Branchenmeldungen 20.04.2023

Über Ungarn nach Sachsen-Anhalt: Land lockt Zahnarzt-Nachwuchs

Über Ungarn nach Sachsen-Anhalt: Land lockt Zahnarzt-Nachwuchs

Foto: JD8 – stock.adobe.com

Bei den Zahnärzten rollt eine Ruhestandswelle. Es droht ein Mangel an Nachfolgern für die Praxen. Verbände wie Kommunen versuchen, sich frühzeitig Mediziner zu sichern - manch einer muss dafür erstmal ziemlich weit weg.

Sie kommt aus Niedersachsen, studiert Zahnmedizin an der ungarischen Universität Pécs und wird danach im Burgenlandkreis im südlichen Sachsen-Anhalt praktizieren. Mindestens das nächste Jahrzehnt scheint für Emily-Sophie Marth vorgezeichnet. Für die 21-Jährige geht der Berufswunsch Zahnärztin in Erfüllung - und das auf einem völlig neuen Weg. Die junge Frau aus Uelzen studiert mit einem Kombi-Stipendium von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Sachsen-Anhalt und dem Burgenlandkreis. Für die Geldgeber ist es ein Baustein im Kampf gegen mögliche Versorgungsengpässe. Angesichts einer Ruhestandswelle gibt es zu wenig Nachwuchs.

Per Zufall entdeckte Emily-Sophie Marth in den sozialen Medien die Werbung für das Stipendium der KZV, wie sie berichtet. Geboten wird ein Studium der Zahnmedizin im ungarischen Pécs, die Studiengebühren werden übernommen. Zehn Semester in deutscher Sprache und der Abschluss wird in Deutschland eins zu eins anerkannt. Außerdem müssen Kandidaten - anders als an deutschen Unis - kein Spitzen-Abitur mitbringen. Hierzulande ist die Zahl der Medizin-Plätze begrenzt. Im Gegenzug verpflichten sich die Stipendiaten, nach dem Studium fünf Jahre als Zahnarzt in Sachsen-Anhalt zu arbeiten.

Marth bewarb sich, ohne besonders optimistisch zu sein, wie sie heute sagt. Sie nahm an, es würden sich viele Interessenten bewerben. Im Mai vergangenen Jahres erhielt sie die Zusage. Im Herbst startete das Studium in Ungarn.

Nach dem ersten Semester und den ersten Prüfungen sagt die 21-Jährige: «Es ist ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist.» Das teure Studium könne sie so absolvieren. Laut einem KZV-Sprecher werden 7.720 Euro Studiengebühren pro Semester und Studienplatz übernommen. Emily-Sophie Marth erhält zusätzlich ein Stipendium des Burgenlandkreises, das mit 500 Euro monatlich verbunden ist.

Damit könne sie ihre Wohnung in Pécs bezahlen, sagt die 21-Jährige, die koste 450 Euro. Ihre Eltern unterstützten sie zusätzlich. Und bei allem, was da für sie getan werde, könne auch sie etwas Gutes tun, nämlich die ärztliche Versorgung sicherstellen helfen. «Es gibt die Möglichkeit, etwas zurückzugeben», sagt die Studentin.

Genau das steht hinter dem Angebot der Stipendien. Über 40 Prozent der Zahnmediziner im Burgenlandkreis seien 60 Jahre oder älter, rechnet die KZV vor. Von den niedergelassenen Zahnärzten, die heute in Ruhestand gehen, finde nur jeder zweite einen Nachfolger für seine Praxis. Wenn eine Praxis dicht ist, bleibe sie es in den allermeisten Fällen auch. Jedes Mal müssten sich 2.000 bis 3.000 Patienten auf die Suche nach einem neuen Zahnarzt machen.

Emily-Sophie Marth war laut KZV Sachsen-Anhalt eine von 70 Bewerberinnen und Bewerberinnen, die ihr Interesse an einem Stipendium ab dem Wintersemester 2022/23 bekundet haben. Fast die Hälfte der Bewerbungen stammte demnach von sachsen-anhaltischen Landeskindern. Aktuell werden demnach elf Studierende des ersten Stipendien-Jahrgangs über den Verlauf von zehn Semestern Regelstudienzeit gefördert. Noch bis zum 15. Februar läuft die Bewerbungsfrist für eine Förderung ab dem Studienbeginn im Wintersemester 2023/24.

Über 1.200 Kilometer bis zum Studienort - sie habe natürlich auch Bedenken gehabt, sagt die Emily-Sophie Marth. In Deutschland könne man am Wochenende nach Hause fahren, das gehe nun nicht. Nach dem Auswahlverfahren gab es etwa ein Kennlerntreffen mit den anderen Stipendiaten. Die Gruppe sei zusammen in Ungarn angekommen. «Man hatte schon Freunde, als man angefangen hat.»

Die Betreuung an der Uni sei eng, die Wohnungssuche perfekt gelaufen. Sie werde immer wieder gefragt, wie es ihr gehe. Pécs sei malerisch mit seiner Altstadt. Ein riesiges Shoppingcenter gebe es. «Manchmal vergisst man, dass man nicht in Deutschland ist», sagt die Studentin.

Und die Sprache? Vor dem Beginn ihres Studiums war die 21-Jährige nie in Ungarn gewesen, habe keinerlei Verbindungen dorthin gehabt. Nun lerne sie drei Semester lang Ungarisch, sagt Emily-Sophie Marth. Es gehe nicht nur darum, sich vorzustellen, sondern auch Patientengespräche führen zu können. Im Alltag sei sie überrascht, wie viele Ungarn Deutsch sprechen. Mit Englisch komme man auch weiter. An der Uni beeindrucke sie, wie gut die Dozenten Deutsch sprechen, selbst in komplexen Fächern wie Biologie und Chemie.

In Sachsen-Anhalt geht laut dem KZV-Vorsitzenden Jochen Schmidt in den kommenden sechs Jahren die Hälfte der aktuell rund 1.600 Zahnärzte in den Ruhestand. Weil die Entwicklung abzusehen sei, gebe es verschiedene Initiativen. «Wir waren die erste KZV in der ganzen Bundesrepublik, die einen Strukturfonds gegründet hat.» Nachwuchs werde aktiv herangezogen. Stipendien für Ungarn und deutsche Universitäten gehörten dazu, Praxen würden gefördert, wenn sie an der Ausbildung von Zahnärzten beteiligt seien, so Schmidt.

In Sachsen-Anhalt selbst gebe es pro Jahr etwa 40 Absolventen, von denen aber maximal 10 im Land blieben. Man bilde quasi für andere Bundesländer aus.

Regionalpolitiker seien bei dem Thema Zahnärztenachwuchs sehr engagiert, betont Schmidt. Neben dem Burgenlandkreis beteiligen sich auch der Landkreis Mansfeld-Südharz, der Altmarkkreis Salzwedel und die Stadt Gardelegen an Förderprogrammen.

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung hat ihr Programm für Pécs zunächst auf fünf Jahrgänge angelegt, also bis einschließlich des Studienbeginns im Wintersemester 2026/27. In der Summe soll auf diesem Weg bis zu 60 jungen Menschen das Studium der Zahnmedizin ermöglicht werden. Und dabei spielt ihre Abiturnote nicht die entscheidende Rolle - bis zu einem Notendurchschnitt von 2,6 (9 Punkte) gibt es die Chance auf ein Stipendium.

Quelle: dpa

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