilität und ihr ressourcenschonendes Potenzial.

ProAge-Zahnmedizin: Viel Drive und wirtschaftliches Potenzial

Foto: Dr. Michael Weiss

ProAge-Zahnmedizin: Das richtige Wording zählt!

Sprache formt Realität. „Alterszahnmedizin“ klingt nach Defizit, Belastung und Pflicht. Es schreckt Patienten ab, demotiviert Teams und lässt Chancen ungenutzt. Sprache prägt Realität – und die entscheidet über Akzeptanz. „ProAgeZahnmedizin “ setzt ein positives Narrativ: nicht Alter als Problem, sondern als Lebensphase mit Potenzial. Sie steht für Mobilität, Prävention, Digitalisierung und neue Märkte. Patienten fühlen sich wertgeschätzt, Mitarbeiter erleben Sinn und Dynamik, Industrie erkennt Wachstum. Das zeigt: Wording ist mehr als Kosmetik – es ist der Schlüssel, der Begeisterung generiert.

Herr Dr. Weiss, was braucht es Ihrer Erfahrung nach für eine erfolgreiche ProAge-Zahnmedizin in der aufsuchenden Betreuung?

Zuallererst bedarf es einer teamfähigen, empathischen Persönlichkeit, die Praxis- sowie Pflegekräfte miteinander vernetzt und sowohl sachlich als auch emotional für eine situationsgerechte Therapie pflegebedürftiger, vulnerabler Patienten begeistert. Außerdem sind aufseiten der Mitarbeitenden verschiedene Kompetenzen erforderlich: Zentral ist zunächst eine einfühlsame, patientenzentrierte Kommunikation, insbesondere mit älteren und gegebenenfalls kognitiv eingeschränkten Patienten sowie deren häufig besorgten Angehörigen. Ebenso wichtig ist die verlässliche Abstimmung im interdisziplinären Team – sei es mit Pflegekräften, Hausärzten und Angehörigen sowie weiteren Beteiligten wie Transportdiensten. Zudem ist eine ausgeprägte Planungs- und Koordinationskompetenz essenziell: Dazu gehören die strukturierte Einsatzplanung (z. B. Terminabstimmung mit Pflegeeinrichtungen, Betreuern oder Angehörigen), die logistische Organisation (z. B. Bereitstellung und Transport von Materialien, Instrumenten und Personal) sowie die flexible Anpassung an wechselnde Bedingungen. Auch Resilienz, Flexibilität und Improvisationsfähigkeit sind unerlässlich, denn vor Ort muss regelmäßig auf unvorhersehbare Situationen souverän reagiert werden, zum Beispiel Veränderungen in der Patientensituation, unerwartete räumliche Gegebenheiten, Krankenhausaufenthalte oder Verkehrsprobleme.

Zudem müssen die mobilen Einsätze wirtschaftlich tragfähig sein. Dafür sind sichere Dokumentations- und Abrechnungsroutinen erforderlich. Hierzu zählen eine sorgfältige Erfassung der Behandlungsdaten für medizinische, rechtliche und abrechnungstechnische Zwecke sowie der kompetente Umgang mit digitalen Kommunikations- und Dokumentationssystemen. Kenntnisse in den relevanten Gebührenordnungen (BEMA, GOZ) sowie Grundwissen im Pflege- und Sozialrecht sind von Vorteil. Nicht zuletzt ist die Einhaltung aller Qualitäts- und Hygienestandards im mobilen Setting, und damit unter erschwerten Bedingungen, unverzichtbar.

Studierende und junge Kollegen frühzeitig begeistern

„Das Image der Seniorenzahnmedizin ist geprägt von Pflegeheimbesuchen, Kompromisslösungen und begrenzten Möglichkeiten. Allein der Begriff Alters- bzw. Seniorenzahnmedizin wirkt ab- schreckend. Noch dazu fürchten viele Kollegen fälschlicherweise wirtschaftliche Nachteile und Praxisabläufe, die sich nicht rechnen. Hier braucht es einen Wandel und einen Nachwuchs, der bereits im Studium an die ProAge- Zahnmedizin herangeführt wird. In meinen Augen sind die Studierenden und jungen Kollegen der Schlüssel, um aus diesem unterschätzten Bereich ein attraktives Zukunftsfach zu machen – mit Empathie, Exzellenz und echter Relevanz.“ (Dr. Michael Weiss)

Oft wird gesagt, dass die ProAge-Zahnmedizin im Vergleich zu anderen Fachbereichen, wie der Implantologie, nicht wirtschaftlich sei. Was sagen Sie dazu?

