Branchenmeldungen 11.06.2025

Zahnmedizin on the Road



Im Interview mit Dr. Christoph Blum erfahren wir, wie das innovative Zahnmobil die zahnmedizinische Versorgung für Senioren auf eine neue Ebene hebt. Mit dem Ziel, eine gleichwertige Behandlung direkt vor Ort zu bieten, fährt das Zahnmobil in Seniorenheime und zu pflegebedürftigen Patienten, um die zahnmedizinische Versorgung direkt ins Zuhause der Patienten zu bringen.

Zahnmedizin on the Road

Foto: Dr. Blum/privat

Auf Ihrer Website erwähnen Sie, dass Sie in Ihrer Praxis individuell auf Patienten eingehen. Wie gestalten Sie dies speziell im Bereich der Seniorenzahnmedizin?

Seit über 45 Jahren ist die Praxis nun schon auf die Behandlung von Senioren spezialisiert. Damals nur durch einfache Hausbesuche mit Taschenlampe und Spiegel und anschließender Behandlung in der Praxis. Dann entwickelte sich die Behandlung weiter und es erfolgten je nach Notwendigkeit oder auch auf Wunsch des Patienten mehr Behandlungen in Narkose oder Sedierung. Seit 2018 haben wir das Ganze umgedreht: Wir fahren überwiegend in Seniorenheime und Wohngemeinschaften für ältere Menschen sowie häuslich gepflegten Patienten. Durch unsere zwei RTWs können wir diese vollumfänglich vor Ort behandeln – von der Prophylaxe bis zur Implantation, von Lokalanästhesie bis Narkose. Ein „geht nicht“ gibt es für uns nicht.

Gibt es besondere Herausforderungen oder Risiken bei Implantaten im höheren Alter und wie gehen Sie damit um?

Letztendlich ist es nicht anders als in der Praxis auch: mit dem Älterwerden kommt auch das ein oder andere Leiden und es werden mehr Medikamente genommen. Ob ASS oder Bisphosphonate, bei jedem muss das individuelle Risiko neu bewertet werden. Wir versuchen häufig, einfachere und herausnehmbare Lösungen zu finden, z. B. durch durchmesserreduzierte oder sehr kurze Implantate, die eine Augmentation meist unnötig machen. Viele Versorgungen basieren auf zwei Implantaten mit Kugelköpfen oder vier Implantaten mit Locatoren. Natürlich kommen auch Einzelzahnimplantate vor, aber nur wenige unserer Patienten haben noch gering unterbrochene Zahnreihen.

Welche modernen zahnmedizinischen Technologien setzen Sie in der Behandlung von Senioren ein, um den Komfort und die Effektivität zu maximieren?

Röntgen ist ein fester Bestandteil der zahnärztlichen Diagnostik. Wir haben in jedem unserer RTWs ein mobiles handgehaltenes Röntgen, mit dem wir in der Lage sind, im Bedarfsfall auch am Patientenbett die klinische Diagnostik durch Zahnfilme zu vervollständigen. Hier sehen wir einen immensen Nutzen, da es dem Patienten viele Mühen und unnötige Mobilisierung erspart und in einer großen Zahl der Erstuntersuchungen behandlungsbedürftige Zufallsbefunde sichtbar macht.

Wie gestalten Sie die Schmerzbehandlung und -prävention bei älteren Patienten?

Insgesamt behandeln wir ca. 50 Prozent der Patienten unter Lokalanästhesie und die andere Hälfte in Sedierung. Ein wesentlicher Faktor hierbei ist, dass viele unserer Patienten demenzielle Veränderungen aufweisen und daher besonders von einer stressfreien Behandlung profitieren. Im präventiven Ansatz setzen wir unser bewährtes Ampelsystem ein, das zwischen „rot“ (d. h. die Behandlung muss abgebrochen werden) und „grün“ (d. h. die Behandlung kannsicher fortgesetzt oder der Zahn erhalten we rden) unterscheidet. Alles, was fraglich ist oder nur einen Behandlungsversuch darstellt, der mit erheblichem Aufwand und mehreren Folgebehandlungen verbunden wäre, kommt eher raus. Zudem haben wir eine hohe Flexibilität und Abdeckung: Mit beiden Fahrzeugen sind wir an fünf Tagen pro Woche un-terwegs, und der zweite Wagen wird zusätzlich an zwei bis drei Tagen eingesetzt. Im Falle von akuten Schmerzanfällen können wir daher schnell und flexibel ein Team zu den Patienten schicken, um sofort zu intervenieren.

Was war die Idee hinter dem Zahnmobil und wie kam es zur Entwicklung dieses Projekts?

Eines Tages kam ein Notarzt-begleiteter RTW mit einem Patienten, den wir in der Woche zuvor noch elektiv behandeln wollten. Die Töchter hatten den Termin jedoch abgesagt, da die Fahrt über die schlechten Kreisstraßen für den dementen Herrn zu belastend war. In weiteren Gesprächen mit Heimen und Angehörigen hörten wir oft, dass dies der Grund für die schlechten Zahnzustände vieler Patienten ist. Bei Erstuntersuchungen in neuen Einrichtungen fanden wir fast überall behandlungsbedürftige Befunde, sogar bei Totalprothesenträgern, die Frakturen oder Abplatzungen hatten. Daraus wurde klar: Wir müssen zum Patienten kommen!

