Wissenschaft und Forschung 23.10.2020
Resümee nach 20 Jahren Dentalhygiene: Mundgesundheit ist Lebensqualität
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Moderne Prophylaxe sollte heute nicht mehr ausschließlich professionelle Zahnreinigung und anschließende Mundhygieneinstruktionen umfassen. Vielmehr sollte der Patient als Ganzes betrachtet werden. Vor allem die Ernährung spielt für eine dauerhafte Mundgesundheit eine entscheidende Rolle. Parodontitis beeinflusst den gesamten Körper, also beeinflusst auch dieser die Parodontitis. Der folgende Beitrag stellt die Bedeutung einer gesunden und nährstoffreichen Ernährung für die erfolgreiche Parodontitistherapie heraus und gibt Hinweise zum sinnvollen Einsatz von Probiotika.
Präventionsstrategien im Wandel der Zeit
Der Ansatz der Präventionsstrategien hat sich mit den Jahren verändert. Zu Beginn galt der Grundsatz: ohne Plaque keine Pathogenität. Die unspezifische Plaquehypothese1 galt als Standard und wurde von der spezifischen Plaquehypothese2,3 abgelöst. Spezifische Mikroorganismen in komplexen Lebensgemeinschaften wurden identifiziert4 und die Reaktion des Immunsystems, die Wirtsantwort rückte mehr in den Fokus. Die Plaque wurde zum Biofilm5 und die Verschiebung der Balance hin zu einem Ungleichgewicht in der Mundhöhle war Ansatz der Parodontitistherapie. Die Immunantwort gerade auch im Hinblick auf den anamnestischen Hintergrund des Patienten hat die Sicht auf die Parodontitis verändert und als multifaktorielle Erkrankung in Wechselbeziehung zum Organismus6 definiert. Aktuell sind die ökologische Plaquehypothese7 und der ganzheitliche Blick auf den Patienten das zentrale Thema. Die Verschiebung der mikrobiellen oralen Symbiose hin zur Dysbiose und die Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Faktoren, wie die Immunantwort, Allgemeinerkrankungen, Nikotin, Mundhygiene, Alkoholabusus, hormonelle Auswirkungen sowie die Ernährung, haben Einfluss auf das Mikrobiom (Der Begriff wurde 2001 durch Joshua Lederberg geprägt bzw. verbreitet) und können unser Ökosystem signifikant stören.8,9
Der ganzheitliche Aspekt der Ernährung
„Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist“ äußerte schon der bekannte französische Denker Jean Anthelme Brillat-Savarin. Die positiven Einflüsse der Nahrung hinsichtlich ihrer heilungsfördernden Eigenschaften10–13 werden mit zunehmendem Interesse wissenschaftlich untersucht, beispielsweise die Bedeutung von Vitamin C14–16, die Zufuhr entzündungshemmender Omega-3-Fettsäuren17 oder auch der Benefit von nitratreichem grünen Blattgemüse18 in Zusammenhang mit dem Krankheitsgeschehen der Parodontitis.
Die Ernährungsanamnese ist ein fester Bestandteil im Therapieprotokoll einhergehend mit individuellen Empfehlungen zu einer antientzündlichen Nahrungsaufnahme wie z. B. der Gießener Vollwerternährung nach Körber und Leitzmann 2004.19
Der negative Einfluss einfacher Kohlenhydrate wie Zucker und Weißmehle, der regelmäßige Konsum von Softdrinks, Backwaren und Fertiggerichten scheint die systemischinflammatorischen Prozesse betreffend die Progression der Parodontitis negativ zu beeinflussen. Hingegen können faserreiche Ballaststoffe20, funktionelle probiotische Lebensmittel21 sowie aktive Mikro- und Makronährstoffe zur Unterstützung der Parodontitistherapie von Belang sein.12,22
Allerdings sind Umstellungen des Ernährungs- und Lebensstils aufgrund verschiedener psychosozialer Strukturen im Alltag nach Erfahrung der Autorin schwer realisierbar, sodass es hilfreich erscheint, eine alternative Strategie anzubieten.
Der Nutzen von Probiotika im Rahmen der Parodontaltherapie
Probiotika (der Nobelpreisträger Ilja Iljitsch Metschnikow [1845–1916] gilt als Wegbereiter der probiotischen Ernährung) sind gesundheitsfördernde Mikroorganismen, die eine positive Wirkung auf den menschlichen Organismus haben21 und in der Bevölkerung inzwischen einen beachtlichen Stellenwert genießen. Darüber hinaus ist das Zusammenspiel von Mund und Darm23 zunehmend Thema wissenschaftlicher Studien.
