Wissenschaft und Forschung 14.03.2016
Bessere Pflegeprodukte durch virtuelles Zähneputzen
Zahnpasten und -bürsten zu entwickeln, ist zeitraubend: Zahlreiche Proben müssen hergestellt und untersucht werden. Mit einer neuartigen Simulation lassen sich die verschiedenen Parameter wie etwa die Form der Borsten oder die Größe der Putzkörper mit einem Klick ändern. Die Hersteller können die Qualität neuer Zahnpflegeprodukte steigern und diese schneller auf den Markt bringen.
Morgens beim Aufwachen ist ein pelziger Belag auf den Zähnen zu
spüren: Ein Biofilm, der sich über Nacht gebildet hat und auf Dauer zu
Karies führen kann. Deshalb ist es wichtig, die Zahnbürste zu nehmen und
diesem Pelz den Garaus zu machen. Die Auswahl an Zahnpflegeprodukten
ist groß. So finden sich bei den Bürsten abgerundete und spitze, harte
und weiche Borsten. Auch solche mit verschieden langen Filamenten werden
angeboten. Welche die Zähne am gründlichsten reinigen und den
Zahnschmelz dabei möglichst schonen, konnten die Hersteller bisher nur
durch Experimente abschätzen. Ebenso verhält es sich bei den
scheuernden, sprich abrasiven Partikeln – den Putzkörpern – in den
Zahnpasten. Verschiedene Pasten mit unterschiedlichen Partikeln mussten
angerührt und auf künstlichem Zahnschmelz untersucht werden – eine
aufwändige Angelegenheit. Ein weiteres Manko: Da sich nur das
Gesamtsystem Zahnbürste, Zahnpasta und Zahnschmelz untersuchen lässt,
können die Produzenten mit Hilfe dieser Experimente schwer beurteilen,
welchen Einfluss jeder einzelne Parameter ausübt.
Zähneputzen simulieren
Eine neuartige Simulation schafft Abhilfe. Entwickelt wurde sie von
Forscherinnen und Forschern des Fraunhofer-Instituts für
Werkstoffmechanik IWM in Freiburg. »Mit unserem Verfahren können
Hersteller von Zahnpflegeprodukten schnell, kostengünstig und
zuverlässig erfassen, welchen Einfluss die jeweiligen Faktoren auf die
Reinigung haben«, sagt Dr. Christian Nutto, Wissenschaftler am IWM.
»Anders als im Experiment lassen sich die einzelnen Parameter in der
Simulation einfach variieren – sei es die Größe, die Form oder auch die
Menge der abrasiven Partikel in der Zahnpasta, sei es das Material, aus
dem sie bestehen, oder die Form und die Elastizität der
Bürstenfilamente. Wir können die Untersuchungen viel breiter anlegen,
als dies bei realen Tests möglich wäre – was sich in der Qualität der
Produkte bemerkbar macht.« Welche Auswirkungen haben Form und
Steifigkeit der Zahnbürstenfilamente beim Putzen? Wie wirken sich
unterschiedliche Putzkörper und die Viskosität, also die Zähigkeit der
Zahnpasta, auf Zahnschmelz und das eigentliche Angriffsziel aus: den
Biofilm auf den Zähnen? Solche Fragen kann die Simulation zuverlässig
beantworten – und zwar lange bevor die Hersteller die Zahnpasta
angerührt haben.
Putzkörper – gefährlicher Schmirgeleffekt
Ein wichtiger Bestandteil von Zahnpasten sind Putzkörper, auch
Abrasivstoffe genannt, die den Zahnbelag mechanisch entfernen. Eine
Paste sollte nicht zu abrasiv sein, ihre Schmirgelwirkung also nicht zu
stark ausfallen. Über Jahre hinweg kann der Abrieb den Zahnschmelz
schädigen, der sich nicht regeneriert. Deutlich ausgeprägter zeigen sich
die Schäden zudem am weichen Dentin beziehungsweise am Zahnbein. Wer
freiliegende Zahnhälse hat, sollte daher eine Zahncreme mit geringem
Abrieb wählen, empfiehlt die Bundeszahnärztekammer.
Christian Nutto setzt dabei auf die am IWM entwickelte
Simlationssoftware SimPARTIX®, welche die Partikelsimulationsmethode
Smoothed Particle Hydrodynamics verwendet, kurz SPH. »Wir geben dabei
Eigenschaften wie Fließfähigkeit, Dichte, Form und Füllfaktor der
Abrasivpartikel vor«, erläutert Nutto. Auch Parameter für den
Zahnschmelz werden berücksichtigt. Das virtuelle Zahnbürstenfilament
streicht dann über den Zahnschmelz: Die Simulation ermittelt, wie die
scheuernden Partikel mit dem elastischen Filament wechselwirken. Zudem
berechnet sie die Reinigungswirkung und wie aggressiv die
Abrasivpartikel auf den Zahnschmelz wirken. Das Team der Gruppe
»Pulvertechnologie, Fluiddynamik« kann dabei sowohl die Geschwindigkeit
variieren, mit der sich die Borsten über den Zahnschmelz bewegen, als
auch die Kraft, mit der sie aufgedrückt werden. Zur Integration der
Partikelsimulation in standardisierte Simulationsprogramme hat das Team
um SimPARTIX® in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für
Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI ein zusätzliches
Softwaretool entwickelt.
Software berechnet Wirkung von Zahnpasta auf Zahnschmelz
Doch stimmen die Ergebnisse auch mit der Realität überein? Die
Vergleichsexperimente führte Dr. Andreas Kiesow mit seinen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Fraunhofer-Institut für
Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle sowie am
MikroTribologie Centrum µTC in Karlsruhe durch. Ein Bürstenfilament, das
in eine Halterung eingespannt wurde, bewegte sich dabei mit
gleichbleibender Geschwindigkeit über den künstlichen Zahnschmelz, auf
dem sich auch die Zahnpasta befand. Das Ergebnis: Die Simulation kann
präzise vorhersagen, wie sich Zahnpasta und Bürstenfilamente auf den
Zahnschmelz auswirken. In einem nächsten Schritt soll sie auch
vorhersagen können, wie effektiv die Bürsten und Pasten den Biofilm von
den Zähnen entfernen.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft