Wissenschaft und Forschung 04.10.2023
Medizin-Nobelpreis für Corona-Impfstoff-Pioniere
Selten gab es ein so stark favorisiertes Thema für den Medizin-Nobelpreis wie in diesem Jahr. Die Entscheidung der Nobel-Jury steht fest: Die Auszeichnung geht an zwei Forschende für entscheidende Grundlagen zur Entwicklung von Corona-Impfstoffen.
Für ihre grundlegenden Arbeiten zu mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 erhalten in diesem Jahr die in Ungarn geborene Forscherin Katalin Karikó und der US-Amerikaner Drew Weissman den Nobelpreis für Medizin. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit.
«Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei», hieß es vom Nobelkomitee.
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten. «In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden.»
«Mehrere andere Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die auf unterschiedlichen Methoden basieren, wurden ebenfalls rasch eingeführt, und insgesamt wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Covid-19-Impfdosen verabreicht», so das Komitee. «Die Impfstoffe haben Millionen von Menschen das Leben gerettet und bei vielen weiteren schwere Erkrankungen verhindert, so dass sich die Gesellschaften öffnen und zu normalen Bedingungen zurückkehren konnten.»
Katalin Karikó, 1955 in Ungarn geboren, arbeitet derzeit an den Universitäten Pennsylvania/USA und Szeged/Ungarn, Drew Weissman (64) an der Universität Pennsylvania/USA.
Die bedeutendste Auszeichnung für Mediziner wurde 2023 um eine Million auf nun 11 Millionen schwedische Kronen (950.000 Euro) erhöht.
Die Corona-Impfstoffe des Mainzer Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Moderna waren die ersten zwei mRNA-Produkte, die auf den Markt kamen. An der Technik bastelten Forscher jedoch schon vor mehr als 30 Jahren. Bereits Ende der 1980er Jahre schleusten drei Wissenschaftler - Robert Malone, Phil Felgner und Inder Verma - mRNA mit Hilfe von Fetttröpfchen in angezüchtete Zellen ein und brachten diese dazu, das gewünschte Protein herzustellen.
Doch bald keimte die Gentechnik auf, in die viele Fördermittel flossen. Die damals in Ungarn forschende Katalin Karikó glaubte jedoch weiterhin an den Nutzen der mRNA für die Medizin. Sie blieb dem Molekül auch treu, als sie 1985 in die USA emigrierte.
Aus Mangel an Fördergeldern forschte Karikó im Labor zunächst weitgehend auf sich allein gestellt, ab 1998 auch mit Drew Weissman. Der entscheidende Durchbruch gelang dem Forschungsduo, als es einen Baustein der mRNA austauschte und die mRNA daraufhin nicht mehr in der Zelle abgebaut wurde. Die Versuchsmäuse produzierten das gewünschte Protein.
Trotz weiterer Tiefschläge setzte Karikó ihren Weg fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci Biontech gegründet hatte. Er habe ihr noch am selben Tag einen Job angeboten, sagte Karikó der «New York Times». Nach jahrelanger Zusammenarbeit hat sie das Unternehmen verlassen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin.
Mit der mRNA sei eine neue Substanzklasse für die Medizin verfügbar, sagte der Präsident des für Impfstoffe und Biomedizin zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die mRNA in den Impfstoffen ist der Bauplan für ein Virusprotein. Dieses wird in einigen wenigen Körperzellen des Geimpften hergestellt. Das Immunsystem richtet sich dann gegen dieses Protein.
Als mögliche künftige Einsatzgebiete für mRNA sieht PEI-Präsident Cichutek unter anderem weitere präventive Impfstoffe wie etwa gegen Grippe, sowie Therapien gegen Krebs und Rheuma.
Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller waren bis September 2023 weltweit fünf mRNA-Impstoffe gegen Covid-19 im Einsatz. Recht weit ist die Entwicklung demnach auch bei entsprechenden Impfstoffen gegen Grippe und gegen Zytomegalieviren, die zu den Herpesviren gehören.
Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Es folgen die für Literatur und für Frieden. Die Reihe der Bekanntgaben endet am kommenden Montag mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschafts-Nobelpreis.
Die feierliche Vergabe aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Bereits am vergangenen Donnerstag waren die Träger der diesjährigen Alternativen Nobelpreise von der Right Livelihood Stiftung bekanntgegeben worden.
Der Medizin-Nobelpreis wird seit 1901 verliehen. Die erste Auszeichnung ging damals an den deutschen Bakteriologen Emil Adolf von Behring für die Entdeckung der Serumtherapie gegen Diphtherie. Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre waren: 2022: Der in Leipzig arbeitende schwedische Forscher Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten. Er hat unter anderem als erster das Genom des Neandertalers sequenziert. 2021: David Julius (USA) und der im Libanon geborene Forscher Ardem Patapoutian. Sie haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen. 2020: Harvey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA), die maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen hatten. 2019: William Kaelin (USA), Peter Ratcliffe (Großbritannien) und Gregg Semenza (USA). Sie hatten herausgefunden, wie Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen und sich daran anpassen. 2018: Der US-Amerikaner James Allison und der Japaner Tasuku Honjo für die Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs. 2017: Die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für die Erforschung der Inneren Uhr. 2016: Der Japaner Yoshinori Ohsumi, der das lebenswichtige Recycling-System in Körperzellen entschlüsselt hat. 2015: Die Chinesin Youyou Tu, die den Malaria-Wirkstoffs Artemisinin entdeckt hat. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten. 2014: Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe (USA/Großbritannien) für die Entdeckung eines Navis im Hirn: Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns. 2013: Thomas Südhof (gebürtig in Deutschland) sowie James Rothman (USA) und Randy Schekman (USA) für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen. |
Quelle: dpa