Wissenschaft und Forschung 23.07.2024

Interdisziplinäre Rezeptkreationen für Erosionspatienten

Interdisziplinäre Rezeptkreationen für Erosionspatienten

Foto: LimeSky – adobe.stock.com; generiert mit KI

Für Patienten mit Erosionen wird aus jeder Mahlzeit eine zunehmende Schmerzerfahrung. Um genau diesen Patienten zu helfen, kreierte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe scheinbar simple, jedoch wissenschaftlich geprüfte Rezepte, die die Säurewirkung bestimmter Lebensmittel aufhebt und so das Essen dieser wieder möglich macht. Rezepte-Co-Autorin Dorothee Hahne erläutert im Folgenden die Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe und verrät zudem ein Rezept.

Patienten mit Erosionen leiden oft im Stillen. Unsere Arbeitsgruppe, initiiert durch die Zahnärztin Houma Kustermann, wollte hier aktiv helfen und ebenjenen Patienten Wege aufzeigen, wie sie zahnschonend essen können, ohne ihren Speiseplan stark auszudünnen. Derzeit ist die Beratung bei ernährungsbedingten Erosionen eher ein Streichkonzert, denn als bester Schutz gilt das Meiden saurer Lebensmittel. Die Crux aber ist: Auf der Verzichtliste stehen nicht nur ungesunde Limos, Eistees oder Sportgetränke. Ebenso Fruchtsäfte und Smoothies sind oft sehr erosiv, ebenso wie viele frische Früchte, manche Gemüse, Salatdressings, Sauerkraut oder Essiggemüse. Fallen diese Lebensmittel weg, fehlen wichtige Lieferanten für Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und die große Palette der bioaktiven Pflanzenstoffe. Zudem fällt es vielen schwer, die Vorgaben in die Familienküche zu integrieren; entweder können die Patienten nicht alles mitessen oder man muss extra für sie kochen. Die Situation ist also unbefriedigend. Mit dem Ziel, diesen Umstand für die Betroffenen zu ändern, kamen einschließlich meiner Person als Ökotrophologin vier Experten zusammen (siehe Cooles interdisziplinäres Networking) und brachten ihre Kompetenzen in das Rezepte-Projekt ein.


Wussten Sie schon, dass …

... die Ökotrophologie ein eigenständiges interdisziplinäres Studienfach ist, welches die beiden Fächer Ernährungswissenschaften und Haushaltswissenschaften miteinander kombiniert.


Lecker und wissenschaftlich geprüft

Das Besondere an unseren Rezepten ist, dass sie erstmals wissenschaftlich geprüft sind und zahnärztliche Teams die Rezepte so mit gutem Gewissen ihren Erosionspatienten empfehlen und mitgeben können. Zwar weiß man schon lange, dass der Zahnschmelz vor Demineralisation geschützt ist, wenn man Saures zusammen mit kalziumreichen Lebensmitteln isst oder trinkt, bislang waren aber nur pauschale Tipps möglich, etwa ein Salatdressing mit Joghurt anzurühren oder eine Kalziumtablette in ein Glas Orangensaft zu geben. Jetzt können wir genau angeben, wie viel Joghurt oder welcher Kalziumzusatz nötig ist, um die Erosivität zu entschärfen. Für unsere Studie haben wir bewusst einfache säurehaltige Rezepte, unter anderem für Blatt- und Obstsalate, als Ausgangsspeisen verwendet und diese mit Milchprodukten, Nüssen und anderen kalziumreichen Zutaten modifiziert. Ergebnis waren unter anderem ein Feldsalat mit Joghurtdressing, ein Rucolasalat mit Parmesanspänen und Haselnüssen sowie je ein Sommer- und Winterobstsalat mit Joghurttopping. Prof. Lussi konnte anhand von Härtemessungen an Schmelzprobekörpern im Labor nachweisen, dass die modifizierten Rezepte im Vergleich zu den Ausgangsrezepten nicht mehr erosiv wirkten. Entsprechende Messungen bei Getränken ergaben, dass bei Orangensaft und einem Energydrink die Erosivität bereits mit geringen Kalziumzusätzen sank, bei Apfelsaft war etwas mehr nötig. Beim Colagetränk bissen wir auf Granit: Es ließ sich nicht entschärfen und blieb auch bei der höchsten Kalziumkonzentration erosiv. Die neuen Rezepte sind praxistauglich: Sie enthalten frische Zutaten, sind einfach und schnell zuzubereiten und haben im Geschmackstest gleich gut oder sogar besser abgeschnitten als das Ausgangsrezept. Dagegen fielen die mit Kalzium angereicherten Getränke geschmacklich eher durch: Die Testpersonen beschrieben sie als teils salziger, weniger sauer und sprudelnd.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ernährungsexperten und Zahnmedizinern

Die Ernährungsberatung in Zahnarztpraxen gewinnt zunehmend an Bedeutung; sie stärkt die Prophylaxe und ergänzt oder optimiert den Erfolg von Therapien. Die Ernährungs- und Zahnmedizin sind ja quasi verzahnt, denn was wir essen und trinken, beeinflusst die Mundgesundheit enorm. Karies und Erosionen sind nur zwei Beispiele für hauptsächlich ernährungsbedingte orale Erkrankungen, die durch eine Umstellung des Speiseplans vermieden oder gestoppt werden können. Oft fehlt zahnärztlichen Teams im täglichen Praxisbetrieb die Zeit oder das Fachwissen, um Patienten die komplexe Wirkung von Lebensmitteln und Essmustern auf die Zahngesundheit zu erklären. Eine Kooperation mit Ernährungsfachkräften könnte genau das leisten; sie ermöglicht es, Patienten individuell bei der Veränderung ihrer Essgewohnheiten zu begleiten und konkret anzuleiten. Dies ist auch ein Schritt in Richtung ganzheitliche Medizin, denn eine zahngesunde Ernährung geht in der Regel Hand in Hand mit einer allgemein gesunden Ernährung. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn noch mehr Zahnarztpraxen eine Ernährungsberatung in ihr Portfolio aufnehmen würden.

Für das Entwickeln ihrer Rezepte mit Erosionsschutz gewann das Projektteam beim Wrigley Prophylaxe Preis 2023 den Preis im Bereich „Wissenstransfer in die Praxis“.

Autor: Dorothee Hahne

Dieser Artikel ist unter dem originaltitel: „Guten Appetit: Interdisziplinäre Rezeptkreationen für Erosionspatienten“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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