Das sehe ich anders. Die ProAge-Zahnmedizin bietet zahlreiche Vorteile gegenüber anderen zahnärztlichen Disziplinen. Betrachtet man zunächst die betriebswirtschaftlichen Aspekte, lassen sich pauschal folgende Vorteile nennen:

  • ein wachsender Markt mit geringem Wettbewerb,
  • einfache Skalierbarkeit,
  • regelmäßige, planbare Honorare durch hohe Patiententreue,
  • Zusatzeinnahmen durch extrabudgetäre Leistungen,
  • Entlastung des Praxisbudgets durch Fallwertverschiebung,
  • geringes Behandlungsrisiko bei gleichzeitig hoher Skalierbarkeit.

Der stark zunehmende Pflegebedarf eröffnet ein enormes Expansionspotenzial. Dieses wird zusätzlich durch politische und gesetzgeberische Maßnahmen gestützt, die strukturierte und finanziell abgesicherte Rahmenbedingungen für die mobile Versorgung schaffen. Die aufsuchende Betreuung ist ortsunabhängig skalierbar. Eine Expansion kann ohne kostspielige, klassische Praxisflächen erfolgen. Schon ab Kooperationen mit sieben bis acht Pflegeeinrichtungen sind die Einsätze hoch rentabel. Die Investitionen bleiben gering, die Rentabilität hoch. Zudem lassen sich die Vorteile der BEMA-Systematik optimal nutzen: Neue BEMA-Positionen (§ 22a SGB V) ermöglichen zusätzliche, auskömmliche Abrechnungen speziell für Pflegebedürftige. Viele Leistungen sind extrabudgetär abrechenbar – ohne Einfluss auf das Regelleistungsvolumen. Hohe Fallzahlen in der aufsuchenden Betreuung wirken sich positiv auf die Fallwertberechnung der gesamten Praxis aus und entlasten dadurch die Budgetierung bei anderen GKV-Patienten.

Im Vergleich dazu erscheint die Implantologie zwar durch größere Einzelbeträge attraktiv, doch diese bestehen zu einem großen Teil aus durchlaufenden Posten wie Material- und Laborkosten. Hinzu kommen Behandlungs- und Rechtsrisiken sowie Reparaturaufwand. Der steigende Konkurrenz- und Preisdruck führt außerdem zu sinkenden Margen – bei deutlich geringerer Patientenzahl im Vergleich zur Gruppe der Pflegebedürftigen. Bei richtiger Skalierung lassen sich mit ProAge-Zahnmedizin oft leichter, konstanter und sicherer gute betriebswirtschaftliche Ergebnisse erzielen als in der Implantologie.

Ein frühzeitiger Einstieg in die ProAge-Zahnmedizin mit mobilem Versorgungskonzept ist daher betriebswirtschaftlich zukunftsfähig, ethisch und sozial relevant – und strategisch klug positioniert.

MENSCHLICHKEIT und Kreativität gefragt!

„Die Besonderheit dieses Praktikums liegt im Hands-on und der neuen Sichtweise, die uns in Bezug
auf einen möglichen späteren Berufsalltag in der Zahnmedizin vermittelt wird. Neben der Versorgung vulnerabler Menschen steht dabei auch das Out-of-the-Box-Denken im Fokus. Mir wurde beispielsweise deutlich, wie kreativ ein Zahnarzt mit Materialien umgehen kann – und auch umgehen darf. Auch die große Dankbarkeit jener, die ohne mobile zahnärztliche Versorgung keine Möglichkeit hätten, eine Praxis aufzusuchen und nur durch solche Einsätze zu dringend benötigtem Zahnersatz kommen, hat mich sehr berührt. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie wichtig und wertvoll diese Form der Versorgung in der Medizin ist.“ – Student René Piekarski (René ist Student der Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke und hat, als Teil des Studiums, ein Praktikum bei Dr. Weiss belegt.)