Welche speziellen medizinischen Geräte und Ausstattungen sind im Zahnmobil integriert, um eine gleichwertige Versorgung zu gewährleisten?

In jedem unserer Fahrzeuge haben wir ein handgehaltenes mobiles Röntgengerät, mit dem wir direkt digitale Zahnfilme erstellen können. Die Behandlungseinheit ist mit leistungsstarker Technologie ausgestattet, einschließlich einer Multifunktionssteuerung, die sowohl Absaugung als auch einen Endo-Motor integriert. Für die lebenserhaltenden Funktionen sind alle Geräte in Wand und Decke verbaut – dazu gehören Kreislaufmonitor, Sauerstoffversorgung, Perfusor und Defibrillator sowie eine Akku-Notfallabsaugung. Alle lebenswichtigen Systeme sind redundant ausgelegt, das heißt, sie sind mindestens doppelt vorhanden und unabhängig vom Hauptsystem verfügbar. Das zahnärztliche Equipment ist standardmäßig ausgestattet, umfasst aber z. B. vier chirurgische Trays und Zangen für Ober- und Unterkiefer. Sollte eine größere chirurgische Behandlung erforderlich sein, muss der Satz vorab ergänzt werden. Es gibt eine Reserve, aber wenn mal eine Zange zu Boden fällt, muss man eben kreativ werden.

Wie wird die Sicherheit der Patienten während Eingriffen im Zahnmobil gewährleistet, insbesondere bei Narkosen und Operationen?

Wie bereits erwähnt, sind alle Geräte für eine erste Notfallintervention stets griff- und einsatzbereit. Wir verfügen unter anderem über drei separate Sauerstoffflaschen, zwei Monitore zur Kreislaufüberwachung, zwei Beatmungsbeutel und eine Reihe von Atemhilfsgeräten, die bis hin zur endotrachealen Intubation eskalieren. Natürlich ist die beste Ausstattung nur dann von Nutzen, wenn man sie sicher bedienen kann. Deshalb bilden wir uns im Bereich Notfallmedizin regelmäßig weiter und trainieren Notfallsituationen, die hoffentlich nie eintreten. Aber wir sind optimal vorbereitet. Die CRM-Prinzipien (Crew Resource Management), die spezifischen Fähigkeiten und die Einstellung, die ich aus meiner Zeit im Rettungsdienst und bei der Bundeswehr mitgebracht habe, sind heute fester Bestandteil unserer täglichen Arbeit – sowohl am Patienten als auch im Team.

Haben Sie vor, das Zahnmobil auch für andere Zielgruppen oder Einrichtungen (z. B. Schulen oder Kliniken) einzusetzen?

Das steht nicht auf meiner Liste. Zwar haben wir in Ausnahmefällen auch Unterstützung für Intensivstationen in umliegenden Kliniken geleistet, aber das sind eher Einzelaktionen. Grundsätzlich lehne ich mich damit schon weit aus dem Fenster. Paragraf 119 b regelt eigentlich nur die Versorgung von Menschen in Einrichtungen nach SGB XI, also in Altenpflegeeinrichtungen und bei Hausbesuchen. Was mir bis heute niemand – zu der Zeit auch nicht Bundesgesundheitsminister Spahn – erklären kann, ist, warum ich einen 85-jährigen dementen Patienten behandeln darf, aber einen 25-jährigen körperlich und geistig eingeschränkten Menschen, der in einer Einrichtung der Lebenshilfe nach SGB XII lebt, nicht. Diese Ungleichbehandlung verstehe ich nicht. Daher fokussiere ich mich weiterhin auf Menschen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind und ohne uns fast keine Versorgung erhalten können. Ein weiteres Beispiel für diese Ungleichbehandlung zeigt sich auch in den Kooperationsverträgen: Diese werden ausschließlich mit Altenpflegeeinrichtungen geschlossen, nicht aber mit Behindertenheimen.

Welche Pläne haben Sie, das Konzept des Zahnmobils weiter auszubauen oder zu verbessern?

Zum Ausbau brauchen wir engagierte ZFA und ZMF, die Spaß an der Abwechslung und Herausforderung haben. Einsatz- und Bürotag wechseln sich ab, aber kein Einsatz ist wie der andere, immer sind die Menschen, die Umgebung und der Fall anders. Routinelangeweile gibt es da definitiv nicht. Verbesserung suchen wir immer. So ist unser zweiter RTW deutlich geräumiger und darauf wird der Fokus beim dritten definitiv auch liegen.

Vielen Dank für den interessanten Einblick, Herr Dr. Blum!

Dieser Artikel ist im IJ Implantologie Journal erschienen.

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