Branchenmeldungen 12.12.2012
Schweizer Arbeitnehmer zwischen Fehlverhalten und Courage
Jede zweite beschäftige Person in der Schweiz verstösst am Arbeitsplatz
gelegentlich gegen die Regeln. Das geht aus dem HR-Barometer 2012 der
Universität Zürich und der ETH Zürich hervor. Probleme am Arbeitsplatz
frühzeitig anzusprechen hilft, Fehlverhalten zu vermeiden. Die Studie
empfiehlt denn auch Arbeitgebern, durch Partizipationsmöglichkeiten und
Vertrauensförderung die Courage der Beschäftigten zu stärken und sie
nicht durch variable Lohnsysteme zum Schweigen zu verleiten.
Gemäss dem neuesten Schweizer Human-Relations-Barometer
(HR-Barometer) der ETH Zürich und der Universität Zürich haben sich rund
die Hälfte der Befragten mindestens einmal innerhalb des letzten Jahres
geringfügig fehlverhalten. Am häufigsten wird zu viel fantasiert und
geträumt, eine zusätzliche oder längere Pause gemacht oder man strengt
sich bei der Arbeit zu wenig an, schreiben Prof. Gudela Grote von der
ETH Zürich und Prof. Bruno Staffelbach von der Universität Zürich in der
siebten Ausgabe des HR-Barometers. Insgesamt berichten 4 Prozent der
Befragten von schwerwiegendem Fehlverhalten am Arbeitsplatz. Jede vierte
befragte Person gibt an, mindestens einmal innerhalb des letzten Jahres
vertrauliche Firmeninformationen mit einer unberechtigten Person
besprochen zu haben. Jede achte befragte Person hat mindestens einmal
die Arbeit hinausgezögert, um Überstunden zu verbuchen, und jede
fünfzigste Person hat innerhalb des letzten Jahres mindestens eine
Quittung gefälscht, um mehr Geld zu bekommen.
In Vertrauenskultur investieren
Bezogen auf das Fehlverhalten am Arbeitsplatz lohnt sich die
Investition in eine Vertrauenskultur doppelt, so die beiden Autoren.
Einerseits verhalten sich Beschäftigte mit hohem Vertrauen in den
Arbeitgeber deutlich korrekter. Andererseits trägt eine Vertrauenskultur
dazu bei, dass Probleme offener angesprochen werden. Dies wiederum
scheint ein Ventil für mögliches Fehlverhalten zu sein: Beschäftigte,
die Probleme am Arbeitsplatz offen ansprechen können, berichten deutlich
weniger häufig von Fehlverhalten.
Die grosse Mehrheit der Beschäftigten in der Schweiz kann alles
in allem gut mit ihrem Vorgesetzten über Probleme sprechen.
Detailanalysen zeigen jedoch, dass es den Beschäftigten vergleichsweise
schwer fällt, mangelnde Kompetenzen von anderen, Bedenken bezüglich der
Firmenpolitik sowie Belästigung und Missbrauch gegenüber dem Arbeitgeber
zu benennen. Über Lohnprobleme und Lohnungerechtigkeiten zu sprechen,
bereitet den Beschäftigten die grösste Mühe. Geschwiegen wird vor allem,
um die Zusammenarbeit mit anderen nicht zu gefährden oder auch aus
einer resignierten Haltung heraus, weil das Ansprechen von Problemen
nichts nützt.
Missstände am Arbeitsplatz werden vor allem von
arbeitsmarktfähigen und leistungsstarken Beschäftigten angesprochen.
Beschäftigte, welche sich in ihrer Position schwächer fühlen, trauen
sich seltener, mit ihren Bedenken und Sorgen auf den Arbeitgeber
zuzugehen. Auch auf Beschäftigte mit angeschlagener psychischer oder
physischer Gesundheit ist besonders Acht zu geben. Sie neigen eher dazu,
Probleme zu verschweigen. Herrscht im Unternehmen eine hohe
Arbeitsplatzunsicherheit, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Verängstigte
Beschäftigte schweigen lieber über Missstände.