Welche Strategien setzen Sie ein, um Ihr Team auf die besonderen Anforderungen der mobilen zahnärztlichen Versorgung vorzubereiten?

Das Praxisteam kann man sehr gut für die ProAge-Zahnmedizin gewinnen, wenn das Konzept von der Praxisleitung authentisch vorgelebt wird. Es ähnelt einem spannenden Mannschaftssport, bei dem jedes Teammitglied seine Aufgaben und seine Verantwortung hat. Erfolgsentscheidend ist ein reibungsloses Zusammenspiel mit der Ausstrahlung eines guten, positiven Teamspirits und weniger die Einzelleistung einer Person. Es entsteht eine regelrechte Eigendynamik im Team, zusätzliche Fähigkeiten zum Nutzen von Patienten und Praxis werden entwickelt – zum Beispiel Organisation, Flexibilität, Empathie, komplexes Denken, Gesprächsführung, Risikoeinschätzung, etc. Der Teamgeist wird gestärkt, jeder muss sich, besonders im Außeneinsatz, auf den andern verlassen können, Es entsteht neue Arbeitsfreude, neue Kernkompetenzen werden visualisiert, „new mobility“, digitales Umfeld. Technologieaffine neue Arbeitsbereiche kommen hinzu, wie Kraftfahrzeug, Kommunikation, Foto, Office-Kenntnisse, mobile Dokumentation. Die neuen Arbeitsbereiche entsprechen einem modernen zeitgemäßen Generationsverständnis, das heißt soziale Verantwortung, Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung, Nachhaltigkeit. Man kann neue Arbeitszeitkonzepte ermöglichen und spricht damit zusätzliche neue Arbeitskräfte an, die sich Flexibilität, Teilzeit, Female-Shift, New-Work-Life-Balance, sinnhaftes, nachhaltiges, mobiles Arbeiten wünschen. Gleichzeitig entsteht zusätzlich eine neue Wertschätzung außerhalb der Praxis mit einer hohen emotionalen Bindung durch die große Zahl der Patienten, Angehörigen und durch das Pflegepersonal. Nicht selten kommt es zu emotionalen Dankesbekundungen, die die Mitarbeiter für ihre Mühe entlohnen und sie damit den hohen Stellenwert ihrer Arbeit erkennen lassen. Aufgrund dieser Tatsachen und unserer Darstellungen im Social-Media-Bereich konnten wir bereits vermehrt Initiativbewerbungen im zahnärztlichen sowie im Assistenzbereich für unsere Praxis verzeichnen. 

Bild von einem Quotenzeichen
„Die ProAge-Zahnmedizin leistet wie kein anderes Fachgebiet einen großen Beitrag zur CO2-Reduktion einer Zahnarztpraxis durch ihr nachhaltiges und ökologisches Konzept. Das Fraunhofer Institut hat 2019 ein Projekt mit dem Titel „Ressourcenschonung im Gesundheitssektor“ angestoßen, welches später von der Bundeszahnärztekammer im Bericht „Nachhaltige Zahnmedizin“ vorgestellt wurde. Hier zeigte sich, dass der überwiegende Teil der schlechten CO2-Bilanz (65 Prozent) einer Zahnarztpraxis durch die An- und Abreise der beteiligten Personen entsteht, 19 Prozent entfallen auf die Behandlung und 15 Prozent auf die verbrauchte Energie. Wir haben durchschnittlich circa 1.800 Patientenbesuche pro Jahr in Pflegeeinrichtungen, sodass allein für diese Patientengruppe die An- und Abreise zur Zahnarztpraxis entfällt. Vor Ort werden selten energieintensive Geräte benutzt. Die mobile ProAge-Zahnmedizin leistet damit nicht nur einen ethischen und sozialen Beitrag, indem die zahnärztliche Versorgung immobiler Patienten priorisiert und in den Vordergrund gestellt wird, sondern hat auch einen großen ökologischen Nutzen durch Kosten- und Verkehrsentlastung sowie einer deutlichen CO2-Entlastung.“

ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 09/25

ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis


Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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Das Wirtschaftsmagazin ist seit 31 Jahren am Markt und zählt mit seinen 12 Ausgaben im Jahr und einer Auflage von 40.800 Exemplaren zu den frequenz- und auflagenstärksten Titeln im deutschen Dentalmarkt.

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