In Bezug auf die Wirkung von Probiotika in der Mundhöhle im Kontext der Parodontitis ist das grampositive stäbchenförmige Milchsäurebakterium Lactobazillus reuteri Prodentis® zu erwähnen, das als wirksame Nahrungsergänzung in Form von Lutschtabletten verabreicht werden kann. Im Gegensatz zu einer komplexen gleichwohl sinnvollen Ernährungsumstellung hat der adjuvante Einsatz probiotischer Lutschtabletten (GUM® PerioBalance®, Sunstar) eine gute Patientenakzeptanz, da es unkompliziert und ohne zusätzlichen Zeitaufwand im Alltag etabliert werden kann.
In einem Dentalhygienekonzept kann sich PerioBalance® als mögliche Begleittherapie zum Scaling and Root Planing (SRP) nach dem empfohlenen Anwendungsprotokoll (GUM® PerioBalance® Leitfaden für das Praxisteam) in der Kuranwendung etablieren. Die Patienten beginnen mit der zweimal täglichen Einnahme am ersten Behandlungstag nach erfolgtem SRP bis zur ersten Reevaluation nach zwölf Wochen.
Im Zuge einer indizierten antibiotischen Begleittherapie24 substituieren die Patienten zunächst ein Probiotikum (OMNI-BIOTIC® 10, Institut AllergoSan) zur Stabilisierung der Darmflora. Die Einnahme der Lutschtabletten (PerioBalance®) beginnt dann nach Abschluss der Antibiose.
Die entzündungshemmenden Eigenschaften spiegeln sich in der Verbesserung der Entzündungsparameter, einer rückläufigen Plaqueakkumulation sowie Verlangsamung der pathogenen Rekolonisation wider.25 Rein subjektiv beschreiben die Patienten über die Dauer der Anwendung ein länger anhaltendes, angenehm glattes und gesundes Gefühl an Zähnen, Zahnfleisch und Mundschleimhaut. Bei Problemen in der Compliance ist das Ziel, die Anwendung für mindestens vier Wochen aufrechtzuerhalten, um eine Stabilisierung mit möglichem gesundheitlichen Benefit zu erreichen.
Weitere sinnvolle Einsatzgebiete sind in der Therapie der Schwangerschaftsgingivitis zu sehen. Auch hier empfiehlt sich die zwölfwöchige Kur mit zweimal täglicher Einnahme zur Reduzierung der Blutungsparameter.26 Gleichermaßen kann auch beim Vorliegen einer Candida albicans-Infektion vorgegangen werden. Hier ist das Probiotikum mit einer Mindestdauer von vier Wochen, bei zweimal täglicher Anwendung bis zu acht bzw. zwölf Wochen sowie die Instruktion der Zungenreinigung anzuwenden, um einer Hyphenbildung vorzubeugen.27 Hierbei ist eine ergänzende Ernährungsanamnese von Bedeutung, da hoher Zuckerkonsum und Weißmehlkost die Vermehrung von Candida albicans fördert,28 sodass ein Verzicht auf diese Lebensmittel sinnvoll erscheint.
Aus alternativ-medizinischer Sicht kann eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit naturheilkundlich praktizierenden Ärzten und Heilpraktikern unterstützend hilfreich sein.
Fazit
Bei ganzheitlicher Betrachtung des menschlichen Organismus kann eine Wechselbeziehung zwischen Ernährung und Lebensstil in Zusammenhang mit systemisch zivilisatorischen Erkrankungen,29 zu denen die Parodontitis als immunologisch multifaktorielle Erkrankung8,30 gehört, nicht ignoriert werden. Aus Sicht der Autorin ist ein dentalhygienisches Gesamtkonzept in Kombination mit gesundheitsfördernden Mikro- und Makronährstoffen gekoppelt mit einem oralen probiotischen Nahrungsergänzungsmittel (GUM® PerioBalance®) zur Förderung und Wiederherstellung der ökologischen Balance der Mundhöhle nützlich und zeitgemäß. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die ganzheitlichen Ansätze in der Therapie der Parodontitis, gestützt durch longitudinale Interventionsstudien, zukünftig entwickeln und im Praxisalltag etablieren werden.
Der Beitrag ist im Prophylaxe Journal erschienen.
Foto Teaserbild: deagreez – stock.adobe.com