Ob Beschäftigte Probleme melden oder verschweigen, kann vom
Arbeitgeber beeinflusst werden: So erhöhen Mitspracherechte die
Wahrscheinlichkeit, dass Missstände im Unternehmen gemeldet werden. Auch
eine gute Führungsbeziehung sowie ein grundlegendes Vertrauen in den
Arbeitgeber fördern das Ansprechen von Problemen. Lohnsysteme spielen
ebenfalls eine zentrale Rolle: Variable Lohnanteile allerdings, welche
direkt an die persönliche Leistung gebunden sind, verleiten Beschäftigte
zum Schweigen, weil sie negative Konsequenzen fürchten.
Erste Warnzeichen
Die Trendentwicklungen aus den HR-Barometern der letzten Jahre
zeigen, dass die Unsicherheit bezüglich Verlust des Arbeitsplatzes und
hinsichtlich negativer Veränderungen an der jetzigen Arbeitsstelle
leicht zugenommen hat. Zehn Prozent der Befragten fürchten in relativ
starkem Mass und etwas mehr als 20 Prozent ansatzweise um ihren
Arbeitsplatz. Wie im letzten Jahr fürchteten ganze 50 Prozent, dass ihre
Arbeitsbelastung zunehmen könnte, und mehr als 20 Prozent der Befragten
vermuten, dass ihre Einfluss- und Karrieremöglichkeiten abnehmen
könnten. Gestiegen auf ebenfalls über 20 Prozent ist der Anteil
derjenigen, die sich um Restrukturierungen, Lohnkürzungen und
Beschäftigungsreduktionen sorgen.
Die eigene Arbeitstätigkeit wird weiterhin positiv erlebt.
Vielfalt und Autonomie bei der Arbeit sind im Schnitt aber leicht
gesunken. Die Bindung an das Unternehmen und die Arbeitszufriedenheit
sind ebenfalls weiterhin hoch, doch auch hier zeigt sich eine Dynamik,
die als Warnzeichen ernst genommen werden sollte: Die Zahl der «fixiert
Unzufriedenen, also derjenigen Beschäftigten, die nicht zufrieden sind,
die aber weder bereit sind ihre Ansprüche zu senken noch wissen, wie sie
ihre Arbeitssituation verbessern können, hat über die Jahre stetig
zugenommen. Auch wenn es immer noch weniger als 10 Prozent der
Beschäftigten sind, die zu dieser Gruppe gehören, sollte diese
Trendentwicklung kritisch beobachtet werden. Zudem hat die Zahl der
resignativ Zufriedenen, also derer, die ihre Ansprüche angesichts einer
nicht zufriedenstellenden Arbeitssituation gesenkt haben, ebenfalls
stetig zugenommen, von unter 20 Prozent vor sechs Jahren auf fast 30
Prozent in diesem Jahr.
Zur Studie
Der Schweizer HR-Barometer erfasst, wie Beschäftigte in der Schweiz
ihre Arbeitssituation erleben. Erhoben werden dazu Themen wie
Karriereorientierungen, Personalentwicklung und Organisation des HRM,
psychologischer Vertrag, Arbeitsflexibilisierung, Arbeitszufriedenheit
und Arbeitsmarktfähigkeit. Die Studie wird von Prof. Gudela Grote,
Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und
von Prof. Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls Human Resource
Management an der Universität Zürich, regelmässig herausgegeben.
Die Grundlage des HR-Barometers 2012 bildet eine Befragung von 1483
Beschäftigten basierend auf dem Stichprobenregister des Bundesamtes für
Statistik. Die Befragung fand zwischen Juni und August 2012 in der
deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz statt. Die
aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunktthema Fehlverhalten und
Courage.
Der HR-Barometer 2012 entstand mit grosszügiger Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds. Der Bericht steht ab sofort elektronisch zum Download zur Verfügung unter
www.hr-barometer.uzh.ch oder www.hr-barometer.ethz.ch.
Gudela Grote, Bruno Staffelbach (Hrsg.): Schweizer HR-Barometer 2012:
Fehlverhalten und Courage. Zürich 2012. Universität Zürich und ETH
Zürich. ISBN 978-3-033-03729-8.
Quelle: Universität Zürich