Wissenschaft und Forschung 02.08.2011
Verschwundenes Erbgut lässt Tumorzellen wachsen
share

Verlust eines Gen-Regulators entscheidend für eine seltene Form von Hautkrebs
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité Universitätsmedizin Berlin, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin Berlin, des Max-Planck Instituts für Molekulare Genetik Berlin sowie vier weiteren deutschen Institutionen ist es gelungen, einen spezifischen Genverlust bei einem bestimmten menschlichen Lymphom nachzuweisen, dessen Entstehung bisher weitgehend unklar ist.
Sie
untersuchten das sogenannte Sézary Syndrom. Dabei handelt es sich um
eine aggressive Krebserkrankung aus der Gruppe der primären
Hautlymphome, sogenannter primär kutaner Lymphome. Die Ergebnisse der
Studie, die in der aktuellen Ausgabe des Journal of Experimental
Medicine* veröffentlicht sind, liefern grundlegend neue Einblicke in die
Entstehung und Entwicklung des Sézary Syndroms und möglicherweise auch
anderer menschlicher Lymphome.
Das bösartige Sézary Syndrom ist durch die Vermehrung einer speziellen
Art von weißen Blutkörperchen in der Haut der Patientinnen und Patienten
gekennzeichnet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Hautlymphomen
zeigen Patienten mit Sézary Syndrom schon zu Beginn der Erkrankung neben
dem Hautbefall einen Befall des Blutes und der Lymphknoten durch die
entarteten T-Zellen. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten hoch
aufgereinigte Tumorzellen von Patienten mit Sézary Syndrom mit Hilfe
moderner und hochauflösender genetischer Verfahren (der sogenannten
array comparative genomic hybridization Technik) auf bisher unbekannte
genetische Veränderungen. Dabei identifizierten sie Bereiche im Erbgut
dieser Tumorzellen, die bei vielen der untersuchten Patienten verloren
gegangen sind. Eine detaillierte Analyse dieser Bereiche zeigte, dass
eines der am häufigsten betroffenen Gene für einen sogenannten
Transkriptionsfaktor kodiert. Transkriptionsfaktoren haben zentrale
Funktionen bei der Regulation der zellulären Genaktivität.
Der teilweise Verlust des Gens für den Transkriptionsfaktor E2A scheint
dabei eine ganz zentrale Rolle zu spielen, denn dieses Gen ist
normalerweise von wichtiger Bedeutung für die natürliche
Lymphozyten-Entwicklung, erklärt Chalid Assaf von der Klinik für
Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité. Bei Mäusen führt
ein Verlust dieses Gens zur Entstehung aggressiver T-Zell-Lymphome. Ein
Genverlust in einer der verschiedenen humanen Lymphomklassen war bisher
jedoch noch nicht gefunden worden.
Die Forscherinnen und Forscher identifizierten zudem mehrere
E2A-regulierte Gene und Signalwege in den Tumorzellen, deren
Deregulation jeweils für sich alleine schon ausreichen kann, damit sich
ein Tumor entwickelt. Der Verlust von E2A beim Sézary Syndrom hat eine
entscheidende Bedeutung für das aggressive Verhalten der Tumorzellen,
indem er zu einem schnelleren und unkontrollierten Wachstum der Zellen
beiträgt, betont Stephan Mathas, Wissenschaftler an der Klinik für
Hämatologie und Onkologie der Charité und am MDC. Damit gelang es das
erste Mal direkt nachzuweisen, dass E2A im Menschen die Funktion eines
Tumorsuppressors besitzt.
Die Forscher hoffen, dass diese Erkenntnisse in Zukunft möglicherweise
Grundlage für die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte sein könnten, um
Patienten mit Sézary Syndrom neue und wirksamere Therapien anbieten zu
können.
*Originalpublikation:
Genomic loss of the putative tumor suppressor gene E2A in human
lymphoma. Anne Steininger, Markus Möbs, Reinhard Ullmann, Karl Köchert,
Stephan Kreher, Björn Lamprecht, Ioannis Anagnostopoulos, Michael
Hummel, Julia Richter, Marc Beyer, Martin Janz, Claus-Detlev Klemke,
Harald Stein, Bernd Dörken, Wolfram Sterry, Evelin Schrock, Stephan
Mathas, and Chalid Assaf. J Exp Med. 2011 Jul 25.
doi:10.1084/jem.20101785.
Quelle: Charite Berlin